τὸ μὲν οὖν αἰσθάνεσθαι ὅμοιον τῷ ... νοεῖν.

Das Wahrnehmen nun ist ähnlich dem ... vernünftigen Erfassen.

Aristoteles (De Anima III, 7: 431a)

* * *

Dienstag, 31. Mai 2022

In der Metaphysik lesen * Hermann – Lektüre 14 (65vG - 65rC)

 Mittwoch, am 25. Mai 2022

 

An Beginn der Sitzung wurden Fragen nach dem Ort Gottes aufgeworfen, die aus der bisherigen Lektüre von Hermanns Text nicht zu beantworten sind. Im Text ist der Ort Gottes nicht vorhanden, er ist mehr als eine Wirkursache für den Aufbau der Welt wichtig, als ein Anstoß bei der Einrichtung des kosmischen Gefüges, um die Zeugung und den Lauf der Generationen beginnen zu lassen. Sehr ähnlich äußert sich auch Walter in einem schriftlichen Statement, dass er mir während der Niederschrift dieser Zeilen zukommen ließ. Er schreibt darin:

 

“Im bisher Gelesenen scheint die christliche Theologie nur für die Konzeption des Schöpfers eine Rolle zu spielen, nicht aber für den ‚Betrieb‘ der Welt. Daher ist wohl auch die Frage nach der räumlichen Situierung Gottes nicht relevant.“

 

Wolfgang Koch beharrt auf einer Position Gottes in der Welt, wenn auch im Himmel, zumindest für die mittelalterlichen Vorstellungen. Mir scheint es, dass Gott und Welt nicht zugleich am selben Ort sein können, weder bei Aristoteles noch bei Hermann, aber wie gesagt, wir befinden uns im Text bei der Positionierung der Sonne und der Planeten und deren metaphorischen Funktionen.

 

Es geht Hermann um die Position der Sonne als Erste und die Frage, welcher der Planeten eigenes Licht hat. Das trifft nicht auf den Mond zu, der nur in dem Teil scheint, der die Sonne sieht, wie es Hermann formuliert, und wenn der Mond gänzlich in die Schattenpyramide der Erde gerät, wird er durch die Einnahme des ganzen Raumes verdunkelt. Mittels der Veränderungen der Schattenpyramide und einer Messung des Umkreises der Erde versucht Hermann die Abstände zum Mond in den verschiedenen Umlaufphasen zu bestimmen. Für Venus und Merkur wird ein eigenes Licht angenommen, da diese im Umlauf sich unterhalb der Sonne befinden und keine Schwankungen der Helligkeit aufweisen. Außerdem stehen sie in keiner Opposition zur Sonne, denn wenn sie hinter der Sonne stehen würden, behinderte die Sonne unseren Blick, stünden sie aber zwischen der Sonne und der Erde, würde die Sonne sie überstrahlen.

Aber einen Versuch wäre es wert gewesen, den guten Wert der Entfernung von Erde und Mond von 30 Erddurchmessern bei Hipparch zu nehmen und damit andere Entfernungen der Planeten zu bestimmen. Einen Venusdurchgang zu beobachten gelang erst nach den Berechnungen von Kepler, er wäre aber freiäugig möglich zu beobachten, mit einem Sonnenfilter, nur tritt dieses Ereignis nur sehr unregelmäßig auf, mit Abständen von bis zu 120 Jahren. Dabei war die Messung der Entfernung von Erde und Mond von verschiedenen Punkten der Erde der entscheidende Durchbruch bei der Bestimmung der Entfernung.

Hermann versucht uns mit einer kleinen Graphik zu betören, wobei der untere größere Kreis den Umlauf der Sonne um die Erde darstellen soll, die kleinere Kugel B die Erde und die größere auf dem Umkreis gelegene Kugel A die Sonne sein soll. Um die Sonne wird ein Umkreis gezogen, worauf die Venus als kleinere Kugel D eingezeichnet wird. Mit Kegelschnitten vom Durchmesser der Sonne zur Venus und darüber hinaus und von der Venus zur Erde soll gezeigt werden, das die jeweiligen Durchmesser nicht in ein rechtwinkeliges Verhältnis kommen. Dabei ist erstaunlich, dass Hermann die Venus schon um die Sonne kreisen lässt, aber keine Finsternis der Venus erwartet.

