Im letzten Januar habe ich auf den französischen Philosophen
Bernard Sichère hingewiesen, der eine Untersuchung zur aristotelischen
Philosophie vorgelegt hat.
Heute berichtet Gerhard Weinberger über Sichère, der vor seiner
Studie Aristote au soleil de l’être (Paris 2017) eine
Neuübersetzung der Metaphysik unternommen hat
und damit gewissermaßen zu einem „Kollegen“ unseres hiesigen
Unternehmens geworden ist, aus dem bereits die Publikation Aristoteles
betrachten und besprechen (Metaphysik I-VI), (Freiburg-München 2018)
hervorgegangen ist.
Bernard Sichère (geb. 1944), ein Philosoph aus der Althusser-,
Lacan-, Mao-Schule, bemerkte viele Jahre nach seiner Jugendzeit, dass ihm die
damalige Platon- und Aristoteles-Lektüre mit ihren an der lateinischen
Scholastik orientierten Übersetzungen wohl kein Verständnis für jene
Philosophen gebracht habe. Er lernte von Martin Heidegger, dass es notwendig
sei, sich in die griechische Sprache hineinzuarbeiten und sich von da aus den
Texten zuzuwenden. Griechische Grundbegriffe der Philosophie wie „Spezies“ oder
„wissen“ stammen direkt aus dem Wortfeld „sehen“ (eidos, eidenai).
Das in die modernen Sprachen eingegangene Wort „Theorie“ bedeutet im
Griechischen eine Grundhaltung, die vom Staunen ins Sehen und Anders-Sehen
übergeht – und keineswegs ein System von Aussagen und Beweisen. „Vita
contemplativa“ ist ein anderer – allerdings lateinischer - Ausdruck dafür.
Das, was gesehen wird, das sind einerseits plötzliche,
veränderliche, andererseits beständige und vielleicht ewige Dinge. Daraus folgt
die Unterscheidung von Physik und Metaphysik.
„Ousia“ übersetzt Sichère mit „Präsenz“, „to-ti-en-einai“ nennt
er eine barbarische Wortschöpfung; damit ist er immerhin zum Staunen darüber
gelangt, anstatt das Wort einfach zur Kenntnis zu nehmen. Auch ich
„stolpere“ über gewisse aristotelische Wortbildungen – und würde
„to-ti-en-einai“ als kunstvolles Handwerksprodukt bezeichnen (in welches das
Wort „sein“ in zwei verschiedenen Formen eingebaut ist); das einfachere „to on“
empfinde ich als ziemlich hölzern, wobei ich allerdings mehr das deutsche
„Seiende“ meine. Wie fühlt sich „to on“ im Griechischen an?
Als umfassenden Begriff setzt Sichère den Infinitiv „das Sein“ –
womit er vom aristotelischen Sprachgebrauch eher abweicht und sich in Richtung
Heidegger bewegt.
Soweit ein erster Einblick in Sichères Beschäftigung mit
Aristoteles.
Walter Seitter
Sitzung vom 31. Oktober 2018
Nächste Sitzung am 14. November 2018
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