τὸ μὲν οὖν αἰσθάνεσθαι ὅμοιον τῷ ... νοεῖν.

Das Wahrnehmen nun ist ähnlich dem ... vernünftigen Erfassen.

Aristoteles (De Anima III, 7: 431a)

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Mittwoch, 28. April 2021

In der Metaphysik lesen (1072a 30 – 1072b 1)

 Auf der Suche nach ersten Bewegursachen und zwar Bewegursachen für alle Dinge zieht Aristoteles nun solche Ursachen in Betracht, die ewig sind, selber unbewegt sind und gleichermaßen als Wesen und Verwirklichung anderes in Bewegung setzen. Das sieht nach einem anspruchsvollen Konzept aus und ist es wohl auch, aber erläutert wird es mit dem Hinweis auf eher triviale Objekte und zwar Objekte im präzisen Sinn des Wortes: Objekte unseres Wünschens und Denkens. Mit „wünschen“ und „denken“ werden zwei Modalitäten psychischer Tätigkeit bezeichnet, zwei Felder des Psychischen, von denen das erste, das optative Feld, bisher nur wenig genannt worden ist, während das zweite, das kognitive Feld, öfter thematisiert worden ist, etwa auch mit den Begriffen Wissenschaft und Wahrnehmung. Die beiden Tätigkeitsarten werden hier zwar unterschieden aber als zusammengehörig geführt – wie das ja auch schon im allerersten Satz der Metaphysik geschieht: „Alle Menschen streben nach Wissen.“ Hier im Buch XII wird das optative Feld mit drei Verben bezeichnet aber auch gegliedert: erstreben, begehren, wollen. Das kognitive Feld mit einem Verb, nämlich „denken“, das allerdings auch so etwas wie erkennen, dafürhalten, verstehen heißt. Die Objekte dieser Tätigkeiten werden nicht einzeln genannt, sondern pauschal als „schön“ bezeichnet und damit auch als „richtig“ oder „gut“ – womit sie dem optativen Feld angeschlossen werden, aber aus dem kognitiven nicht ausgeschlossen. Ich selber habe auf der Objektseite beispielshalber die Staatsoper mit ihren ästhetischen Leistungen genannt, aber auch einen Spar-Supermarkt in meiner Nähe, der mit seinen dort aufgestellten Nahrungsmitteln mich zu sich hin (Heidegger würde weniger reflexiv sagen zu ihm hin) in Bewegung setzt – und zwar nicht physisch-motorisch, sondern psychisch motivatorisch (die physische Motorik muß ich dann selber irgendwie, vielleicht organisch (aber auch anorganisch) organisieren). 

Der aristotelische Objektbegriff, der mit Partizipien wie „erstrebt“, „begehrt“, „gewollt“ sowie „gedacht“, „erscheinend“, „seiend“ gekennzeichnet wird, hat in der neueren Theoriegeschichte ein Pendant bei Sigmund Freud mit dem Liebesobjekt und vielerlei Differenzierungen und dann bei Jacques Lacan, der das Objekt des Begehrens anatomisch und formalistisch noch weiter differenziert hat und ausdrücklich auch als Ursache funktionalisiert hat. Diese beiden in Wien vielleicht wohlbekannten Objektlehren liegen genau auf derselben – naturgemäß psychologischen – Ebene wie die hier in der letzten Etappe vor dem theologischen Momentum skizzierte Lehre von gewissen Objekten als Bewegursachen. Die Komplexität dieser Theorien zeigt sich bei Lacan in seiner Aufspaltung des volitiven Feldes zwischen Bedürfnis, Begehren und Anspruch, zu denen der Wille und die Liebe dann noch dazukommen, ebenso wie in seiner Zerklüftung des kognitiven Feldes in Imaginäres, Symbolisches und Reales (plus Phantasma und Illusion). Übrigens nennt Aristoteles auch das Geliebtsein, und zwar das erotische, als ein Attribut, welches Dinge ursächlich bewegend macht (siehe 1072b 4)

Die zusammen mit Karl Bruckschwaiger angestellten Vergleiche zwischen ursachentheoretischen Aussagen bei Aristoteles und objekttheoretischen Aussagen bei Freud und Lacan habe ich wie oben ersichtlich gestern Abend ins Protokoll, in diesem Fall in den Computer geschrieben. Erstens irgendwie aus Pflichtgefühl (das wäre dann eine subjektive Ursache) zweitens oder vielmehr noch höhergradig erstens, weil sie mir „interessant“ erscheinen also „schön“ im aristotelischen Sinn: sie sind interessante Objekte, die zu Ursachen werden, indem sie mich bewegen, sie hervorzubringen und ein bißchen auf Dauer zu stellen. Diese objekthaften Ursachen bewegen mich, mich meinerseits zu aktivieren und subjekthaft ursächlich, urheberisch zu werden. 

