In dem schon zuletzt
genannten Buch von Ralph Rhenius geht es um die Frage, ob Aristoteles seine
frühe Substanzenlehre (in den Kategorien) in der Metaphysik nur
umformuliert oder ob er sie neu konzipiert. In der frühen Fassung unterschied
Aristoteles die Primärsubstanz und die Sekundärsubstanz: die erste war das
Individuum und die war das Ganze; die zweite, die Form, war ein Teil des Ganzen
– aber eben der wesentliche Teil und der hieß auch „Substanz“ und zwar
sekundäre.[1] In der späteren
Fassung ist die Substanz aus Stoff und Form zusammengesetzt. Zuerst eine eher
logische, dann eine eher physikalische Konzeption.
Die hat später den Namen „Hylomorphismus“ bekommen –
und sie hatte sich zu bewähren, wenn Entstehung, Veränderung, Vergehen,
Bestehen verständlich werden sollten. Dabei handelt es sich nämlich immer um
körperliche Substanzen.
Die Verwandlungen zwischen Wasser, Wein, Essig – und
Wasser werden von Rhenius so kommentiert: „Wein ist die Spitze der
Entstehungspyramide und der auf Wasser aufbauenden Hierarchie. Essig, als
Abbauprodukt des Weines, reicht in seiner Komplexität nicht an Wein heran, Wein
ist des Wassers positives Ziel bzw. telos. Essig des Wassers
negatives Ziel ...“.[2]
Zu diesen teleologischen
Aussagen bemerke ich, dass sie insofern zu differenzieren sind, als der Wein
ein Artefakt ist und sein Teloscharakter eine Sache der menschlichen
Weinkultur. Der Essig entsteht tatsächlich aus der Zerstörung der „Natur“
des Weines; für seine Herstellung sorgt indessen ein eigener Zweig der
Nahrungsmittelindustrie – mit eigenem Essig-telos. (Damit ist wieder die
Ebene der Institutionen berührt, die wir in der Diskussion im Hinblick auf
Wissenschaft, Literatur geführt haben)
Im Text fährt
Aristoteles so fort, dass er die „Teilhabe“ als Lösungsvorschlag für das
ontologische Verständnis der Dinge herbeizitiert; er meint damit den
platonischen Vorschlag und hält ihn für wenig tauglich, weil unklar.
Stattdessen erwähnt er den ungefähr zeitgenössischen Philosophen Lykophron mit
der Definition, die Wissenschaft sei ein „Zusammensein von Wissen und Seele“.
Auch Aristoteles hat die Wissenschaft öfter definiert – aber als Wissen von
bestimmter Art und von bestimmten Gegenständen. Trotzdem hat er gegen die
zitierte Definition nichts einzuwenden, vielmehr nennt er weitere Definitionen,
die demselben Schema folgen: leben oder gesund sein als Verbindungen, deren
Träger die Menschensubstanz, also Seele bzw. Körper ist. Oder: dreieckiges
Erz sein oder weiß sein – ebenfalls als Zusammensetzungen. Hier werden immer
rein verbale Bestimmungen, Vollzüge definiert (daher „leben“ klein geschrieben)
und darin könnte man ein Kippen in eine andere Ontologie sehen. Aristoteles
nennt indessen selber eine Erklärung ja eine Begründung für diese Redeweise. Es
ist der enge Zusammenhang zwischen Möglichkeit und Wirklichkeit, die wie Stoff
und Form komplementär aufeinander bezogen sind, und diese Bezogenheit hat
eben einen „verbalen“, d. h. prozessualen Charakter. Was in den modernen
Wörtern „Dynamik“ und „Energie“ noch nachklingt.
Am Schluss ein winziger
Ausblick auf das Gegenteil von all dem, auf das, was einfach eines ist: nur
eines, rein eines, „einstes“.
Aber das interessiert
hier Aristoteles gar nicht. Er deutet nicht einmal an, was damit gemeint sein
könnte. Er zieht es auch nicht heran als dasjenige, an dem die weniger einen
Dinge teilhaben müssen, um überhaupt sein zu können (das würde dem platonischen
Vorschlag entsprechen).
Am Anfang des gelesenen
Absatzes ist Aristoteles von dem ungenannten aber sehr bekannten Platon
übergegangen auf den eher obskuren Lykophron (der sich durch übertriebene
demokratische Neigungen bei Platon und vielleicht auch bei ihm unbeliebt und
bei einem gewissen Popper beliebt gemacht hat). Dieser Lykophron ist ihm
irgendwie dazwischengekommen und von dem übernimmt er die synousia,
die auch die Vereinigung der Geschlechter meint und die „Substanz“ in Richtung
„Kon-Sis†enz“ verschiebt und vielleicht einen ontologischen Primat der
Relation andeutet. Die hiesigen Dinge haben ihre Konsistenz, die eine
schwächere ist als die des Nur-Einen, eine weniger feste Koppelung, eine
vielleicht „borromäische“, wie Lacan sagen würde. Eine spannungsgeladene
Konsistenz mit einer gewissen Inkonsistenz.
Mitten in den
sogenannten Substanz-Büchern zeigt sich hier, dass die Suchbewegung, die in
Buch I als solche deklariert worden war, immer noch eine solche ist: eine
Kompromißbildung aus Programmatik und Akzidenzialismus. Die Metaphysik hat
bisherigem Augenschein zufolge nicht die Einheit einer Definition eines Begriffs
– sie ist nicht eine übermäßig eine Rede. Wir haben
die Metaphysik nach dem Augenschein zu beurteilen – nicht nach
vorgefassten Meinungen von „antiker Philosophie“.
Wolfgang Kochs Frage,
was von der Aussage zu halten sei, die „Formen“ seien unentstanden und
unvergänglich, dürfte so zu beantworten sein, dass es sich dabei um eine
platonische Dimension im aristotelischen Denken handelt. Und die kappt
Aristoteles stellenweise selber: etwa wenn er die „Natur“ der Tragödie
entwicklungsgeschichtlich historisiert. Man könnte auch sagen: das
aristotelische Denken ist „zusammengesetzt“ aus platonischen und
nicht-platonischen Elementen. Eigentlich keine sehr neue Erkenntnis.
Walter Seitter
Seminarsitzung vom 6.
Februar 2019
Nächste Sitzung am 13.
Februar 2019
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen