τὸ μὲν οὖν αἰσθάνεσθαι ὅμοιον τῷ ... νοεῖν.

Das Wahrnehmen nun ist ähnlich dem ... vernünftigen Erfassen.

Aristoteles (De Anima III, 7: 431a)

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Dienstag, 3. Mai 2022

In der Metaphysik lesen * Hermann – Lektüre 12 (64rB - 65rA)

27. April 2022

 

Vor der Lesung meiner Übersetzung fragte Walter Seitter mich, wie Hermann seine Art der Wissenschaft bezeichnen würde. Ich antwortete rasch und bezog mich dabei auf keine konkrete Stelle, dass er seine Arbeit als Mathematik verstehen würde. Einerseits scheint Hermann aus seiner Kenntnis des arabischen Euklids ein gewisses

Selbstbewusstseins eines Experten bezogen zu haben, andererseits bestand das mittelalterliche Quadrivium eigentlich nur aus mathematischen Wissenschaften, zwei reine wie Arithmetik und Geometrie und zwei angewandte wie Astronomie und Musik.

Es gibt auch eine weitere Unterscheidung, die sich zwischen Mathematik und Physik breitmacht, wobei bei Hermann die Mathematik eine Vorbereitung auf die Physik darstellt, aber häufig als Astronomie und Astrologie benannt wird. Hermann teilt die Gebiete seiner Untersuchungen so ein, dass die Bewegungen und Bahnen der Sterne von der Mathematik untersucht werden, deren Studium vorangeht, und die Auswirkungen dieser Bewegungen von der Physik untersucht werden. Daher kann man die gerade von mir vorgelesenen Kapitel mit dem ganzen geometrischen Gepränge durchaus als mathematische Arbeiten verstehen, obwohl sie außer einigen Umstellungen und Weglassungen kaum Neues zur spätantiken und arabischen Astronomie hinzufügen.

Walter wirft ein, das sich Hermann auf existierende Gegenstände bezieht, die wir heute noch kennen, aber das Wissen über diese Dinge ist für uns ein anderes, daher kann man Hermann nicht direkt zustimmen, sondern liest diese Dinge unter dem Vorbehalt eines besseren Wissens. Hermann als Bücherleser und Übersetzer hat damals die größten Autoritäten der letzten tausend Jahre zur Hand, aber er überprüft nichts davon durch eigene Beobachtungen und Theoriebildungen. Was die meisten von uns auch nicht getan haben, es ist für uns erlesenes Wissen und nicht einmal so gründlich erarbeitet wie bei Hermann.

Da ich gerade in Marie Theres Fögens Buch „Die Enteignung der Wahrsager“ über die Verbote der Astrologie durch Diokletian gelesen habe, möchte ich es zu Erweiterung des begrifflichen Durcheinanders hier einwerfen. Damals war der Ausdruck ars mathematica mit der Astrologie fast deckungsgleich und daher wird die geometrische Kunst als öffentliches Interesse bezeichnet und die mathematische Kunst wird verboten. Neben den astrologi gab es auch weniger gebildete Sterndeuter und Wahrsager, die mit Tierkreiszeichen und Planetenkonstellationen das Schicksal des Einzelnen und die Art des Todes voraussagten. Diesen Wahrsagern der Straße, auch Chaldaei genannt, soll das Verbot gegolten haben, da sie entweder als unerwünschte Einmischung in die Politik Roms erschienen sind oder als anmaßend, weil sie den Willen der Götter über die Erforschung der Sterne lenken wollten. Wie auch immer, nach Fögen soll das Gesetz des Diokletian den Kursverfall des Wortes ars eingeleitet haben, so dass ab diesem Zeitpunkt immer mehr von den dunklen oder klandestinen oder malignen Künsten die Rede war und die Astrologie mindestens zum Teil dazu gehörte.

 

In der Runde wurde von Wolfgang Koch die Definition der Astrologie als einer Logie, einer Rede der Sterne selbst ins Spiel gebracht. Mit diesen Sprechen der Sterne zu uns, löste er eine skeptische Reaktion von Walter Seitter aus, der diese Agens-position der Sterne selbst nicht so ohne weiteres akzeptieren kann.

 

Der Text von Hermann befasste sich mit dem unterem Extrem, womit die Erdkugel und ihre Lage im Zentrum der Himmelssphäre gemeint ist. Die Unbewegtheit der Erde wird mit ihrer notwendigen Lage auf der unbewegten Achse der Himmelssphäre begründet und der fehlenden Parallaxe bei der Beobachtung der Sterne. Hermann nimmt, nicht ganz zu Unrecht, eine besondere Kleinheit der Erde gegenüber der Himmelssphäre an. Bei der Überlegung, ob sich Himmel und Erde zugleich oder doch nur einzeln bewegen, nimmt Hermann wenigstens hypothetisch eine Bewegung der Erde an. Er verwirft sie mit dem Argument, dass sich die Erde nicht mit zwei verschiedenen Geschwindigkeiten gegenüber der himmlischen Sphäre bewegen könne. Das meteorologische Argument der Bewegung der Wolken wird mit einem eigenen Antrieb der Luft abgewehrt.

Aber die große Entfernung und Notwendigkeit einer Vermittlung bereitet schon die Einführung eines mittleren Bereichs der Planeten vor. Um nun die Zeugung zu ermöglichen, werden neben dem Ausstreuen der Samen, noch Wasser und Gezeiten zur Mäßigung der Temperatur um die Erde gelegt. Temperatur heißt selbst Mäßigung.

Dabei entstehen auch die Winde, die in keinem Widerspruch zur sphärischen Form der Erde stünden, die dem geometrischen Ideal entspricht und von keinem Wind weggetragen werden kann.

 

Weil ich die Runde wegen familiärer Angelegenheiten früher verlassen musste, überlasse ich den Rest des Nachmittags den Worten von Walter Seitter:

 

„Am Mittwoch kam dann noch die Rede, nicht zum allerersten Mal, auf den Unterschied zwischen dem Gott bei Hermann und dem 'Gott' im Buch XII der Metaphysik.

 

Während jener mit einer Reihe von Funktionsbezeichnungen ausgestattet wird, Zeichner, Handwerker, Schöpfer, die sich daraus ergeben, dass er mit dem christlichen Schöpfergott identifiziert wird, verhält es sich mit dem UB ganz anders. Das  bekommt zwar auch viele Attribute und Aspekte zugesprochen, aber es ist kein Schöpfer. Wenn es öfter als Erstes bezeichnet wird (worauf Wolfgang Koch insistiert), dann nicht in einem zeitlichen Sinn, sondern im Sinn einer Ursächlichkeit, die sich auf alle Teile des Kosmos bezieht, mit dem es simultan-ewig koexistiert, ko-agiert, konkausiert. Es ist eine Ursache, die sich auf alles im Kosmos bezieht – andererseits aber doch nur eine Ursache, die mit andersartigen Ursachen, etwa Stoff- und Formursachen zusammenwirken muss.

 

Meine Frage nach Betriebs- oder Schöpfungsschilderung zielt darauf ab. Bei Aristoteles gibt es nur Betriebsfaktoren und Gewaltenteilung zwischen ihnen. Weithin auch bei Hermann, bei dem sogar die Instrumente zu Ursachen erklärt werden.“

 

Karl Bruckschwaiger

 

 

Nächster Termin: 4. Mai 2022 – Aristoteles, Metaphysik XIII, ab 1079b, 03


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