 


 

Als nächstes versucht Hermann aus guter alter pythagoreischer Tradition heraus, die Abstände zwischen den Himmelskörpern aus den Bewegungen zu verstehen. Dabei kommt er auf die Ungleichheit der Bewegungen zu sprechen, die sich aus der verschiedenen Schwere der Körper ergeben und eine mögliche Verlangsamung durch gegensätzliche Antriebe. Wenn sich aber die Planeten gleichartig bewegen, würde der Unterschied des Kreislaufes einer Ungleichheit der Kreisläufe entsprechen. Diese Ungleichheit wird jetzt als ein Maß der Entfernung genommen und verschiedene Entfernungen zu den einzelnen Planeten untereinander bestimmt. So ist der Saturn 15 mal den Halbdurchmesser des Sonnenkreise entfernt und vom Saturn zur achten Sphäre würde es 366 mal der Abstand des Saturn zur Erde betragen.

 

Dabei kommt Hermann auf das große Jahr von 36 000 Sonnenjahren zu sprechen, wo dann die Himmelskörper an der selben Stelle auftauchen. Das wird aus Abu Ma´shar genommen, ist aber in dieser Form im lateinischen Abendland für einige Jahrhunderte bestimmend – es handelt sich um ein Phänomen der Drehung der Erdachse, der Präzession.

 

Zum Abschluss dieses Abschnitts zweifelt Hermann an der Gleichartigkeit der Bewegungen der Gestirne und möchte die Abstände neu vermessen und die Entfernung zum Mond durch verschiedene Parallaxen an vier Positionen und den Vergleich der Finsternisse bestimmen.

 

Walter Seitter schreibt noch:

„Sonne und Mond als Eltern der Welt bestätigen wohl die Geozentrik, damit auch Anthropozentrik. In dem Text von Hermann wird die Anthropozentrik auch durch das relativ ausführliche Eingehen auf die wissenschaftstheoretischen oder vielmehr -technischen Dinge bestätigt.“

 

Ich spüre bei Hermann Begeisterung für astronomische Verfahren und gleichzeitig Überforderung mit der Aufgabe der Himmelsvermessung ohne die Unterstützung durch Gruppen und Institutionen, die diese Forschung unterstützen und begleiten.

 

 

Karl Bruckschwaiger

 

Nächste Sitzung: 1. Juni 2022, Aristoteles, Metaphysik, XIII. Buch, ab 1079b, 34

Freitag, 20. Mai 2022

In der Metaphysik lesen (1079b 20 – 34)

 Mittwoch, am 18. Mai 2022


Auch der Leser muß aktiv mitgestalten an dem, was der Schreiber zu Papier bringt … Wird der Leser aktiv, erwacht das Gespräch …  er blickt dem Gesicht der Geschichte ins Auge. (Siegward Sprotte)

 

 

*

 

Eingangs kommt Maximilian auf seine frühere Äußerung zurück, die Metaphysik könnte die Wissenschaft vom Unvorstellbaren sein. Eine solche Gegenstandsangabe ist ganz und gar negativ.

 

Immerhin setzt sie das Vorstellbare noch als das Positive, das sie negiert. 

 

Vorstellung könnte man als eine immaterielle  Tätigkeit bezeichnen. Doch diese setzt für ihre Erzeugung und für ihr Bestehen einiges voraus: den physiologischen und psychischen Apparat, den wir mit „ich“ bezeichnen. 

Egal, wie wir ihn bezeichnen, indem wir ihn bezeichnen, gehen wir bereits übers Vorstellen hinaus – zum Sprechen, das sich auf eine Sache bezieht oder beziehungsweise und bei einer anderen Person etwas erreichen will, nämlich das Zuhören.

 

Damit sind wir bei einer materiellen Tätigkeit, die sich am oder im Körper vollzieht, in einem bestimmten Körperteil und von da aus in die Außenwelt zu anderen Körpern vorstößt. Insofern die Tätigkeit mit einer Absicht verbunden ist und bestimmte Mittel zur Erreichung eines Zweckes einsetzt, haben wir damit schon zwei oder drei Gegenstandsfelder ins Auge gefaßt, welche für Aristoteles die Felder für einige erste Wissenschaften darstellen: die Physik als theoretische Wissenschaft von den Körpern; die poietischen Wissenschaften vom oder besser gesagt zum Anfertigen erwünschter Dinge (Sätze, Getränke); die praktischen Wissenschaften, die sich mit den sogenannten sozialen Beziehungen beschäftigen.