 

Am späten Abend hat dann ein anderes Objekt sein bereits bestehendes Bekannt- und Gewünschtsein erneuert und hat mich dazu bewegt (oder bewogen?) im Internet mir unbekannte Porträts aufzusuchen. Dieses Objekt ist die amerikanische Artistin Tanner Mayes und das Porträt, das ich gefunden habe, wird im Begleittext mit „Tanner Mayes sich an ihrem Halskettchen festhaltend“ beschrieben und so sieht es aus: 

 

 


 

Es erscheint mir schön und damit erfüllt es die Bedingung, die Aristoteles für die dritte Potenz von Bewegursachen aufstellt. Und den freudschen und lacanschen Kriterien für Objekthaftigkeit entspricht es auch - zumindest denen für sekundäre oder bildhafte Objekthaftigkeit. Wie man sieht, hat es mich dazu bewegt, es in dieses Aristoteles-Protokoll aufzunehmen und das ist wohl doch eine ziemlich gewaltige jedenfalls unübliche Transferleistung – unüblich für ein Aristoteles-Protokoll und unüblich vielleicht auch für diese Amerikanerin, die normalerweise in anderen Milieus beheimatet ist. 

 

Ich kehre zum Text zurück, der zuletzt seine Sprunghaftigkeit beträchtlich gesteigert hat. Er meint, die dominante Ursächlichkeit liege so, dass wir etwas begehren, weil es schön erscheint – und nicht umgekehrt. (1072a 29). Also Vorrang des Objekts – aber des Objekts mit dem kognitiven Charakter des Erscheinens, welcher bei den Griechen in hohem Ansehen stand (eine genau passende und daher sehr erlaubte Tautologie) aber auch bei den Griechen und vor allem bei den platonisch induzierten nicht ganz vom Verdacht frei war, weniger Sein mitzuteilen als es – das Erscheinen – eigentlich enthält (immerhin enthält das Wort „erscheinen“ alle Elemente des Wortes „sein“). 

 

Daraufhin im apodiktischen Ton: „Denn Prinzip ist die Intelligierung. Die Intelligenz aber wird vom Intelligiblen bewegt, intelligiert wird jedoch die jeweils andere Zusammenreihung, in der das Wesen Erstes ist und davon das einfache und das verwirklichte Wesen (das Eine und das Einfache sind nicht dasselbe, das Eine bezeichnet ein Maß, das Einfache hingegen ein bestimmtes Verhalten.) Doch auch das Schöne und das um seiner selbst willen Erwählte gehören in dieselbe Zusammenreihung. Das Erste ist immer das Beste oder dem Besten analog.“. 1072a 31ff.)

 

Jetzt habe statt mit Denken mit Intelligieren übersetzt, um in den verschiedenen (grammatischen) Wortformen denselben Wortstamm durchhalten zu können, der das kognitive Feld bestimmt – ich hätte auch Erkenntnis oder Kognition einsetzen können. Auch die verschiedenen Ontologie-Dimensionen kommen wieder zum Zug. Sensationell, dass das „Einfache“ ins Zeitwörtliche sozusagen verflüssigt wird, und zwar zu einem Verb, das bei Aristoteles eher selten auftaucht – nämlich zur intransitiven Bedeutung von echein (transitiv: haben, halten) – intransitiv: sich verhalten, sich so oder so verhalten, wobei diesem Verb auch reflexive und adressative Bedeutungen anhängen: sich zu etwas verhalten.[1]

 

Fortsetzung des Textes mit einem Begriff, der gar nicht so aussieht wie ein Begriff. Gegenüber dem Synonym „Zweck“ hat „worumwillen“ die Besonderheit, dass es das eigentlich Erstrebte weniger als letztes Ziel sondern mit einem komplizierenden Präpositionalausdruck als sozusagen Intimes, als Herzensanliegen formulieren hilft. Handlungsweisen, deren Intensität und Engagement über die transitiven und sogar über die adressativen hinausgeht – ich schlage vor, sie die „komplikstiven“ zu nennen. Das eben von Aristoteles ins Spiel gebrachte intransitive echein kann den Rahmen für alle diese Handlungsrichtungen bilden. 

 

Bevor ich auf die Unterscheidung eingehe, die Aristoteles dem Ausdruck worumwillen anhängt, stelle ich fest, mit allen jetzt eingesetzten Begriffen für volitive, motivierende, heute sagt man dynamische Verhalten, die strikt „theoretische“ Linie eigentlich schon verlassen wird – und zumindest eine Kurve, wenn schon nicht der Bruch zur „praktischen“ Problematik hin initiiert wird (im aristotelischen wie im kantischen Sinn). 

Damit rührt dieser Text an die Frage, die, wie mir Gerhard Weinberger mitteilt, Emmanuel Levinas zum Problem erhoben hat, indem er die Ethik zur „Ersten Philosophie“ erklärt – während bei Aristoteles der Titel „Erste Philosophie“ über einem ungeklärten Nebeneinander oder Ineinander zwischen einer kaum titulierten Ontologie und einer nur sehr kleinen Theologie steht, die beide einen rein theoretischen Charakter tragen sollen, obwohl der nicht konsequent durchgehalten wird.

 

Walter Seitter

 




[1] In den Menschenfassungen (op. cit.) habe ich das „sich zu etwas verhalten“ als basales Verb zur Bestimmung des „Politischen“ vorgeschlagen.

