τὸ μὲν οὖν αἰσθάνεσθαι ὅμοιον τῷ ... νοεῖν.

Das Wahrnehmen nun ist ähnlich dem ... vernünftigen Erfassen.

Aristoteles (De Anima III, 7: 431a)

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Mittwoch, 7. April 2021

Zusatzprotokoll zu „aus etwas sein“

 In der Metaphysik lesen (1023a 25 – 1023b 12)

 

 

In dem derzeit gelesenen Stadium der sogenannten Metaphysik spielen die „ätiologischen“ Begriffe der Ursache, des Prinzips, des Elements eine tragende Rolle. Ihre Bedeutungen überschneiden sich teilweise und mit den beiden distinkten ontologischen Hauptbegriffen des Wesens und der Verwirklichung bilden sie das Begriffsgerüst des Buches XII – jedenfalls bis zum Abschnitt 6.

 

Nun gibt es in der Metaphysik auch das Buch V, welches die Textform der Abhandlung verlässt und statt ihrer die Textform der Liste einsetzt, wobei sie die genannten ätiologischen Begriffe sinnentsprechend an den „Anfang“ setzt. Ganz weit hinten, im Abschnitt 24, erscheint in der Nennform „aus etwas sein“ ein ganz banaler Präpositionalausdruck, der gar nicht wie ein Begriff aussieht, aber dessen unterschiedlichen Verwendungsarten von Aristoteles ätiologische Bedeutungen zugeschrieben werden.

Diese sollen hier protokolliert, sozusagen erstgeschrieben werden, damit man dann sehen kann, ob sie zum Verständnis der ätiologischen These des Buches XII supplementäre oder andersartige Beiträge liefern können.[1]

 

Die erste Bedeutung tritt in zwei Versionen auf. Entweder man sagt, alle schmelzbaren Dinge seien aus Wasser oder aber diese Statue da sei aus Bronze. In der ersten Rede (die auf Thales von Milet zurückgeht) handelt es sich um die erste Gattung, in der zweiten um die letzte Art; beide Bezugnahmen auf die Logik können verwundern, denn man würde bei Wasser und Bronze eher an Stoffursachen (und nicht an Formursachen) denken. Fragt man, woraus ein Kampf entstanden ist, so mag die Antwort lauten: aus einer Schmährede, also aus verbaler Aggression. Dann war also ein Wort der Anfang oder der Ursprung des Kampfes, der seinerseits mit anderen Mitteln geführt wird (das Wort als Anfang oder Prinzip vieler Dinge ist uns aus anderen griechischen Schriften bekannt); Aristoteles spricht da von einem ersten bewegt habenden Prinzip oder einer Bewegursache. Der Vers ist aus der Ilias oder die Steine sind aus dem Haus wie die Teile aus dem Ganzen – aus dem Vollendeten der Form, dem Aristoteles eine Ursächlichkeit zuspricht, welche sowohl die Form- wie auch die Zweckursache sein kann. Andererseits ist die Form aus dem Teil wie etwa der Mensch aus dem Zweifüßer und die Silbe aus ihrem Element - damit sind wir wieder bei gewissen Stoffursachen.

 

Wenn die Statue aus Bronze ist, so liegt ein Wesen vor, das aus wahrnehmbarem Stoff zusammengesetzt ist, und die Form ist ihrerseits ebenfalls aus einem Stoff – nämlich dem logischen „Stoff“ der Artform, also der Gattung.

Einige Bedeutungen des „aus“ haben partiellen Charakter: das Kind ist aus Vater und Mutter, die Pflanzen sind aus Erde – aber nur aus Teilen derselben. Die hiesige Aussage zur Anthropogenetik kommt der heute üblichen Auffassung näher als diejenige im Buch XII, wo neben dem Vater noch Sonne und Ekliptik als Bewegursachen genannt werden.

 

Das „aus“ kann auch „nach“ im zeitlichen Sinn heißen und somit etwas jeweils Früheres angeben – wie etwa die Nacht aus dem Tag ist; dabei handelt es sich um eine sich wiederholende Abwechslung von zwei Zuständen; es kann aber auch um ein schlichtes Nachher gehen wie bei einer Reise, die „aus“ Ostern oder „ab“ Ostern angetreten wird. Aus der Reise werden sich Folgen ergeben, die möglicherweise auch zurückwirken.

In diesen Beispielen nimmt das „woraus“ die Position eines Früheren, eines Ursächlichen ein. Aber es kann auch in die Rolle eines Späteren, einer Konsequenz geraten – eigentlich tut es das immer schon, sodaß die verschiedenen Ursachen eine Konstellation bilden, in der sich Diachronie und Synchronie überschneiden. Die vier Ursachensorten, von denen jede nur eine Partialursache ist, führen dazu, daß die Multikausalität zum Normalfall wird – und die schlichte Präposition „aus“ kann diesen Sachverhalt trivialisieren.

Daher muß oder darf ich mein ätiologisches Akronym UPE zu UPEa ergänzen: Ursache-Prinzip-Element-aus. Aus dem Akronym wird ein Akroundmikronym – eine mit Aristoteles kompatible Unordentlichkeit.

 

Das ätiologische „aus“, das ich hiermit in die Aristoteles-Philologie einführe, hat in der deutschen Sprache immer schon einen emblematischen Protagonisten gehabt, nämlich die kleine Vorsilbe „ur“, die mit dem „aus“ etymologisch verwandt ist (die Schweizer sind so urtümlich, dass sie heute noch „us“ sagen) und die ätiologische Semantik wie einen Stern an der Stirn trägt. Dies ist bekannt, hier wird es erkannt.

 

 

Walter Seitter


[1] Auch das Protokoll ist eine Textform. In die Philosophie dürfte es über den universitären Betrieb Eingang gefunden haben. Bereits neben der Universität sind die kürzlich im Druck erschienenen Protokolle von Nicolai Hartmanns Gesprächszirkel angesiedelt; aus ihnen geht hervor, dass die Protokollanten ihre Aufgabe sehr ernst genommen haben, manchmal tagelang daran hingen. Siehe J. Fischer, G. Hartung (Hg.): Nicolai Hartmanns Dialoge 1920-1950. Die „Cirkelprotokolle“ (Berlin 2020)

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