Im zuletzt gelesenen Abschnitt hat Aristoteles vier
unterschiedliche Definitionen angeführt, die alle mit Zusammensein, Verbindung
oder Zusammenstellung operiert haben. Aristoteles hat diese Definitionen nicht
abgelehnt, sondern erklärt, worauf sie zurückzuführen sind – nämlich auf
Einung und Unterscheidung von Vermögen und Vollendung sowie von Stoff und Form,
deren Zusammensetzung ja das Wesen konstituiert. Diese Konstituierung macht
jedes Wesen zu einem einen, aber eben zu einem zusammengesetzten, wofür
wiederum der Übergang vom Vermögen zur Vollendung ursächlich ist. Meine
Hypothese ist, dass mit der Zusammensetzung Akzidenzielles ins Innere des
Wesens Einzug hält – entweder das Akzidens der Relation oder aber
Akzidenzialität überhaupt, die griechisch Symbebekotita (?) –
Zusammengekommensein - heißt; und den Übergang nennt Aristoteles selber
eine Bewegung (die eine Kombination aus mehreren Akzidenzien ist) (1045b 25).
Also meine Hypothese: der aristotelische Substanzialismus ist zuinnerst von
Akzidenzien affiziert. Die Einheit der Substanzen ist keine reine. Dazu kommen
natürlich noch die Akzidenzien, die den Substanzen äußerlich anhängen.
Anfang von Buch IX
Erinnerung an das früher Gesagte über die Ordnung der Kategorien
mit dem Primat des Wesens über die Akzidenzien. Aber jetzt werden den
Kategorien weitere Aussageformen offiziell hinzugefügt – die bereits ins Spiel
gebrachten Vermögen und Vollendung. Es scheint ungewiss, dass sie in eine Reihe
mit den Kategorien zu stellen sind, eher bilden sie eine eigene Ebene und
können mit allen Kategorien kombiniert oder konfiguriert werden (etwa mit dem
Wesen, wie wir schon gesehen haben).
Zunächst bespricht Aristoteles das Vermögen (oder auch verbal
„vermögen“, „können“) in unterschiedlichen Kombinationen mit den beiden
Seinsmodalitäten wirken und leiden (affiziert werden) und mit der Veränderung.
Vermögen zu einer Veränderung in einem anderen; Vermögen des Affiziertwerdens
als ein im Affizierten selbst enthaltenes Prinzip der affektiven Veränderung
durch ein anderes; Zustand einer Unaffizierbarkeit (Apathie!) zu einem
Schlechteren oder zu einer Zerstörung; Vermögen zum Nur-Bewirken oder zum
Nur-Affiziertwerden oder zum Richtig-Bewirken oder zum Richtig-Affiziertwerden.
Hier werden diverse Möglichkeiten aktiver und passiver,
erwünschter oder weniger erwünschter Dispositionen unter dem Gesichtspunkt des
„subjektiven“ Könnens durchdekliniert – wobei die „Subjekte“ nicht unbedingt
Menschen sein müssen. Dynamis heißt Kraft, Fähigkeit – Fähigkeiten werden auch
dort unterstellt, wo es nur ums Passivsein geht oder aber ums Nicht-Passivsein.
„Man“ hat eben diese oder jene Fähigkeit und „man“, das kann auch ein Stück
Holz sein – das kann brennen. Andere können das nicht.
Ein latenter Animismus? Jedenfalls ein multipler Dramatizismus.
Walter Seitter
Seminarsitzung vom 13. Februar 2019
Nächste Sitzung am 20. Februar 2019