Mittwoch, 21. April 2021

In der Metaphysik lesen (1072a 19 – 29)

 Nicht zum allerersten Mal aber in einer sehr intensiven Weise ist im Abschnitt 6 das Verb energein zum Einsatz gekommen – nachdem kurz zuvor das gesuchte erste Prinzip damit definiert worden war, dass sein Wesen als energeia – Wirklichkeit, Verwirklichung – bestimmt wurde. Das Substantiv energeia wird durch das Verb energein verlängert oder verflüssigt – erster Aspekt. Zweiter Aspekt: diesem Verb – wirken, tätigsein – wird eine Differenzierung zugesprochen, die auch auf viele andere Verben zutrifft: dass es nämlich entweder einen Selbstbezug oder einen Fremdbezug ausdrückt. Dieser ziemlich banalen Differenzierung wird aber gleich eine dritte Möglichkeit hinzugefügt, die als Bezug auf ein Erstes bezeichnet wird – was schon weniger banal und eher spekulativ klingt. 

Es handelt sich um eine Unterscheidung von Richtungen, Bewegungsrichtungen, die man der Kinetik oder Topik zuordnen kann. Für Aristoteles ist ja die Ortsbewegung die primäre Weise von Bewegung, Veränderung oder Wirkung – was mit seinem fundamentalen Physikalismus zusammenhängt, der ihn von allen sich geisteswissenschaftlich gebenden Philosophen unterscheidet und trennt und absetzt und geradezu herabsetzt (wie diese meinen). 

 

Die reflexive und die transitive Richtung lassen sich ziemlich leicht unterscheiden. Aristoteles erläutert die reflexive Richtung an anderer Stelle als Bezugnahme auf sich selber als etwas anderes – also eine Transitivität, die aufs Subjekt zurückgebogen wird. Demgegenüber wäre die bloße Intransitivität – Beispiel: ich schlafe – ein einfaches Bei-sich-bleiben (und zwar wiederum ein extremes). 

 

Eine andere Form der Transitivität, für die das Dativ-Objekt typisch ist – Beispiel: ich vertraue dir, könnte man als Adressivität bezeichnen. Da ist die Tätigkeit komplexer, weil das Objekt komplexer ist.

 

Das trifft auch auf die dritte von Aristoteles genannte Wirkungsrichtung zu, die sich auf etwas bezieht, was nicht als Person bezeichnet wird, sondern als Ursache in einem primären sowie auch komplexen Sinn, da seine Verursachungsleistung die beiden oben genannten Richtungen zusammenfasst: causa sui atque alterius.

 

Dieses verbalistisch Zusammenkonstruierte scheint nun die Anforderungen zu erfüllen, die Aristoteles bei seiner Ursachensuche im Sinn hatte – ob wir da mit unserem Verstehen mitkommen, ist eine andere Frage. Aber die Untersuchung geht ja weiter und wird noch ganz andere Aspekte auftun. 

 

Trotzdem muß an dieser Stelle ein großer Einschub eingelegt werden. Denn die eben gesehene triadische Tätigkeitsdifferenzierung hebt sich schon in ihrem groben Ansatz – und ihr Ansatz ist ein relativ trivialer - dermaßen deutlich von einem Dreierschema ab, das ebenfalls auf antike also archaische also urtümliche Anfänge zurückgeht, nämlich auf den Begriff „Dialektik“, der jedoch im 19. Jahrhundert von dem Philosophen Hegel zum Motor nicht nur des Denkens sondern der Weltgeschichte und womöglich auch der Natur ernannt worden ist. Insofern vermutlich auch eine Konkurrenz zu der hier von Aristoteles mühselig gesuchten Ursachenkonzeption.

 

Der dialektische Dreischritt besteht aus These, Antithese, Synthese, also einer Reihe von Aussagen, von Behauptungen. Welche Reihe damit zustande kommt, dass aus der These die in ihr schon implizierte Negation hervortritt und gegen sie die Antithese auf den Plan ruft, womit eine endlose Folge von Setzungen und Gegensetzungen in die Welt tritt beziehungsweise überhaupt die Welt bildet. Denn das Schema der Logik wird zum Schema der Gesamtwirklichkeit. 

Die bloße Negation wird zur treibenden Kraft ernannt – insofern eine sehr einfache Konzeption. Es wird eigentlich nur eine positive Setzung „vorausgesetzt“ und mit der ist „alles“ entwickelt, also geschaffen und gegeben. Sowohl die Antithese wie auch die Synthese sind nur verschiedene „Versionen“ der einen These – daher läuft die Dialektik auf einen radikalen Monothetismus, auf einen bloßen Monismus hinaus, wie ihn irgendein Monotheismus nicht zustande bringt, denn der behauptet ja nur, dass es nur einen Gott gibt. Aber dass es außerdem noch diverse Dinge gibt, das muß er nicht ausschließen. 

 

Der Dreischritt von Aristoteles beginnt hingegen mit zwei voneinander unabhängigen positiven Setzungen: Bezug auf sich, Bezug auf anderes. Die Negation ist nicht der wundersame Automatismus, der alles hervorbringt. Als logische Funktion ist sie gleichwohl unentbehrlich; denn, um das, was geschieht, zu besprechen und zu ordnen, muß man auch „nicht“ und „nein“ sagen können. 

