Mittwoch,
den 05.02.2025
Im
abschließenden Teil des letzten Abschnitts wurde uns in Bezug auf
die Bestimmung der Frage nach der Seele vorgelegt, dass wir uns zum
einen mit Fragestellungen in Verbindung mit ihrer Definition
auseinandersetzen als auch zum anderen versuchen sollen, die Ränder
zu skizzieren, welche diese bestimmenden Kriterien ersichtlich
machen.
Die
allererste Frage hierbei lautet: Welche sind die Prämissen einer
Definition der Seele? Und wie können diese erforscht werden?
Aristoteles schlägt an dieser Stelle vor, aus dem Unklaren aber für
uns Offensichtlicheren zu dem, was dem Begriff nach – ich würde
hier eher sagen ‚was der Sprache nach‘ – deutlicher erkennbar
ist, voranzuschreiten. Der Sprache / dem Wort nach, weil im „asaphes“
das Wort „saphes“ vorliegt (S.P.). (413a 11-12)
Die
Formulierung einer ‚Definition‘ in diesem Sinn steht zwar hier in
enger Verknüpfung mit der Empirie [emphainesthai],
ihre Charakterisierung geht jedoch auf eine (dem [oristikon logon]
nach) Begriffsbestimmung (Definition) zurück, welche auf eine
Ursache [aitian]
zurückzuführen ist. Durch einen Begriff soll eben nicht allein das
‚was‘
eines Geschehens dargelegt werden, sondern ebenso die Ursache
dieses Tatbestandes soll darin inbegriffen sein. Aristoteles stellt
beispielsweise hier die Frage nach der Bestimmung der ‚Quadratur‘
auf. Eine Antwort, bei der die Definition in Form eines Schlusssatzes
/ einer Schlussfolgerung formuliert wird, wie z.B.: Quadratur ist
„Die Gleichheit eines ungleichseitigen Vierecks mit einem
gleichseitigen rechtwinkligen“ gibt jedoch nicht die aristotelische
Position wieder. Dies trifft nur dann zu, wenn eine
Begriffsbestimmung vor allem den Grund
[aition]
eines Tatbestandes angibt bzw. formuliert. Die Antwort somit in
diesem Fall lautet: „Quadratur ist die Auffindung der mittleren
Proportionale [μέση]“.
Willy Theiler gibt hierzu das folgende mathematische Beispiel: „Wenn
a und b die Seiten des Rechtecks sind, x die gesuchte des Quadrats,
gilt die Formel ab = x2,
die sich darstellen läßt als a : x = x : b; x ist die mittlere
Proportionale [μέση]
zwischen den Rechteckseiten“.
(Aristoteles,
Über die Seele,
übers. von Willy Theiler, Berlin 1994, S. 109, Anmerkung 26,11 (a
16)).
Das
nächste Unterscheidungskriterium im Kontext der Seelebestimmung
trifft auf die Differenzierung zwischen dem Beseelten und dem
Unbeseelten zu, denn es ist das Leben
(τω
ζñν),
welches hier die Unterscheidung ausmacht. Vom Leben sprechen wir,
wenn ihm auch nur eines der folgenden Dinge zukommt, wie: Verstand,
Wahrnehmung,
Bewegung
und Stillstand am Ort,
weiter Bewegung
in der Ernährung
und Schwinden
und Wachsen.
Auch im vorherigen Abschnitt (412a 13) sprach der Philosoph vom Leben
im Sinne der Ernährung durch sich selbst. Nachdem diese Eigenschaft
ebenfalls den Pflanzen zukommt, entsteht auch in diesem Zusammenhang
aus diesem Grund der Eindruck, dass Pflanzen leben. Allerdings,
obwohl sie aus sich selbst heraus wachsen und sich selbstständig
entwickeln, besitzen sie keine andere der oben erwähnten
Eigenschaften.
Die
Frage, die hiermit in Folge zu stellen ist, lautet: Was unterscheidet
die Pflanzen von anderen lebenden Wesen? Solange die Pflanzen Nahrung
aufnehmen können, leben sie weiter. Sie besitzen aber kein weiteres
Seelenvermögen. Aristoteles‘ Blick richtet sich hier vor allem auf
die Wahrnehmung im Allgemeinen und im spezifischen auf den Tastsinn.
Erst durch das Wahrnehmungsvermögen kommt dem Lebewesen Leben zu [τò
μεν
ουν
ζñν
δια
την
αρχήν
ταύτην
υπάρχει
τοις
ζωσι,
το
δε
ζωον
δια
την
αίσθησιν
πρώτως]
(413b f), nur deswegen werden sie Lebewesen genannt – und nicht
allein, weil sie leben. Den Grund dazu werden wir erst im III. Buch
erfahren. An dieser Textstelle wird zunächst wiederholt, dass an der
Konstituierung eines beseelten Lebewesens nicht nur das Prinzip der
Bewegung notwendig ist, sondern, dass ebenso jedes physische Teilchen
(morion - 413b 7) der Seele, welches nährfähig ist, eine Rolle
dabei spielt. Seele ist der Anfang für alles was nährfähig,
wahrnehmungsfähig, denkfähig ist und Bewegung (*)
in sich hat.