Im Verhältnis zu diesen Wissenschaften stellt sich die Metaphysik bei Aristoteles als eine späte, ja eine letzte Unternehmung heraus, die offensichtlich nicht fertig geworden ist. Der deutlichste Hinweis darauf liegt in einer inneren Unordnung des Textes, der immanent als „Theologie“ bezeichnet wird - doch kaum mehr als ca. 10 Seiten sind diesem Thema gewidmet; überwiegend werden logische Probleme abgehandelt, die als Aspekte des Seienden überhaupt dargestellt werden (und deshalb später als „Ontologie“ bezeichnet worden sind).

Selbst dieses Werk wird zunächst nicht „Philosophie“ genannt, sondern ebenfalls „Wissenschaft“ – und zwar als „gesuchte Wissenschaft“: also eine prekäre Wissenschaft. Diese Suche ist wohl irgendwie vorangekommen – aber nicht zu einem abschließenden Ende. Das sehen wir jetzt im Buch XIII, wo Aristoteles sich noch einmal mit seinem Lehrer Platon herumschlägt.

 

Allerdings wird der Inhalt dieses Werks dann doch „Philosophie“ genannt, und sogar „Erste Philosophie“ – eine Rangbezeichnung, die andeutet, daß da von den „ersten“ Dingen gehandelt wird, von den primären Ursachen, von dem, was „vorausgesetzt“ werden muß: als primäres angenommen, aber nachträglich als  solches gesetzt: denknotwendige Bestandteile aller Dinge, Initialimpuls für alle Dinge. Was aber in unserer Erfahrung, auch in unserer Wissenschaftsordnung, auch in der heutigen, nicht im Vordergrund steht.

 

Das sogenannte „Schwarze Loch“ ist ja auch erst vor kurzem erstmals theoretisch und dann photographisch uns bekannt geworden. Ob Aristoteles, wenn er davon erfährt, es als „Erstes Phänomen“ einschätzen würde, das lasse ich dahin gestellt. Falls es sich um einen Schatten handelt, wäre es kein Erstphänomen in seinem Sinne, bestenfalls ein erstes Zweites. 

 

Und da das Gesamtwerk nicht fertig geschrieben worden ist, ist es schlechterdings unmöglich, es „fertig zu lesen“. Diese Unmöglichkeit sollten wir beim Weiterlesen realisieren. Eine Methode hierfür besteht im Einschub des etwas chaotischen Hermann von Kärnten (12. Jahrhundert). Eine andere würde darin liegen, zumindest Teile der Physik nachzulesen, um zu sehen, wie in diesem etwas früheren Buch der Weg zum Unbewegt-Bewegenden (UB) aussieht.

Die Unfertigkeit der aristotelischen Metaphysik (als Verlauf) könne man graphisch etwa mit so einer Figur andeuten, die ich nicht zeichnen kann, mit dem Computer schon gar nicht: 

 

links kommen aus einem sich öffnenden Winkel  zwei Linien hervor, deren untere rhythmisch sich leicht absenkt und wellenförmig nach rechts weiterläuft, während die andere Linie nach oben steigt,  wieder absinkt und dann mehrmals wieder ansteigt, dann steil ansteigt und eine imposante Figur hinzeichnet und dann nach rechts eine Kadenz sucht, um sich mit der unteren Linie zu treffen und zum Abschluß zu kommen.

Jedoch: die beiden Linien, der Grundton und der Oberton finden nicht zusammen, beide hören plötzlich auf und lassen das Ende offen

 

 

*

 

Nun wieder zu unserem Buch XIII. Gegen die Ideenlehre seines Lehrers Platon behauptet Aristoteles, daß die Dinge zu ihrem Existieren und zu ihrem Sosein keine Urbilder brauchen, an denen sie teilhaben. 