 

Die Differenzierung von Selbstbezug und Fremdbezug unterscheidet sich von der Differenzierung zwischen These und Antithese dadurch, dass sie nicht von der Kraft der Negation lebt, sondern zwei Richtungen formuliert, von denen die zweite sich durch keine Automatik aus der ersten „entwickelt“, denn es gibt viele mögliche zweite Richtungen, viele mögliche Gegenstände. Nicht Negation sondern Pluralität ist das Prinzip der Erweiterung. 

 

Mein Sprung von der Stelle 1072a 11ff. zur hegelschen Dialektik wird allerdings von der Antithetik angetrieben, die ich bei Aristoteles nachträglich feststelle: Antithetik gegenüber dem hegelschen Modell der negativen Motorik. Und zu dieser Gegenüberstellung, die nicht allzu üblich ist, hat mich auch eine Episode in der jüngeren Philosophiegeschichte angeregt, die so gut wie gar nicht bekannt geworden ist, obwohl der berühmte Philosoph Michel Foucault ihr Akteur, natürlich Koakteur, gewesen ist.

Im Mai 1975 fand am Pomona College in Kalifornien eine Diskussion zwischen Foucault und Studenten statt, die mit seinem Denken schon einigermaßen vertraut waren und ihre Fragen selber formuliert haben. Eine Frage ging dahin, ob sich seine Geschichtsauffassung von einer materialistischen Interpretation der Geschichte unterscheide. Darauf sagte Foucault, dass für Marx die Arbeit das konkrete Wesen des Menschen konstituiere. Und das sei eine unzutreffende, eine typisch hegelianische Idee. Daraufhin verteidigte ein Student die Auffassung, dass zwischen den Machtstrukturen und den Produktionsstrukturen ein reziprokes, ein dialektisches Verhältnis bestehe.

 

Foucault: Dieses Wort „Dialektik“ akzeptiere ich nicht. Nein und noch einmal nein! Es ist notwendig, dass die Dinge klargestellt werden. Sobald man das Wort „Dialektik“ ausspricht, fängt man an, auch wenn man es nicht sagt, das hegelsche Schema von der These und von der Antithese zu akzeptieren, und damit eine Form der Logik, die mir inadäquat erscheint ... Ein reziprokes Verhältnis ist kein dialektisches Verhältnis. 

 

Dagegen der Student, der auf dem Begriff des „Widerspruchs“ insistiert.

Foucault: Prüfen wir nun, was es mit dem „Widerspruch“ auf sich hat. .. Das Wort „Widerspruch“ (kontradiktorischer Gegensatz) hat in der Logik einen bestimmten Sinn. Man denke an einen Widerspruch in der Logik der Propositionen. Betrachtet man hingegen die Realität und sucht man gewisse Prozesse zu beschreiben und zu analysieren, so entdeckt man, dass solche Prozesse mit Widerspruch nichts zu tun haben. 

Zum Beispiel in der Biologie. Da findet man eine Reihe reziproker antagonistischer Prozesse, aber das heißt nicht, dass es sich um Widersprüche handelt.... Es gibt keine Dialektik in der Natur. Ich nehme mir das Recht, mit Engels nicht übereinzustimmen; denn in der Natur – und Darwin hat es sehr wohl gezeigt – findet man zahlreiche antagonistische Prozesse, die nicht dialektisch sind ... [1]

 

Ich hoffe, daß der sachliche Kern dieser historischen Antithetik (die man auch „Dialektik“ nennen kann), klar geworden ist, obwohl sie sich über mehr als zwei Jahrtausende hinzieht, nämlich von meiner Lektüre einer wenig beachteten Stelle bei Aristoteles zur damit in Widerspruch stehenden hegelschen Dialektik, der wiederum eine wenig bekannte Aussage Foucaults vehement widerspricht. Es geht also im Zickzack von Seitter zu Aristoteles und von da zu Hegel und von dem zu Foucault und wiederum zu Hegel – und zu mir als dem parteiischen Protokollanten.  

 

Ende des großen Einschubs und weiter zum Abschnitt 7 im Buch XII. Aristoteles behauptet, nachgewiesen zu haben, dass das Erste Ursache des ewigen Sichgleichbleibens, das Zweite Ursache des Andersseins, das Erste und das Zweite zusammen Ursachen des ewig gleichen Andersseins sind. 

 

Wenn es sich nicht so verhielte, so würden gewisse Thesen stimmen, denen zufolge alles aus der Nacht, aus dem „Beisammensein aller Dinge“ oder aus dem Nichtseienden hervorgehen. Was unmöglich ist. Es gibt etwas, was sich immerzu in unaufhörlicher Bewegung kreisförmig bewegt – 

„Und das geht nicht nur aus dem Begriff sondern aus dem Werk klar hervor.“ (1072a 22) Nicht nur aus dem Logos, sondern aus dem Werk. Damit setzt sich Aristoteles von einem bestimmten Logizismus ab - so ähnlich wie Foucault oben von dem hegelschen. Was er dem Begriff gegenüberstellt, ist nicht einfach das Seiende oder die Sache oder das Wesen, wie man erwarten könnte. Sondern das Werk, das zum einen den Kern von energeia und energein bildet, die innerhalb der Ontologie eine Verschiebung in Gang setzen, und das zum anderen einen Hauptbegriff der „poietischen“ Wissenschaften in die 

 Ontologie aufnimmt, die angeblich zur Spitze der theoretischen Wissenschaften gehört. 