Diese
Eigenschaften der Seele werden in Folge einzeln aufgezählt, wobei
zugleich versucht wird, ihren jeweiligen gedanklichen oder physischen
Ort zu bestimmen. Von Bedeutung scheint hier ebenfalls die Frage zu
sein, ob diese Eigenschaften selbst Seele sind oder nur ein Teil von
der Seele. Nachdem die Seele die Grundkraft aller Vermögen von
Nähren, Wahrnehmen, Überlegen und der Bewegung ist, haben auch
Teile der Lebewesen diese Fähigkeiten. Wahrnehmung [aisthesis],
Vorstellung [phantasia],
Streben [orexis],
Schmerz [lype],
Lust [hedone]
bedingen sich gegenseitig und allen folgt notwendigerweise die
Begierde (Theiler) / Begehren (Buchheim) [epithymia].
Im
aristotelischen Gedankengang entsteht an dieser Stelle zunächst ein
Bruch zum nächsten Schritt. Der Geist / Verstand [nous]
und das betrachtende Vermögen [theôretikes
dynameôs]
(413b 24ff) werden vorerst als eine andere Seelengattung gesehen und
hinzugefügt, die in einem analogischen Verhältnis zum Ewigen und
Unsterblichen im Unterschied zum Vergänglichen stehen (**).
Der
letzte Teil dieses Lektüre-Abschnitts (413b 27 – 414a 3) wurde
nicht besprochen.
Insofern
füge ich nur folgende Anmerkung zu dieser Textstelle zu:
Warum
alle diese Vermögen (der Seele) manchen Lebewesen zukommen und
anderen nicht, wird im III Buch von Peri
psyches
erörtert. An dieser Stelle ist nur folgende Differenzierung von
Bedeutung: „Die übrigen Seelenteile können, nicht – wie manche
behaupten (hier ist Platons Timaios
angesprochen) –, getrennt werden, denn es ist klar, dass sie sich
voneinander gedanklich (τω
λόγω)
unterscheiden. Zur „Wahrnehmung“ vermögend sein und zum „Meinen“
ist so verschieden wie „Wahrnehmen und Meinen“. Die hier
angesprochene Differenz betrifft zum einen den Unterschied ‚dem
Wesen nach‘ und zum anderen ‚dem Vermögen nach‘ – es handelt
sich um eine dianoetische Differenz beziehungsweise dianoetische
Fähigkeit, auf die sich Aristoteles hier bezieht – und dies wird
in Folge den Unterschied zwischen den Lebewesen ausmachen. Ähnlich
verhält es sich in Bezug auf die ‚Wahrnehmungen‘ – manche
besitzen alle, andere nur einige, und andere wiederum nur die
notwendigste – dies ist der Tastsinn, die Fähigkeit des
‚Berührens‘.
Sophia
Panteliadou
(*)
Thomas
Buchheim fügt hier folgende wichtige Erläuterung hinzu, in: De
anima | Über die Seele, übers.
von Thomas Buchheim,
Darmstadt
2016, S. 109, Anmerkung 75: „Die Seele als Prinzip ist ein
Singular, während die besagten Fakultäten einen Plural bilden.
Dementsprechend ist es ausgeschlossen, dass die Seele von Aristoteles
mit einem Bündel von Fähigkeiten identifiziert wird. Sie ist
vielmehr immer eine
primär wirkliche Selbstvollbringung oder entelecheia
eines physischen Körpers, deren Gepräge durch jene aufgezählten
Fähigkeiten „bestimmt“ ist. Die aufgezählten Fähigkeiten
bestimmen also primär die Seele
(geben ihr
als
der primären entelecheia
des
Körpers einen bestimmten Charakter oder ein Gepräge), und nur kraft
oder vermittels
der Seele sind sie auch Fähigkeiten des lebendigen Wesens in seiner
körperlichen Existenz. Die Zuordnung der Vermögen oder Fähigkeiten
zur Seele ist deshalb wichtig, weil nach Aristoteles eine Entität
nur Ursache
im effektiven Sinn ist, insofern sie bestimmte Vermögen besitzt.
Denn die Vermögen sind allgemein „Prinzipien … des Wandels in
einem anderen oder insofern es ein anderes ist“ (s. Metaph.
IX 1, 1046a 9–11). Entsprechend sind alle von den seelischen
Fähigkeiten mitverursachten Bewegungen und Tätigkeiten des
Lebewesens solche, die ihm „vermöge“ oder „kraft“ seiner
Seele zukommen (vgl. dazu bes. I 4, 408b 13–15)“.
(**)
Ebenda,
S. 111, Anmerkung 76:
„Wenn
der Verstand (nous)
eine andere „Gattung“ von Seele ist, dann kann er niemals
gemeinsame Teile mit einer von ihm gattungsverschiedenen Seele haben
(vgl. Metaph.
V28, 1024b10–16). Das bedeutet: Er kann nicht eins werden mit der
menschlichen Seele und ihren Teilen.“
S.
P.
P.