Sie brauchen zu ihrem Entstehen Erzeuger, im Fall von Menschen sind das die Eltern, vielleicht auch die Lehrer, aber wenn sie erzeugt sind, dann bestehen sie. Ebenso wie ihre Eltern haben sie ein Wesen sowie Eigenschaften, sie enthalten Möglichkeiten und aktivieren diese, sie sind „eine“ und sie sind zusammengesetzt und sie sind Gegenstand von Aussagen, die wahr sein können. Wenn sie Urbilder hätten, die extra existieren, müßten sich diese vermehren, weil der Mensch wie angedeutet, aus Bestandteilen zusammengesetzt ist: Gattung, Art, Eigenschaften – und dann müßte es jeweils eigene Urbilder geben und der platonische Ideenhimmel, in dem es ja nur ewige Urbilder gibt, würde an Übervölkerung leiden.

 

Man kann sagen, daß Aristoteles die Vermehrung von Entitäten, die man seit jeher den Philosophen zum Vorwurf macht, eingrenzen will.

 

Walter Seitter

 

Mittwoch, 18. Mai 2022

In der Metaphysik lesen * Hermann – Lektüre 13 (65rA - 65vG)

 

11. Mai 2022

In diesem Abschnitt, der von Burnett „das Medium (die Planeten)“ übertitelt wurde, wird die Rolle der Planeten eingehender besprochen. Trotzdem beginnt die Erörterung wieder mit den ursprünglichen Samen und deren Funktion, einen Übergang von Schöpfung zur Zeugung oder von Kosmologie zur Biologie anzuzeigen. Dazu werden Vermittlungsinstanzen zwischen Oben und Unten eingerichtet, die Vermittlungsaufgaben erfüllen und Verbindungen herstellen sollen. Diese Planeten treten mit ihrem Erscheinen am Himmel in ein sichtbares und als musikalisch erkennbares Verhältnis, wenn man die Planeten als Notenschrift liest.

 

Dazu wird Maximilian Perstl als Musiker zu seiner Definition von Harmonie befragt, der sie als zeitgleichen Zusammenklang von zwei oder mehreren Tönen bestimmt, in Absetzung davon werden Töne zeitlich hintereinander als Melodie definiert. Damit könnte es eigentlich nicht nur eine Himmelsharmonie geben, sondern auch Melodien der Planeten selbst.

 

Hermann wiederholt die Entwicklung der Samen aus einer ersten Zeugung und durch Mischung in Samenbeeten hin zur zweiten Zeugung, wobei die Mischung selbst keine gleichen Samen enthalten kann, da diese kein Verhältnis bilden, das zu einer Zeugung führen würde. Dabei wurde schon früher im Text der Unterschied in den Samen mit dem „sexus“ bestimmt und man kann es als Deutlichmachen der Unfruchtbarkeit des Verhältnisses von völlig Gleichen sehen. Aber auch die Mischung von oberen und unteren Samen geschieht nicht freiwillig und muss erzwungen werden. Dazu musste eine vermittelnde Instanz eingeführt werden, die diese Oberen zwingen kann.

Die Zwangsmittel oder Bänder oder Fesseln sind wegen der großen Entfernung notwendig und werden als das Band der Liebe benannt. Dabei sind die Planeten selbst von gemischter Natur, weil sie sich durch ein natürliches Gefühl der Verwandtschaft sowohl mit dem Himmel wie mit der Erde verbunden fühlen müssen. Um die Aufgabe der Verwirklichung der Zeugung zu beginnen, müssen zuerst die Bedingungen auf planetarer Ebene dafür geschaffen werden. In die Mitte der Planeten wird jetzt die Sonne gesetzt, die der hauptsächliche Zündstoff für die Zeugung alles Lebens sein wird. Der Sonne sind die Planeten als neun Schreiber beigeordnet, wenn man deren Bahnen als gezeichnete Linien betrachten mag. Daher kann ihr besonderes Erscheinen oder ihre Stellung am Himmel als eine Ankündigung einer Bedrohung gelesen werden.

Weniger klar scheint die Aufgabe des Mondes zu sein, der eher nur ein Spiegel der Erde mit seinen Flecken und ein Grenzpunkt der unteren Welt zu sein scheint, da er zwar ein himmlischer Körper ist, aber ohne eigenes Licht.