 

Wenn etwas initiativ und transitiv und erfolgreich etwas in Bewegung setzt, dann erbringt es eine Leistung, die mit dem Begriff „Werk“ in die Nähe der Kunst gerückt wird. 

 

Aristoteles unterscheidet drei Potenzen (ich wähle das Wort in Anlehnung an den mathematischen Begriff) von Bewegung überhaupt je nach der Anordnung von Aktiv und Passiv, von Bewegtheit und Ruhe. Anordnung ist übrigens ein Stichwort im Begriffslexikon von Buch V und der Begriff „Diathese“ bezeichnet in der Grammatik die Handlungsrichtungen von Verben.

 

Erste Potenz: In Bewegung sein, weil man von etwas bewegt wird. Zweite Potenz: in Bewegung sein, weil man bewegt wird und selber aktiv bewegt. Dritte Potenz: anderes bewegen und selber unbewegt sein. Diese Bewegungsmodalität verbindet Aristoteles mit dem Attribut „ewig“ – offensichtlich nicht ganz dasselbe wie „unaufhörlich“ (was schon mit dem privativen „un“ angezeigt wird). Und diesem wird auch die oben hervorgehobene Koinzidenz von Wesen und Verwirklichung zugesprochen. Und weil die griechischen Wörter für Wesenheit und Verwirklichung beide weiblich sind, wird die so gebildete Konzentration insgesamt ins weibliche Geschlecht gesetzt: kai ousia kai energeia ousa  (1072a 25).

Aber die dritte Bewegungspotenz hat noch eine ganz andere und uns gar nicht unbekannte Eigentümlichkeit. Mit ihr kippt die Bewegungslehre aus der Motorik, die zur Physik gehört, hinüber zur Motivation, die wir zur Psychik rechnen, wie Motivationsschwäche, Motivforschung und dergleichen belegen. Und damit geraten wir noch entschiedener als mit dem ergon in die Bereiche der Ästhetik (im modernen Sinn), der Ethik, der Politik. 

Aristoteles: das Erstrebte und das Erfasste, Erkannte, Verstandene, Gedachte bewegen – ohne selber in Bewegung zu geraten. Die ersten Instanzen des Erstrebten und des Erkannten sind dieselben. Denn das Begehrte ist das, was schön erscheint; gewollt aber wird vor allem, was schön ist. Wir erstreben etwas eher, weil es schön erscheint, als dass es schön erscheint, weil wir es erstreben. (1072 a 26ff.). „Schön“ heißt hier natürlich schön – aber auch richtig und gut. 

 

Was für eine Bewegungsursächlichkeit ist da am Werk? Zugesprochen wird sie passiven Partizipien wie „verstanden“ und „erstrebt“, die wir auf aktive Vollzüge zurückführen. Aber in der aristotelischen Konzeption sind wir, die Denkenden und Verstehenden (großartig) und Strebenden (Goethe: immerhin) die Bewegten, die passiven, die von außen in Bewegung gesetzt werden, was uns angeblich erhöht, zumindestens belebt. Während die erstrebten und erkannten Sachen ihre Überlegenheit damit zur Geltung bringen, dass sie schön ruhig ihre Schönheit und Schönheitsleistung vollziehen. Beispiel Staatsoper, die jeden Tag Hunderte und Tausende Angestellte, sogenannte Mitarbeiter, darunter einige sogenannte Stars sowie Zuhörer, Zuschauer, Begeisterte bewegt – nämlich zur Staatsoper. Die bleibt ruhig stehen. Oder mein SPAR gourmet in der Vorlaufstaße bewegt mich jeden Tag dazu, mich zu ihm hin zu bewegen, weil ich dort als gut erkannte oder gedachte Sachen finde. Die will ich allerdings aus ihrer dortigen Ruhe aufscheuchen und zu mir transportieren und so weiter ... 

 

Die sogenannte Metaphysik macht also, um ihre Bewegungslehre auszubauen, so einen Sprung in die Psychik. Ob damit die Physik verabschiedet wird, sei jetzt einmal dahingestellt.

 

Walter Seitter

 




[1] Michel Foucault: Dialogue sur le pouvoir, in: ders.: Dits er écrits, III (1976-1979)470f. 

Mittwoch, 14. April 2021

In der Metaphysik lesen (1072a 3 – 18)

 Die hier gesuchten superlativischen Ursachen, also die ursächlichsten Ursachen, bezeichnet Aristoteles nicht als die „letzten“ Ursachen – auch wenn sie von uns aus gesehen am weitesten entfernt scheinen und den Suchenden erst nach langem Herumsuchen, -fragen und –überlegen (wenn überhaupt) zu Gesicht oder zu Einsicht kommen. Sondern als die „ersten“ weil anfänglichsten oder ursprünglichsten. 

