Extraglosse
Auch eine Art Substanzialismus?
In der Frankfurter Allgemeinen vom 7. Juni 2018 erschien
ein Artikel (von Christian Geyer) mit dem Titel „Gibt es Germanen?“, in dem
Caroline Sommerfeld als „Denkerin der deutschen Substanz“ vorgestellt wird.
Caroline Sommerfeld-Lethen hat Philosophie studiert und das Buch Wie
moralisch werden? Kants moralistische Ethik (Freiburg 2005)
publiziert.
Sie lebt seit einigen Jahren in Wien, um 2015 schlug sie
sich auf die Seite der politischen Gruppe „Die Identitären“ und vertritt deren
Thesen, die sie mit Vokabeln aus unterschiedlichen Gebieten zu verdeutlichen
sucht. Sie spricht von „Deutschsein“ als „Substanzbegriff“, sie meint, dass
diese Kategorien „erkenntnistheoretisch vorgängig“ seien, sie bedauert, dass
das „Bewusstsein für das Eigene, deine eigenen Gene“ verloren gehe. Es gehe um
eine „Reparatur des erodierten kulturellen Gedächtnisses“, in dem die heroische
Größe jener Germanen aufgehoben sei. Es werden also sowohl biologische wie auch
historische Dimensionen aufgerufen, um in der gegenwärtigen politischen
Situation eine bestimmte Orientierung plausibel zu machen.
Es erscheint klar, dass die für jene Dimensionen
zuständigen Wissenschaften daraufhin befragt werden müssten, wie sich die
entsprechenden Sachverhalte in ihrem Licht darstellen.
Ich möchte hier allein Sommerfelds Verwendung des
Substanz-Begriffs kommentieren – denn offensichtlich zieht sie diesen Begriff
dazu heran, ihren politischen wie auch den angeblich empirischen Aussagen eine
höhere Weihe im Sinne einer philosophischen Objektivität und Fundamentalität zu
verleihen.
Mit der aristotelischen Fassung des Substanz-Begriffs ist
seine sommerfeldsche Applikation – egal ob auf die Deutschen oder auf die
Germanen - nicht kompatibel. Diese beiden Volksbegriffe – der eine mit seinem
Bezug auf weit zurückliegende Entitäten, der andere seit ungefähr elf
Jahrhunderten gebräuchlich – bezeichnen gewisse menschliche Gruppen (und
Individuen) aber substanzialisiert im Sinne des Aristoteles kann da nur die
Qualität des Menschseins werden.
Alle Einzelwesen können substanzielle Qualität und
Stabilität nur über ihre Zugehörigkeit zu einer Artbestimmtheit, zu einer
Spezies gewinnen – in diesem Fall zu menschlichen Spezies.
Substanzalität heißt Fähigkeit zu eigenem individuellem
Exis†ieren – aber nur im Rahmen einer bestimmten Spezies (und entsprechend
deren Vorgaben). Für Germamen oder Deutsche heißt diese Spezies „Mensch“.
Menschen, die sich als „Deutsche“ bezeichnen oder etwas
gewagter sich gar den „Germanen“ zurechnen, mögen das tun. Sie artikulieren
damit aber nur akzidenzielle Eigenschaften. Sie können diese Eigenschaften für
so wichtig nehmen wie sie wollen – logisch übergeordnet ist ihnen die
Eigenschaft des Menschseins.
Wenn Caroline Sommerfeld die von Aristoteles
eingeführte, d. h. aus bestimmten Gründen erfundene Kategorie „Substanz“
aufgreift, so kann man ihr das natürlich nicht verbieten. Aber sie muss sich
sagen lassen, dass sie die aristotelische Erfindung verfehlt, eigentlich
missbraucht. Ein Motiv für diese Erfindung lag darin, eine Seinsmodalität
auszuzeichnen, in der sich alle Elemente einer Spezies gleichen: „Kein Mensch
ist menschlicher als irgendein anderer.“ Aber deutscher als ein anderer
kann ein Mensch schon sein. Vielleicht, wie auch immer.
Walter Seitter
Nächste Sitzung am 13. Juni 2018
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