Sonne und Mond werden mit den Belegen der alten Astronomen als Eltern der Welt bezeichnet. Da es jetzt drei Bewegungen der zweiten Zeugung gibt, das Werden, das Vergehen und den Zeitraum dazwischen, so wird die Rolle der anderen Planeten in einem wechselseitigen Zusammenspiel in zweifacher Form besetzt. Die übelwollenden Planeten Saturn und Mars werden durch die beruhigenden und aufrechterhaltenden Gegenspieler Jupiter und Venus in Schach gehalten. Damit bleibt für Merkur, auch wegen der Nähe zur Sonne, und den häufigen Richtungswechseln seiner Umläufe die Rolle des Soldaten der Sonne, der dort seinen Wachdienst verrichtet.

Diese Anordnung hat die Astronomie hinterlassen, damit sich die Astrologie darüber wundern kann, wie Hermann so pointiert formuliert.

 

Um dem Protokoll einen etwas protokollarischen Charakter zu verleihen möchte ich die verspätete Reaktion von Maximilian Perstl zum großen Teil anfügen, der die Verbindung von Musik und Mathematik, zumindestens die Zahlen, stark zum Thema hat:

 

„Wir sprachen von der Harmonie, wenn sich die Planeten in einer bestimmten Konstellation (laut Hermann) kreuzen: Ich fügte hinzu, dass die Harmonie im Sinne der Musik auf 12 harmonische Begriffe abzuleiten ist. In der westlichen Welt gibt es 12 Harmonien insgesamt (wenn man mikrotonale Harmonien ausschließt), und davon sind Terz, Quart, Quint wahrscheinlich am bekanntesten. 

Eine Harmonie entsteht durch einen spezifischen Abstand zweier Noten (wir nehmen jetzt zwei, um es zu vereinfachen). 

Eine große Terz (es gibt auch eine Verminderte) hat die Besonderheit, dass zwischen Grundton und zweitem angespielten Ton genau 3 Halbtöne liegen. Im Sinne einer Terz in C wären das also die Noten C und E. Zwischen C und E liegen nämlich Cis, D, Dis. Hierbei aufpassen, denn die Denkweise bzw. Zählweise unterscheidet sich oft stark unter den Musikern. Manche meinen, es wäre logischer, eine große Terz in C mit 4 Halbtonschritten zu zählen, wobei man dann auf dem 4. Halbton endet (natürlich ebenfalls ein E), und nicht die Halbtöne zwischen Grundton und harmonisierendem Ton zählt - ich präferiere Ersteres, wahrscheinlich weil indoktriniert. 

 

Mathematik u. Physik helfen, um die Harmonie in ihrem Verhältnis zu verstehen: Die reine (also auf einem perfekt intoniertem Instrument), große Terz entspricht dem mathematischen Verhältnis von 5:4, also 1,25. Die Note C4, auch "mittleres C" genannt, liegt, auf dem Einheitssystem für Frequenzen, geschaffen von Heinrich Hertz, bei 261.626 Hz. Die Note E4, also die Note, die gemeinsam mit C4 die große Terz ergibt, liegt währenddessen bei 329.628 Hz. Setzt man beide Zahlen in einen Bruch, so ergibt das 329.628 / 261.626, was wiederum 1,2599, pi-mal-Daumen also 1,25 ergibt.“

 

 

Karl Bruckschwaiger

 

nächster Termin: 18. Mai 2022

Aristoteles, Metaphysik Buch XIII, ab 1079b 24

Freitag, 6. Mai 2022

In der Metaphysik lesen (1079b 4 – 23)

 

4. Mai 2022

 

Zur Wissenschaftsklassifikation, die ich ins letzte Protokoll hineingeschrieben habe, macht Sophia Panteliadou einige Anmerkungen, die von der Darstellung herrühren, die Otfried Höffe vorgelegt hat. Diese stimmt natürlich im Sachlichen, unterschlägt aber einige aristotelische Eigenheiten, deren Beachtung zum Verständnis des von uns gelesenen Textes beitragen kann. 

 

Eine jahrhundertelange Tradition hat Aristoteles als „Philosophen“ festgeschrieben, der noch dazu für viele der heute gängigen philosophischen Teildisziplinen zuständig sein soll. Tatsächlich operiert seine Wissensordnung (also die klassifikatorische Ausarbeitung seiner Erkenntnispolitik) zunächst mit dem Begriff „Wissenschaft“, der von Anfang an in den Plural gesetzt wird – so sehr, daß schließlich gar nicht alle wissenschaftlichen Disziplinen in einem bestimmten Teilgebiet der Philosophie Platz finden können. 

