Axiome sind unbeweisbare Sätze,
die sich auf alle Seienden beziehen und daher vom Philosophen aufzustellen
sind, der das Seiende allgemein und das erste Wesen betrachtet (1005a 35) –
diese Definition des Philosophen scheint die beiden Untersuchungsrichtungen der
„gesuchten Wissenschaft“ zu unterscheiden und zusammenzustellen. Die
vorsokratischen Naturphilosophen haben gemeint, ihnen obliege diese
philosophische Aufgabe. Aber Aristoteles deklariert, daß die „Natur nur eine
Gattung des Seienden“ ist. Folglich ist die Wissenschaft von der Natur nicht
die gesuchte Wissenschaft, wohl aber ist sie eine Philosophie – doch nicht die
erste. So nähert sich Aristoteles seiner später getroffenen Feststellung, die
Physik sei die „Zweite Philosophie“. Was aber ist die andere Gattung des
Seienden neben der Natur? Etwa die Kultur - Kunst, Technik, techne? An
dieser Stelle denkt er wohl kaum in dieser Richtung, die unserer heutigen
Erkenntniseinstellung näher liegen würde (in der Physik stellt er
tatsächlich die beiden Bereiche als Kausalitätsfelder nebeneinander). Sondern
er denkt wohl an die Gegenstände der Ersten Philosophie.
Da Aristoteles die Vorlesung
zur Physik vor der von uns jetzt gelesenen gehalten hat, dürfen wir die
didaktische Reihenfolge - „Zweite Philosophie“ vor „Erster Philosophie“ – für die
von ihm empfohlene halten. Ausdrücklich aber postuliert er die Reihenfolge –
„Analytik“ (also Logik) vor der (Ersten) Philosophie (und wohl auch vor der
Zweiten). Die Vorschaltung der Logik unterscheidet ihn von seinem Lehrer
Platon, der die Geometrie vorangestellt hat (und damit Pythagoras nahestand).
„Axiome“ oder „syllogistische
Prinzipien“ heißen die Prinzipien, um die es hier geht. Und es gilt, das
sicherste, das erkennbarste, das täuschungsfreieste ausfindig zu machen, damit
die Erste Philosophie ihrem „superlativischen“ Anspruch gerecht wird.
Was unsere jahrelange
Lektüretätigkeit betrifft, so entspricht sie nicht vollkommen der
aristotelischen Studienordnung, denn wir haben zuvor weder die Physik
noch die Analytik gelesen. Die Poetik könnte am ehesten als
Kulturwissenschaft gelten, sie weist aber auch Ähnlichkeit mit einer
„physikalischen“ Wissenschaft auf: die Dichtung hat auch natürliche Ursachen,
die Tragödie hat sich entwickelt, bis sie ihre Form gefunden hat, und ein gutes
Dichtwerk wirkt wie ein eindrucksvolles „Tier“. Gab es da auch so etwas wie
Analytik, Syllogistik? Die Tragödie soll nach Aristoteles eine wahrscheinliche
Verkettung aus „unwahrscheinlichen“ Einzelmomenten sein: ein höchst paradoxer
multipler narrativer Syllogismus aus Überraschungen. Eine
Notwendigkeitsverknüpfung aus Unmöglichkeiten.
Walter Seitter
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Sitzung vom 12. März 2014
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