Die Suchrichtung, die Aristoteles hier einschlägt, ist eine ganz bestimmte, durch seine Realitätsauffassung vorgegebene und zwar in der Hinsicht, dass er jetzt gar nicht nach allen Ursachen fragt und auch nicht nach einer ersten Gesamtursache, sondern nur nach einer ersten Wirk- oder Bewegursache, während die anderen Ursachensorten (die sich auf Stoff und Form und Zweck beziehen), gar nicht, jedenfalls vorläufig nicht, im Suchfeld stehen. 

Das Präfix „ur“, das mit der Präposition „aus“ nicht nur irgendwie etymologisch verwandt ist, sondern wohl gar als eine „Urform“, als eine „Vorfahrin“ von „aus“ zu betrachten ist, hat bekanntlich vor sehr kurzer Zeit in der (menschengemachten) Kosmologie eine Neuauflage erfahren – nämlich mit der Theorie vom „Urknall“, der eine Art Bewegung, nämlich Anfangsbewegung oder Bewegungsanfang, gewesen sein soll, der insofern in dieser Aristoteles-Lektüre immerhin genannt werden darf. Und das schon ältere Wort „Ursprung“, das von manchen Aristoteles-Übersetzern anstatt von „Prinzip“ für arche eingesetzt wird, kann hier noch einmal extra genannt werden, zumal da es ebenfalls so etwas wie Anfangsbewegung oder Bewegungsanfang suggeriert. 

In dem terminologisch konzentrierten, dicht zusammengeballten, spannungsgeladenen Satz 1071b 20, der sagt, es „muß ein solches Prinzip sein, dessen Wesen Verwirklichung ist“, womit das Prinzip durch Verwirklichung oder Tätigkeit „definiert“ wird, da wird das „Prinzip“ aus seiner terminologischen soll ich sagen Ewigkeit oder Trägheit oder Langweiligkeit geradezu aufgescheucht, es wird ihm wie man sagt die Hölle heiß gemacht, damit es endlich oder wieder zu der Entschiedenheit, Initiativ- und Impulskraft findet, die Aristoteles hier im Sinn hat und die in den griechischen Wörtern archein und arche mit der Komposition aus Vokal und Konsonant(en) eine minimale und insofern anfängliche, eine archaische oder primitive Verwandtschaft mit dem ur aufweist. Ausgang, Anfang, Vorangehen und Herrschaft, die ja auch im Deutschen weder hier noch überall Sache des männlichen Geschlechts sind. Denn „Herr“ ist keine Geschlechtsbezeichnung, ebensowenig wie „Frau“, die beide von geschlechterneutralen Führerbezeichnungen stammen, die sich dann auch noch ins Adjektivische verzweigen und die sehr positiven Eigenschaften „herrlich“ und „fröhlich“ hervorgebracht haben. 

Wenn in dem wiederholten Satz die Verwirklichung, die das Wesen des Prinzips sein soll, auf dieses herrscherlich zurückwirkt, so bekommt es den Namen „Ursprung“.  

So viel Wörterarchäologie und –ästhetik muß sein. Wenn nicht Müdigkeit und Entropie der Suchbewegung ein vorzeitiges Ende aufzwingen sollen. Wer suchet, der findet – vielleicht schon unterwegs. 

Die Suche nach den ersten Bewegursachen hat mit der Nennung von letzten oder nächsten Ursachen – zunächst des Menschen – begonnen. Da werden also Vater und Mutter genannt. Ein ander Mal wird dem Vater eine schon viel weiter entfernte Ursache hinzugefügt – und zwar wieder eine zweifache: Sonne und schräge Kreisbahn (welche dafür sorgt, dass die Sonne, die doch eine ist, gar nicht einfach sondern vielfach erscheint und vielmals sogar nicht erscheint oder sagen wir: fast nicht). 

 

[Hier liegt der Punkt, genauer gesagt der „Doppelpunkt“, an dem sich dieses berühmte Buch kurz vor seinem „Höhepunkt“ mit einem anderen und zwar sehr anderen Werk kreuzt und trifft, welches die Sonne in seinen Titel setzt (um sie angeblich doch zum Untergehen zu zwingen). Dieses andere Werk ist hier schon einmal in einer Fußnote genannt worden und wird noch öfter in dieses Protokoll aufgenommen werden. Zu frappant sind doch die mit massiven Gegensätzlichkeiten kontrastierenden Berührungen, die noch ungeplanter sind als jene. So wie die aristotelische Metaphysik ist auch die Sonne von Francis Ponge im Laufe von über zwanzig Jahren entworfen, hingeworfen, hingeschrieben, umgeschrieben, neugeschrieben, weitergeschrieben worden und erst Jahrzehnte (beziehungsweise Jahrhunderte) nach dem Tod des ersten Autors redigiert, tituliert worden, wobei die Sonne dann gleich zweifach nämlich zusätzlich in einer anderen Sprache erschienen ist – womit sie die viele Jahrhunderte währende Vielsprachigkeit der Metaphysik in komprimierter Form nachstellt. Welche Vielsprachigkeit – wie auch hier – zu einer weltweiten und nicht enden wollend wachsenden Bibliothek akkumuliert wird.