 

Die theoretischen Wissenschaften, die unabhängig vom Menschen existierende Dinge oder Entitäten zu erkennen haben, werden von Aristoteles in einer bestimmten Reihenfolge genannt, die sich von den Gegenstandsbereichen her bestimmt: die Physik hat es mit bewegtem und abtrennbarem, die Mathematik mit unbewegtem und nicht abtrennbarem, die Theologie mit unbewegtem und abtrennbarem Seienden zu tun. Die Physik, zuständig für die wahrnehmbaren Körper, gilt als Basiswissenschaft; die Theologie, die nach dem primären Bewegungsimpuls sucht, bekommt den Ehrentitel „Erste Philosophie“, die Physik daraufhin den Titel „Zweite Philosophie“. Als Wissenschaft ist sie die erste, weil uns Menschen nächste, als Philosophie immerhin die zweite. Die Mathematik geht auf dieser Ebene leer aus (vielleicht zur Enttäuschung der Platoniker, der hartnäckigen).

 

Die praktischen und die poietischen Wissenschaften, die von dem handeln, was vom menschlichen Tun abhängt und einmal so und einmal so ausfallen kann, werden als „Philosophie der menschlichen Angelegenheiten“ zusammengefaßt, sind also noch menschennäher als die Physik. 

 

Die praktischen Wissenschaften beschränken sich nicht auf Ethik und Politik. Sie umfassen auch die Ökonomik, also die Lehre vom Haushalten; die Rhetorik, für die man heute die Publizistik einsetzen kann (Medien als „Vierte Gewalt“); die Strategik, also die Wissenschaft zum Kriegführen (welches nach Clausewitz eine Fortsetzung der Politik ist, nach Arendt aber das Scheitern der Politik). 

 

Was das Lesen der Metaphysik so schwierig und langwierig macht, das liegt hauptsächlich daran, daß Aristoteles das angebliche Hauptthema, die Theologie, nicht klar von der Hauptmasse seiner Ausführungen, der Ontologie, unterscheidet.

 

Wie Sophia Panteliadou bemerkt, hat Aristoteles schon vor der Metaphysik die Physik ausgearbeitet und zu Ende geführt und am Ende dieser Vorlesung kommt er schon da auf das Unbewegt-Bewegende. 

 

Ist in diesem Buch der Weg zum UB ein anderer als in der Metaphysik? Ist das UB selber hier anders gefaßt als in der Metaphysik? Zu dieser Frage möchte Sophia Panteliadou in den kommenden Wochen peu à peu Stellung beziehen. Damit könnte aus dem  Weiterlesen in der Metaphysik ein Sich-Hineinbohren in die Sache werden.

 

 

Im Buch XIII weiterlesend sehen wir, daß Aristoteles die Frage stellt, welchen Erkenntnisgewinn es bringt, wenn man den Kreis, also eine geometrische Flächenfigur (wovon bereits die Rede war), als „Idee“ im platonischen Sinn konzipiert. Aber er verwendet nicht das Wort „Idee“, womit er sich klarer ausdrücken würde, sondern stattdessen das Wort “eidos“, das im aristotelischen Vokabular so etwas wie Form oder Art heißt. Zur Steigerung der Unklarheit spricht er von einer „gewissen Natur“ des Kreises; meint damit aber nicht die Natur im Sinn der Physik, sondern eine irgendwie andere.

 

Was ist eine „Idee“ im platonischen Sinn? Nicht eine Idee im modernen Sinn - da gibt es solche Ideen wie den Nationalismus oder den Sozialismus (vermutlich gibt es mehrere davon). Aber was sind solche Ideen? Es sind politische Wunschvorstellungen für die einen, eher politische Feindbilder für die anderen. Es sind menschengemachte Vorstellungen. Keine platonischen Ideen, denn die sind ja - für die Platoniker - Urbilder, die bekannten Dingen oder Eigenschaften wie Pferd oder Gerechtigkeit zugrundeliegen, die als höchst real angenommen werden und irgendwie in einem Himmel situiert werden. Sie sind für die Augen nicht sichtbar, und dennoch eigentlich sehr sichtbar („idea“ heißt „Sicht“) - für die Ideenschau, über die man nur verfügt, wenn man sie sich angelernt und eingeübt hat. 

