τὸ μὲν οὖν αἰσθάνεσθαι ὅμοιον τῷ ... νοεῖν.

Das Wahrnehmen nun ist ähnlich dem ... vernünftigen Erfassen.

Aristoteles (De Anima III, 7: 431a)

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Freitag, 9. November 2012

In der Metaphysik lesen (995b 18 – 31)


Buch III gilt als das Aporien-Buch: 14 Fragen, deren Behandlung, Durcharbeitung, Lösung einen – oder den? – methodischen Einstieg in die „gesuchte Wissenschaft“ bildet.

Der Begriff „Aporie“ lenkt die Erinnerung zurück an ein anderes Vorkommen von Aporien in der griechischen Philosophie, nämlich in den platonischen, vor allem in den frühen, Dialogen, nennen wir sie lieber die sokratischen Dialoge. Da hat das Wort „Aporie“ eine eher „subjektive“ oder sagen wir lieber eine fast „existenzielle“ Bedeutung, häufig auch mit dem Verb „aporein“ bezeichnet. Diese Bedeutung spielt auch bei Aristoteles gelegentlich herein (Met. I, 982b 17f, 995a 31f.), aber in den sokratischen Dialogen ist sie die dominante, ja die einzige. Da handelt es sich um Zustände der Verlegenheit, des Nichteinundauswissens innerhalb einer Diskussion, eines Streitgesprächs. Und zwar so gut wie immer aufseiten von Gesprächspartnern des Sokrates, denen er mit seiner aggressiven Fragerei ihre Selbstgewißheit ausgetrieben hat. Sokrates zerstört bei den anderen die Gewißheiten, die Selbstverständlichkeiten soweit, daß sie ihre Verlegenheit, eben ihre „Aporie“, ihr „aporein“ eingestehen müssen – womit sie gezwungen werden, das Gespräch mit Sokrates fortzusetzen – egal ob dieses dann zu einer Auflösung der Aporien führt oder nicht. Immerhin entzieht Sokrates sich selber auch nicht der „Aporetisierung“, wie seine Aussage, er wisse immerhin, daß er nicht weiß, was andere zu wissen meinen (vgl. Platon: Apologie 21d 4ff.) zeigt. Seine eigene man könnte sagen „Lehr-Aporetisierung“ wurde von einem delphischen Orakelspruch provoziert und sie hat ihn - angeblich - dazu berufen, andere in die „Aporie“ genannte Enge zu treiben.

Zu denen, die von Sokrates dergestalt behandelt worden sind, gehört Menon – und der gibt es ihm richtig heraus, indem er aus seiner kognitiven Ausweglosigkeit – in einer Diskussion über das Wesen der Tugend - heraus zu einer praktischen Replik ansetzt – wenn auch nur im Sinne einer vagen Drohung: du mit deiner Gesprächsführung, du tust gut daran, unsere Stadt nicht zu verlassen; wenn du dich anderswo als Fremder derart aufführen würdest, würde man dich als Zauberer festnehmen (vgl. Platon: Menon 13, 80). Eine heimtückische Warnung: denn genau in seiner Heimatstadt sollte Sokrates festgenommen werden und nicht nur das.

Wir können sagen, daß zwischen dem sokratischen Aporetisieren, einer Art Mitbürger-Belästigung, und dem aristotelischen Aporien-Buch, einem rein theoretischen Fragenkatalog, ein bestimmter Zyklus von Philosophieren in Gang gesetzt worden ist: auf der Strecke dazwischen liegen noch die positive Formulierung der platonischen Lehre sowie die Inangriffnahme der objektsprachlichen Untersuchungen des Aristoteles über die Lebewesen, die Seele, den Himmel, die praktischen und die poietischen Tätigkeiten. Mit dem Aporien-Buch dürfte dieser Zyklus – nennen wir ihn den klassisch-athenischen - allerdings nicht zum Abschluß gekommen sein; denn es bringt ja nur den methodischen Einstieg in die sogenannte gesuchte Wissenschaft, die ein anderes Niveau erreichen will als die vielen Einzeluntersuchungen. Aber genau wissen wir noch nicht, wohin die Aporien-Behandlung wirklich führen wird.

In der Nennung der aristotelischen Aporien folgt nun die Frage, ob nur die Wesen zu betrachten sind oder auch die Akzidenzien der Wesen an sich bzw. zu welcher Wissenschaft mehrere Grundbegriffe gehören, von denen die Dialektiker ausgehen, deren Präzisionsgrad zwischen dem der Wissenschaftler und dem der Rhetoriker liegt. Weiterhin eine anders spezialisierte Fragestellung in bezug auf Akzidenzien. Dann die Frage, ob sich die Prinzipien aus der Gattungszugehörigkeit bestimmen oder aus den Bestandteilen. Sodann die Frage, ob das Gattungsprinzip außerhalb des Individuums und höherrangig existiert. Das sind nun lauter aristotelische, zum Teil auch platonische Fragen.

Walter Seitter


PS.: Am kommenden Mittwoch um 16 Uhr Lektüre von Aristoteles Physik II, 1 und Martin Heidegger „Vom Wesen und Begriff der Physis. Arisoteles, Physik B,1" – mit Peter Berz (Berlin).

PPS.: Kunsthistorisches Museum
      Dienstag, 13. November: Ausstellung „Bunte Götter“
      16 Uhr: Oliver Primavesi (München): Winckelmann als
      Entdecker der Farbigkeit der griechischen Skulptur



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