Die materielle, geschichtliche, performative Duplizität von Metaphysik und Sonne überschneidet sich mit einer thematischen Kreuzung und Gegenläufigkeit, die erst später überblickt werden kann.]

 

Sodann stellt Aristoteles zwei durchaus unterschiedene Bewegursachen (aller Dinge) in einer Etage zusammen, und verwehrt ihnen den Titel von Erstursachen: Seele und Himmel (1072a 2). 

 

Um in Richtung Erstursachen weiterzukommen, erinnert Aristoteles daran, was im Buch IX dargetan worden ist, dass nämlich Vermögen einerseits häufig und erfahrbar den Verwirklichungen vorausgehen (beispielsweise habe ich jetzt das Vermögen zu einem abendlichen Essen – hoffentlich). Auf einer anderen Ebene habe ich dieses Vermögen nur, weil ich schon oft und oft so etwas wie ein Abendessen durchgeführt oder geleistet habe. Aristoteles aber verweist zur Begründung seiner These (die in Richtung Maximalontologie geht) auf Anaxagoras, der die Vernunft als Tätigkeit bezeichnet hat – also als Vernunfttätigkeit (noesis); auf Empedokles, der Freundschaft und Haß als Ursachen ansetzt, womit er wohl doch seelische „Regungen“ gemeint hat; auf Leukipp mit seiner Lehre von der Bewegung der Atome. 

 

Danach hat es also Chaos oder Nacht nicht unbegrenzte Zeit hindurch gegeben sondern immerzu eine Bewegung. Etwa in der Form eines Kreislaufs, in dem es etwas Bleibendes gibt, das gleichförmig tätig ist. (Das panta rhei des Heraklit wird also durch so etwas wie ein Ufer limitiert, dessen Existenz selber in einer gewissen Tätigkeit besteht.) 

Der Erfahrung näher aber ist die Annahme, dass es Werden und Vergehen gibt, und dann muß etwas einmal so und einmal anderswie tätig sein. 

 

Und diese unterschiedlichen Tätigkeitsweisen differenziert Aristoteles wie ich meine relativ „modern“ als Tätigkeit im Hinblick auf sich selber und Tätigkeit im Hinblick auf anderes: also „reflexive“ und „objektive“ (oder „transitive“) Tätigkeit (dass einige Moderne die reflexive Tätigkeit zu einer sogenannten „transzendentalen“ hinaufstilisiert haben, verdient nur eine Klammererwähnung). 

Sich zu sich selber und zu anderem verhalten und dies noch einmal zu einem zweiten, zu einem weiteren anderen – und dies ist das Erste. 

Hier tritt die Verwirklichung, die Tätigkeit in den Vordergrund und ersetzt das Wesen oder die Seiendheit. Und die Modalitäten der Tätigkeit werden nach ihren Objekten oder Adressaten differenziert: Verhalten zu sich selber und Verhalten zu anderem und drittens (wie mein Übersetzer verdeutlichend weiterzählt) zu einem zweiten anderen, das nur das Erste sein kann, welches Ursache ist für sich selber und für jenes (erste) andere. Notwendig ist Verhalten zu dem Ersten, das Ursache ist für sich selber und für jenes andere; für das Gleichbleiben, während jenes Ursache ist für das Anderssein. Zusammen sind sie Ursachen für das ewig gleiche Anderssein. Entsprechend verhalten sich die Bewegungen.

 

Das sieht nun aus wie eine sehr abgehobene Verschachtelung von verschiedenen Tätigkeiten, Ursächlichkeiten, Gleichbleiben und Anderswerden. 

Sollen damit die gesuchten Prinzipien gefunden sein? Das ist nur möglich, wenn die Begriffe nicht bloß terminologisch sondern auch „ergologisch“ nachvollzogen werden. Zu solchem Nachvollzug gehört auch die Sorge um die Wörter. Nur so sind die drei Sorgerichtungen plausibel: Sorge um sich, um anderes, um ein drittes als Erstes. 

 

Walter Seitter

Mittwoch, 7. April 2021

Zusatzprotokoll zu „aus etwas sein“

 In der Metaphysik lesen (1023a 25 – 1023b 12)

 

 

In dem derzeit gelesenen Stadium der sogenannten Metaphysik spielen die „ätiologischen“ Begriffe der Ursache, des Prinzips, des Elements eine tragende Rolle. Ihre Bedeutungen überschneiden sich teilweise und mit den beiden distinkten ontologischen Hauptbegriffen des Wesens und der Verwirklichung bilden sie das Begriffsgerüst des Buches XII – jedenfalls bis zum Abschnitt 6.