 

Im folgenden wird das ein bißchen klarer. Da spricht Aristoteles von Sinnesdingen, von denen die einen ewig sind, die anderen vergänglich. Die ewigen sind die Sterne, die vergänglichen sind die Pflanzen, Tiere, Menschen, Häuser. Weder die einen noch die anderen haben mit „Ideen“ etwas zu tun. Aristoteles: die Dinge brauchen keine Ideen, um zu einer Veränderung zu gelangen, und die Wissenschaften brauchen keine Ideen, um irgendetwas an den Dingen zu erklären. Da die Ideen nicht in den Dingen sind (wie etwa das Wesen), können sie an ihnen nichts bewirken. Ein weißes Pulver, das ich in ein Wasser gebe, bewirkt immerhin, daß das Wasser weißlich wird. Eine Idee kann das nicht. So macht sich Aristoteles über die „Idee“ lustig: wirkungslos, unwirklich, überflüssig, Denkfehler.

 

 

Walter Seitter

 

Nächste Sitzung am Mittwoch, 11. Mai 2022, Hermann-Lektüre

 

 

PS.: Nachtrag zur Praktischen Philosophie in der Gegenwart:

 

Buchpräsentation in der Universität Wien, Hauptgebäude, HS 3

 

Donnerstag, 12. Mai 2022, 17 Uhr:

 

UM MENSCH UND RECHT. DER BEITRAG VON RENÉ MARCIC ZUR MENSCHENRECHTSBILDUNG

Dienstag, 3. Mai 2022

In der Metaphysik lesen * Hermann – Lektüre 12 (64rB - 65rA)

27. April 2022

 

Vor der Lesung meiner Übersetzung fragte Walter Seitter mich, wie Hermann seine Art der Wissenschaft bezeichnen würde. Ich antwortete rasch und bezog mich dabei auf keine konkrete Stelle, dass er seine Arbeit als Mathematik verstehen würde. Einerseits scheint Hermann aus seiner Kenntnis des arabischen Euklids ein gewisses

Selbstbewusstseins eines Experten bezogen zu haben, andererseits bestand das mittelalterliche Quadrivium eigentlich nur aus mathematischen Wissenschaften, zwei reine wie Arithmetik und Geometrie und zwei angewandte wie Astronomie und Musik.

Es gibt auch eine weitere Unterscheidung, die sich zwischen Mathematik und Physik breitmacht, wobei bei Hermann die Mathematik eine Vorbereitung auf die Physik darstellt, aber häufig als Astronomie und Astrologie benannt wird. Hermann teilt die Gebiete seiner Untersuchungen so ein, dass die Bewegungen und Bahnen der Sterne von der Mathematik untersucht werden, deren Studium vorangeht, und die Auswirkungen dieser Bewegungen von der Physik untersucht werden. Daher kann man die gerade von mir vorgelesenen Kapitel mit dem ganzen geometrischen Gepränge durchaus als mathematische Arbeiten verstehen, obwohl sie außer einigen Umstellungen und Weglassungen kaum Neues zur spätantiken und arabischen Astronomie hinzufügen.

Walter wirft ein, das sich Hermann auf existierende Gegenstände bezieht, die wir heute noch kennen, aber das Wissen über diese Dinge ist für uns ein anderes, daher kann man Hermann nicht direkt zustimmen, sondern liest diese Dinge unter dem Vorbehalt eines besseren Wissens. Hermann als Bücherleser und Übersetzer hat damals die größten Autoritäten der letzten tausend Jahre zur Hand, aber er überprüft nichts davon durch eigene Beobachtungen und Theoriebildungen. Was die meisten von uns auch nicht getan haben, es ist für uns erlesenes Wissen und nicht einmal so gründlich erarbeitet wie bei Hermann.

Da ich gerade in Marie Theres Fögens Buch „Die Enteignung der Wahrsager“ über die Verbote der Astrologie durch Diokletian gelesen habe, möchte ich es zu Erweiterung des begrifflichen Durcheinanders hier einwerfen. Damals war der Ausdruck ars mathematica mit der Astrologie fast deckungsgleich und daher wird die geometrische Kunst als öffentliches Interesse bezeichnet und die mathematische Kunst wird verboten. Neben den astrologi gab es auch weniger gebildete Sterndeuter und Wahrsager, die mit Tierkreiszeichen und Planetenkonstellationen das Schicksal des Einzelnen und die Art des Todes voraussagten. Diesen Wahrsagern der Straße, auch Chaldaei genannt, soll das Verbot gegolten haben, da sie entweder als unerwünschte Einmischung in die Politik Roms erschienen sind oder als anmaßend, weil sie den Willen der Götter über die Erforschung der Sterne lenken wollten. Wie auch immer, nach Fögen soll das Gesetz des Diokletian den Kursverfall des Wortes ars eingeleitet haben, so dass ab diesem Zeitpunkt immer mehr von den dunklen oder klandestinen oder malignen Künsten die Rede war und die Astrologie mindestens zum Teil dazu gehörte.

