τὸ μὲν οὖν αἰσθάνεσθαι ὅμοιον τῷ ... νοεῖν.

Das Wahrnehmen nun ist ähnlich dem ... vernünftigen Erfassen.

Aristoteles (De Anima III, 7: 431a)

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Freitag, 16. Mai 2014

In der Metaphysik lesen (1007b 2 – 1008b 20)

Das Buch IV hat eine merkwürdige Struktur. Auf den ersten Seiten wird eine vollkommen neue Version der „gesuchten Wissenschaft“ bzw. der Ersten Philosophie entworfen: Betrachtung des Seienden als seienden mit Vervielfältigung des Sagens des Seienden und Nennung einiger Seinsmodalitäten, von denen nur die erste, nämlich das Wesen, als Ursache oder Prinzip gilt und zwar als immanentestes Prinzip; die anderen Seinsmodalitäten umfassen die Akzidenzien sowie vom Wesen eher noch weiter entfernte Modalitäten – bis hin zu dessen Negation. Anschließend Aufstellung des allgemeinsten Axioms, das sich auch auf alle Seienden bezieht, aber nicht eine Seinsmodalität ist sondern ein Gesetz fürs Sprechen und als solches ein höchstes Prinzip. Dann geht es seitenlang um die Beweisführung für dieses Axiom oder vielmehr um die Widerlegung seiner Negation. Hier wird die Negation ausgeschlossen und im Zuge dieser Ausschließungsbemühung findet eine Art Kampf gegen die Überwältigung des Wesens durch die Akzidenzien statt. In dieser dialektisch-kritisch-polemischen und nicht enden wollenden Widerlegung insistiert Aristoteles auf der Unterordnung der Akzidenzien, denn nur mit ihr lassen sich die Bestimmtheit des Sprechens und die Bestimmtheit des Wollens aufrechterhalten. Ein wichtiges Mittel zur Vermeidung des Nicht-Sprechens im Sprechen sei die Unterscheidung, mit der jeweils bestimmt wird, wovon die Rede ist.
In der Folge wird der Sophist Protagoras (490-411) zum Hauptvertreter der bekämpften Lehre erklärt, derzufolge es nur Meinungen gibt, welche alle wahr seien.
Nun fand gestern ein Vortrag von Thomas Buchheim (München) zum Thema „Der Mensch als Maß der Dinge. Das Protagoreische Prinzip und seine Aufnahme bei Aristoteles“ statt. Darin wurde dargestellt, daß die Ansichten des Protagoras, die als relativistisch gelten, mit seinem sogenannen Homo-Mensura-Satz zusammenhängen, der lautet: „Der Mensch ist das Maß aller Dinge, der Seienden, daß sie sind, der Nichtseienden, daß sie nicht sind.“ Protagoras war für Aristoteles ein längst bekannter „Fall“, denn Platon hatte sich in mehreren Dialogen ausführlich mit ihm auseinandergesetzt und ihm den Deus-Mensura-Satz entgegengesetzt.

Nach Buchheim hat sich Aristoteles der sokratisch-platonischen Gegenstellung zu Protagoras nicht einfach angeschlossen. Vielmehr hat er die protagoreische Errungenschaft des Messens des Seienden und des Nichtseienden zum Prinzip seiner Ontologie gemacht und er hat sogar den protagoreischen Vorrang des Meinens und des Scheines in gewissem Sinn übernommen, nämlich als Ausgangsebene für die Bemühungen um Wahrheit.

Walter Seitter


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Sitzung vom 14. Mai 2014

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