 

Nun gibt es in der Metaphysik auch das Buch V, welches die Textform der Abhandlung verlässt und statt ihrer die Textform der Liste einsetzt, wobei sie die genannten ätiologischen Begriffe sinnentsprechend an den „Anfang“ setzt. Ganz weit hinten, im Abschnitt 24, erscheint in der Nennform „aus etwas sein“ ein ganz banaler Präpositionalausdruck, der gar nicht wie ein Begriff aussieht, aber dessen unterschiedlichen Verwendungsarten von Aristoteles ätiologische Bedeutungen zugeschrieben werden.

Diese sollen hier protokolliert, sozusagen erstgeschrieben werden, damit man dann sehen kann, ob sie zum Verständnis der ätiologischen These des Buches XII supplementäre oder andersartige Beiträge liefern können.[1]

 

Die erste Bedeutung tritt in zwei Versionen auf. Entweder man sagt, alle schmelzbaren Dinge seien aus Wasser oder aber diese Statue da sei aus Bronze. In der ersten Rede (die auf Thales von Milet zurückgeht) handelt es sich um die erste Gattung, in der zweiten um die letzte Art; beide Bezugnahmen auf die Logik können verwundern, denn man würde bei Wasser und Bronze eher an Stoffursachen (und nicht an Formursachen) denken. Fragt man, woraus ein Kampf entstanden ist, so mag die Antwort lauten: aus einer Schmährede, also aus verbaler Aggression. Dann war also ein Wort der Anfang oder der Ursprung des Kampfes, der seinerseits mit anderen Mitteln geführt wird (das Wort als Anfang oder Prinzip vieler Dinge ist uns aus anderen griechischen Schriften bekannt); Aristoteles spricht da von einem ersten bewegt habenden Prinzip oder einer Bewegursache. Der Vers ist aus der Ilias oder die Steine sind aus dem Haus wie die Teile aus dem Ganzen – aus dem Vollendeten der Form, dem Aristoteles eine Ursächlichkeit zuspricht, welche sowohl die Form- wie auch die Zweckursache sein kann. Andererseits ist die Form aus dem Teil wie etwa der Mensch aus dem Zweifüßer und die Silbe aus ihrem Element - damit sind wir wieder bei gewissen Stoffursachen.

 

Wenn die Statue aus Bronze ist, so liegt ein Wesen vor, das aus wahrnehmbarem Stoff zusammengesetzt ist, und die Form ist ihrerseits ebenfalls aus einem Stoff – nämlich dem logischen „Stoff“ der Artform, also der Gattung.

Einige Bedeutungen des „aus“ haben partiellen Charakter: das Kind ist aus Vater und Mutter, die Pflanzen sind aus Erde – aber nur aus Teilen derselben. Die hiesige Aussage zur Anthropogenetik kommt der heute üblichen Auffassung näher als diejenige im Buch XII, wo neben dem Vater noch Sonne und Ekliptik als Bewegursachen genannt werden.

 

Das „aus“ kann auch „nach“ im zeitlichen Sinn heißen und somit etwas jeweils Früheres angeben – wie etwa die Nacht aus dem Tag ist; dabei handelt es sich um eine sich wiederholende Abwechslung von zwei Zuständen; es kann aber auch um ein schlichtes Nachher gehen wie bei einer Reise, die „aus“ Ostern oder „ab“ Ostern angetreten wird. Aus der Reise werden sich Folgen ergeben, die möglicherweise auch zurückwirken.

In diesen Beispielen nimmt das „woraus“ die Position eines Früheren, eines Ursächlichen ein. Aber es kann auch in die Rolle eines Späteren, einer Konsequenz geraten – eigentlich tut es das immer schon, sodaß die verschiedenen Ursachen eine Konstellation bilden, in der sich Diachronie und Synchronie überschneiden. Die vier Ursachensorten, von denen jede nur eine Partialursache ist, führen dazu, daß die Multikausalität zum Normalfall wird – und die schlichte Präposition „aus“ kann diesen Sachverhalt trivialisieren.

Daher muß oder darf ich mein ätiologisches Akronym UPE zu UPEa ergänzen: Ursache-Prinzip-Element-aus. Aus dem Akronym wird ein Akroundmikronym – eine mit Aristoteles kompatible Unordentlichkeit.

 

Das ätiologische „aus“, das ich hiermit in die Aristoteles-Philologie einführe, hat in der deutschen Sprache immer schon einen emblematischen Protagonisten gehabt, nämlich die kleine Vorsilbe „ur“, die mit dem „aus“ etymologisch verwandt ist (die Schweizer sind so urtümlich, dass sie heute noch „us“ sagen) und die ätiologische Semantik wie einen Stern an der Stirn trägt. Dies ist bekannt, hier wird es erkannt.

 

 

Walter Seitter


[1] Auch das Protokoll ist eine Textform. In die Philosophie dürfte es über den universitären Betrieb Eingang gefunden haben. Bereits neben der Universität sind die kürzlich im Druck erschienenen Protokolle von Nicolai Hartmanns Gesprächszirkel angesiedelt; aus ihnen geht hervor, dass die Protokollanten ihre Aufgabe sehr ernst genommen haben, manchmal tagelang daran hingen. Siehe J. Fischer, G. Hartung (Hg.): Nicolai Hartmanns Dialoge 1920-1950. Die „Cirkelprotokolle“ (Berlin 2020)