 

In der Runde wurde von Wolfgang Koch die Definition der Astrologie als einer Logie, einer Rede der Sterne selbst ins Spiel gebracht. Mit diesen Sprechen der Sterne zu uns, löste er eine skeptische Reaktion von Walter Seitter aus, der diese Agens-position der Sterne selbst nicht so ohne weiteres akzeptieren kann.

 

Der Text von Hermann befasste sich mit dem unterem Extrem, womit die Erdkugel und ihre Lage im Zentrum der Himmelssphäre gemeint ist. Die Unbewegtheit der Erde wird mit ihrer notwendigen Lage auf der unbewegten Achse der Himmelssphäre begründet und der fehlenden Parallaxe bei der Beobachtung der Sterne. Hermann nimmt, nicht ganz zu Unrecht, eine besondere Kleinheit der Erde gegenüber der Himmelssphäre an. Bei der Überlegung, ob sich Himmel und Erde zugleich oder doch nur einzeln bewegen, nimmt Hermann wenigstens hypothetisch eine Bewegung der Erde an. Er verwirft sie mit dem Argument, dass sich die Erde nicht mit zwei verschiedenen Geschwindigkeiten gegenüber der himmlischen Sphäre bewegen könne. Das meteorologische Argument der Bewegung der Wolken wird mit einem eigenen Antrieb der Luft abgewehrt.

Aber die große Entfernung und Notwendigkeit einer Vermittlung bereitet schon die Einführung eines mittleren Bereichs der Planeten vor. Um nun die Zeugung zu ermöglichen, werden neben dem Ausstreuen der Samen, noch Wasser und Gezeiten zur Mäßigung der Temperatur um die Erde gelegt. Temperatur heißt selbst Mäßigung.

Dabei entstehen auch die Winde, die in keinem Widerspruch zur sphärischen Form der Erde stünden, die dem geometrischen Ideal entspricht und von keinem Wind weggetragen werden kann.

 

Weil ich die Runde wegen familiärer Angelegenheiten früher verlassen musste, überlasse ich den Rest des Nachmittags den Worten von Walter Seitter:

 

„Am Mittwoch kam dann noch die Rede, nicht zum allerersten Mal, auf den Unterschied zwischen dem Gott bei Hermann und dem 'Gott' im Buch XII der Metaphysik.

 

Während jener mit einer Reihe von Funktionsbezeichnungen ausgestattet wird, Zeichner, Handwerker, Schöpfer, die sich daraus ergeben, dass er mit dem christlichen Schöpfergott identifiziert wird, verhält es sich mit dem UB ganz anders. Das  bekommt zwar auch viele Attribute und Aspekte zugesprochen, aber es ist kein Schöpfer. Wenn es öfter als Erstes bezeichnet wird (worauf Wolfgang Koch insistiert), dann nicht in einem zeitlichen Sinn, sondern im Sinn einer Ursächlichkeit, die sich auf alle Teile des Kosmos bezieht, mit dem es simultan-ewig koexistiert, ko-agiert, konkausiert. Es ist eine Ursache, die sich auf alles im Kosmos bezieht – andererseits aber doch nur eine Ursache, die mit andersartigen Ursachen, etwa Stoff- und Formursachen zusammenwirken muss.

 

Meine Frage nach Betriebs- oder Schöpfungsschilderung zielt darauf ab. Bei Aristoteles gibt es nur Betriebsfaktoren und Gewaltenteilung zwischen ihnen. Weithin auch bei Hermann, bei dem sogar die Instrumente zu Ursachen erklärt werden.“

 

Karl Bruckschwaiger

 

 

Nächster Termin: 4. Mai 2022 – Aristoteles, Metaphysik XIII, ab 1079b, 03