Das Buch VII, dessen Lektüre uns nun seit dem Juni des Vorjahres beschäftigt, konzentriert sich im Unterschied zu den früheren Büchern auf ein Spezialthema, nämlich das Wesen. Daraus muss man aber nicht schließen, dass es das Untersuchungsfeld, das man „Ontologie“ nennt und das explizit im Buch IV begründet worden ist, verlässt und etwa ein neues aufmacht.
Der Grundbegriff der
Ontologie scheint das „Seiende“ zu sein – ein Begriff, der unseren Ohren
hölzern klingen mag, dieses Partizip Präsens in dritten Geschlecht. Ein
Begriff, dessen Allgemeinheit ins Vieldeutige geht, weil er sehr
unterschiedliche Seinsmodalitäten bezeichnet – vom starken Wesen bis zur
schwachen (?) Relation. Also eigentlich gar kein Begriff, sondern eher ein
Grundwort, ein explodierendes, fast homonymes. Obwohl so allgemein, bezeichnet
das Wort nicht eine Gattung, wie man vermuten möchte, zu der dann die
Unterschiede kommen. Sondern es schmiegt sich den Seinsmodulierungen an, von denen
das Wesen die dominante ist. Das „Wesen“ ist der Hauptbegriff der Ontologie –
und der ist wieder so gewichtig, dass er eine ganze Reihe von Synonymen um sich
hat, die seine verschiedenen Nuancen ausdrücken. Vieldeutigkeit des
Seienden und Vielnamigkeit des Wesens - das sind die
beiden Multiplizitäten der aristotelischen Ontologie (ohne dass
ich jetzt die vielen Entfaltungsbegriffe, es sind mindestens zwanzig, genannt
hätte).
Die sogenannte Metaphysik,
also dieses Gesamtbuch, behandelt neben der Ontologie noch ein anderes Feld –
die Theologie (die quantitativ nur marginal ist).
Im Abschnitt 15 führt
Aristoteles aus, dass sowohl Einzeldinge, z. B. menschliche Individuen, wie
auch „Ideen“ (im platonischen Sinn) nicht definierbar und folglich nicht wissenschaftlich
behandelbar sind.
Zum Beispiel die
Unmöglichkeit von „dich definieren“ (1040a 13): mit der Angabe von qualitativen
Bestimmungen körperlicher oder seelischer oder geistiger Art kann ich nicht
sicher sein, dass sie nur dir zukommen und sonst niemandem. Der Vorschlag, den
Namen als Bestimmung anzugeben, geht fehl, weil Eigennamen von vornherein keine
Begriffe sind. Und eine andere Bestimmung – nämlich die Einnahme einer
bestimmten Raumstelle zu einem bestimmten Zeitpunkt, könnte zwar ein Individuum
treffen, liefert aber keine Qualitäten. Die Aussage, ein veränderliches und
vergängliches individuelles Ding könne nicht Gegenstand von Definition und
folglich von Wissenschaft sein – widerspricht sie einer anderen aristotelischen
Aussage, nämlich in 1037a 14, die Betrachtung und Definierung der sinnlich
erfassbaren Wesen sei Aufgabe der Physik?
Nach Aristoteles gibt
es auch ewige und strikt individuelle, nämlich einzigartige Dinge wie Sonne und
Mond. Auch sie können nicht definiert werden, weil jede Definition ihnen auch
allgemeine Bestimmungen zuschreiben müsste, die ihre Einzigartigkeit
beeinträchtigen würde. Mir scheint, dass die heute von manchen vertretene
„Gaia-Hypothese“ eine ähnliche Auffassung von der Erde suggeriert: als einem
einzigartigem quasi-lebendigen und göttlichen Wesen. Und eine platonische Idee
wäre nach Aristoteles auch so ein undefinierbares Ding.
Walter Seitter
Sitzung vom 10. Oktober
2018
Nächste Sitzung am 17.
Oktober 2018
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen