Aristoteles – 23. April 2025 – Protokoll
[ Karl ist entschuldigt / verhindert. Nächstes Treffen: Mittwoch 7. Mai 2025 ]
Vorbemerkungen (RK):
[ Zunächst möchte ich einen Rückblick auf bisherige Ausführungen zur Bestimmung der Seele geben. Dabei gehe ich zurück an den „Anfang der Untersuchung“: S. 75 / Zeile 23: ]
Unterscheidung „Beseeltes“ / „Unbeseeltes“ im Hinblick auf »Lebendig-Sein«: dabei gibt es „vielfache Weisen von Lebendig-Sein“:
- „Vernunft“
- „Wahrnehmung“
- „Ortsbewegung“
- „Stillstand“
- „Nahrungsaufnahme“
- „Schwinden und Wachstum“ – „in die entgegengesetzte Richtung wachsen und schwinden“ / „nach oben“ / „nach unten“ / „gleichmäßig in beide Richtungen und nach allen Seiten“ / „und zwar fortwährend“
Um „lebendig zu sein“ genügt bereits eine dieser „Weisen“.
Diese „Weisen“ werden als „Vermögen“ bzw. als „Prinzip“ bestimmt.
Dazu kommt noch, dass bei diesen „Entitäten“ einzelne Weisen „abgetrennt“ werden können / was aber bei den „sterblichen Lebewesen unmöglich“ ist.
Dabei wird noch unterschieden: „Lebendig zu sein kommt also allem, was belebt ist, durch dieses Prinzip zu; Lebewesen (zu sein) aber zuerst durch die Wahrnehmung“.
„Und als erste Wahrnehmung kommt allen (Lebewesen) der Tastsinn zu.“
[ jetzt werden Beispiele, einzelne Fähigkeiten dieser „Vermögen“ sowie Kombinationen aufgeführt... ]
„Tastsinn“ / „Tastwahrnehmung“ haben alle Lebewesen.
Und es wird noch einmal präzisiert und gebündelt: „Die Seele ist Prinzip dieser genannten Tätigkeiten und ist durch diese definiert als Ernährungsvermögen, Wahrnehmungsvermögen, Denkvermögen oder (Orts-) Bewegung.“ (bis 413b)
„Ob aber jedes einzelne davon Seele ist oder Teil der Seele, und wenn es Teil ist, ob es auf solche Weise (Teil ist), dass er nur dem Begriff nach abtrennbar ist oder auch dem Orte nach, ist bei einigen von ihnen nicht schwer zu sehen, bei manchen bereitet es aber Schwierigkeiten.“
Und immer weiter: „Wahrnehmung, dann auch Vorstellung und Strebung. Denn wo es Wahrnehmung gibt, dort gibt es auch Schmerz und Lust. Und wo es diese gibt, gibt es notwendig auch Begierde.“ (bis Zeile 24)
[ Skeptisch war ich bezüglich der Einbeziehung der „Vernunft“, aber dazu kommt jetzt noch eine kritische Anmerkung: ]
„Über die Vernunft und das Vermögen der theoretischen Betrachtung ist noch nichts klar, es scheint aber eine andere Gattung von Seele zu sein, und diese allein scheint abgetrennt werden zu können, so wie das Ewige vom Vergänglichen.“ Wie auch die Unterscheidung von „Wahrnehmen“ und „Meinen“.
Die „Verschiedenheit unter den Lebewesen“ ergibt sich daraus, ob alle oder nur einzelne „Vermögen“ zutreffen. „Wissenschaft“ und „Seele“ sind zu unterscheiden. (414a, Zeile 7)
Und nach einigen Beispielen jetzt die subtile Unterscheidung: „Die Seele ist aber das, wodurch wir primär lebendig sind und wahrnehmen und denken – sie dürfte folglich eine Art Begriff und Form sein, nicht aber Materie und das Zugrundeliegende.“ (bis Zeile 14)
[ Hier folgen Aussagen zu Körper und Seele, auf die man schon dringend gewartet hat: ]
„Da, wie wir gesagt haben, die Substanz auf dreifache Weise ausgesagt wird, nämlich erstens als Form, zweitens als Materie und drittens als das aus beiden Zusammengesetzte, wovon die Materie Vermögen und die Form der Vollendung ist, (und) da das aus beiden Zusammengesetzte Beseeltes ist, ist nicht der Körper die Vollendung der Seele, sondern sie ist (die Vollendung) eines bestimmten Körpers.“ (Zeile 19)
„Und deswegen liegen diejenigen richtig, die meinen, die Seele existiere weder ohne Körper noch sei sie ein bestimmter Körper; denn sie ist kein Körper, sondern etwas des Körpers, und deswegen kommt sie im Körper vor, und zwar in einem Körper von bestimmter Beschaffenheit.“ (bis Zeile 22)
„Und nicht so wie die früheren Philosophen sie in einen Körper einfügten, ohne zusätzlich zu bestimmen, in welchen und von welcher Beschaffenheit, obgleich es nicht einmal den Anschein hat, dass jedes Beliebige Beliebiges aufnimmt. So aber ergibt es Sinn: Denn die Vollendung eines jeden Dinges kommt von Natur aus in das dem Vermögen nach Vorhandene und die ihr geeignete Materie hinein. Dass die Seele also eine Art von Vollendung und Begriff dessen ist, das ein Vermögen hat, ein solches zu sein, ist hieraus klar.“ (S. 81, bis Zeile 28)
Kapitel 3: Hier werden die verschiedenen „Vermögen der Seele“ gebündelt und kurz abgehandelt:
- „Ernährungsvermögen“,
- „Strebevermögen“,
- „Wahrnehmungsvermögen“
- „Vermögen zur Ortsbewegung
- und „Denkvermögen.“ (414a, bis Zeile 33)
[ Ausgehend von diesen fünf elementaren Vermögen der Seele werden sie nun auch „psychologisch“ bezeichnet in der Richtung, wie sie mehr als 2000 Jahre später in der Psychoanalyse kulminieren: hier zunächst aber nur in den Begriffen Strebung, Begierde, Mut, Wunsch, Lust, Leid. ]
Aber auch die unmittelbarer physiologischen Seiten werden genannt: Wahrnehmung der Nahrung, Tastsinn, trocken/feucht, kalt/warm, Schall, Farbe, Geruch/Geschmack. (414b, bis Zeile 13)
Und nun die begrifflichen Logiken der Figuren der Vermögen. (414b weiter 415a)
[ Dies kulminiert in „Überlegung und Denken“, wobei die betreffende „theoretische Vernunft“ hier aufgeschoben wird. In Andeutungen und Beispielen werden aber kurz begriffslogische Fragen erörtert, aber auch die Spezifitäten der einzelnen „Vermögen“ für sich genommen und im Zusammenhang. ]
[ Das ausführlichere Kapitel 4 setzt methodisch / logisch ein: ]
„Es ist notwendig, dass derjenige, der über diese (Seelenvermögen) Untersuchungen anstellen will, von jedem einzelnen von ihnen herausfindet, was es ist, und dann bei den anschließenden und den übrigen weiterforscht. Wenn es aber nötig ist anzugeben, was jedes einzelne von ihnen ist, etwa was das Denkvermögen ist oder das Wahrnehmungsvermögen oder das Ernährungsvermögen, so ist vorher noch anzugeben, was das Denken und was das Wahrnehmen ist. Denn die Wirklichkeiten und Tätigkeiten sind dem Begriff nach früher als die Vermögen. Wenn sich dies aber so verhält und man noch vor diesen deren Gegenstände betrachtet haben muss, so soll man diese aus demselben Grund vorher eingeteilt haben, wie Nahrung, Wahrnehmungsgegenstand und Denkgegenstand.“ (S. 87/89, Zeilen bis Ende 414b)
[ Aber dabei darf das „Göttliche“ nicht zu kurz kommen: ] „Lebewesen“ bzw. „Gewächse“, „damit sie am Ewigen und am Göttlichen teilhaben, soweit es ihnen möglich ist. Denn alle (lebendigen Wesen) streben nach jenem (Göttlichen), und um seinetwillen tun sie alles, was sie von Natur aus tun.“ (415b...)
[ Damit endet hier aber auch schon der Ausflug ins „Göttliche“: ]
„Die Seele ist Ursache und Prinzip des lebendigen Körpers.“
[ Aber damit ist es nicht genug: ]
„Diese werden jedoch auf vielfältige Weise ausgesagt. Und ebenso ist die Seele dreier der unterschiedenen Weisen Ursache:
- Sie ist das Woher der Bewegung,
- das Worum-willen,
- und auch als die Substanz der beseelten Körper ist die Seele Ursache.“
[ 415b, Zeilen 10 usw., und immer schön »philosophisch«, mit einem Verweis auf Fehleinschätzungen von Empedokles – und am ausführlichsten zur Nahrung – 415b und 416b ]
- [ Schlicht: ] „(...) Deswegen kann man ohne Nahrung nicht existieren.“
- [ Und in etwas lausiger ›philosophischer‹ Diktion: ] „Die Nahrung aber stellt das für das Wirklich-Sein Erforderliche bereit.“ (416b, 20)
[ Bei solchen Sätzen kann ich mir Aristoteles nicht anders als listig über die Köpfe der Zuhörer*innen blinzelnd vorstellen ... ]
[ Das hindert aber nicht daran, dass ] „die Verdauung durch Wärme bewerkstelligt wird“ [ was gelegentlich zur Gasbildung führt... ]
[ mit der weitreichenden Schlussfolgerung: ] „Deswegen hat alles Beseelte Wärme.“ (Zeile 29)
[ Durchaus findig wird nun das Kapitel 5 eröffnet – mit Überlegungen zur „Wahrnehmung“: ]
Sitzung vom 23. April 2025
Walter erinnert daran, dass das Protokoll bald nach jeder Sitzung verfasst und verteilt werden sollte: (1) eine Zusammenfassung des gelesenen Abschnitts von Aristoteles und (2) wichtige Ausführungen, die nicht direkt zum Text gehören.
Im Zentrum des Abschnitts 416a steht die Nahrung: Der Seele wird das Vermögen zur Ernährung und zur Zeugung zugeschrieben. Teils empirisch, teils kategorial ergibt sich die Frage, inwiefern sich „Gleiches durch Gleiches ernähre“ (416a, Zeile 30), oder umgekehrt „sich das Entgegengesetzte durch Entgegengesetztes ernähre“, „da Gleiches von Gleichem nicht affizierbar sei, die Nahrung aber einen Umschlag bewirke und verdaut werde und der Umschlag für alle Dinge in den entgegengesetzten Zustand bzw. in den dazwischenliegenden verlaufe. (416b)
„Ferner erleidet die Nahrung etwas von dem, was sich ernährt, dieses aber nicht von der Nahrung ist (...).“ (Fortsetzung 416b)
„Insofern sie (die Nahrung) nämlich unverdaut ist, nährt sich das Entgegengesetzte durch das Entgegengesetzte, sofern sie aber verdaut ist, das Gleiche durch das Gleiche, so dass klar ist, dass beide auf gewisse Weise recht haben und nicht recht haben.“ (Zeile 7 bis 9).
Die Schlussfolgerungen daraus sind aber nur zum Teil abgeleitet und verständlich: „Da sich aber nichts ernährt, was nicht am Leben teilhat (?), dürfte der beseelte Körper das Sich-Ernährende sein, insofern er beseelt ist, so dass auch die Nahrung im Verhältnis auf ein Beseeltes, und zwar nicht auf akzidentielle Weise.“ (Zeile 10-13)
[ Kurze Ausführungen und Argumente sind schon in obigen Absätzen umrissen... – Hier sind die Schlussfolgerungen mehr oder weniger einsichtig bzw. kryptisch: ]
„(...) Es (das Beseelte) bewahrt nämlich seine Substanz und besteht so lange, wie es sich ernährt; und es ist auch fähig, Zeugung zu bewirken, nicht vom Sich-Ernährenden, sondern von einem, das so ist wie das Sich-Ernährende; seine eigene Substanz existiert ja bereits, und nichts erzeugt sich selbst, sondern erhält sich (nur).“ (Zeile 13 bis 18)
„Folglich ist das derartige Prinzip der Seele ein Vermögen, das seinen Besitzer erhält, insofern er ein solcher ist. Die Nahrung aber stellt das für das Wirklich-Sein Erforderliche bereit. Deswegen kann man ohne Nahrung nicht existieren. Da es aber dreierlei gibt, das Sich-Ernährende, das, wodurch es sich ernährt, und das Nährende, so ist das Nährende die erste Seele, das Sich-Ernährende der sie besitzende Körper und das, wodurch er sich ernährt, die Nahrung.“ (bis Zeile 23)
[ Diese unterschiedlichen physiologischen Beschreibungen von Vorgänge bzw. Abhängigkeiten könnten auch wie eine Metaphorik der Seele erscheinen. ]
[ Im folgendem Kapitel 5 werden dann – ohne Übergang – Wahrnehmungen angesprochen, die dem näher kommen, wie die Seele spätestens seit dem 19. Jahrhundert thematisiert worden ist... ]
Parallel zum Text von Aristoteles wurde eine ganze Reihe von Kommentaren und Assoziationen angesprochen:
- Für das „Soziale“ erinnert Walter an den griechischen Begriff „socein“ (?) im Sinn von Retten und Erhalten. „Erhalten“ als „weiter Existieren“.
- Aus Anlass von Ostern: Was musste da von Jesus „gerettet“ werden?
- „Rettung“ findet statt, wenn etwas (Schädliches) passiert ist...
- Für den Hunger ist das Essen die Rettung.
- Unbeseelte Körper werden als „Ding“ bezeichnet. Aber der Stein hat keine Seele.
- Walter erinnert daran, dass es auch den „Animismus“ gibt, der alles beseelt. Im Animismus wird auch der Stein beseelt sein!
- Die Skala von Mensch – Pflanze – Sein, bzw. von „niedrigeren“ Lebewesen (innerhalb einer ganzen Reihe von Tierarten).
- Aristoteles geht dabei auch auf die Pilze ein...
- Von Vorgängen / Prozessen geht es dann zu Wörtern und ganzen Sätzen...
- „Tiere haben eine Seele“ / und der Einwand, dass dies alles (auch) Sprachregelungen sind.
- Walter geht zurück zur Grundfrage: Was meinen wir mit „Seele“? Die katholische Seele... Die christliche Seele hat eine Heilsgeschichte. Etwas ist glücklich/fraglos gegeben; Schritt 2 ist ein Unheil, auf das im Schritt 3 die „Rettung“ antwortet ...
- Bei Aristoteles gibt es erste Brücken zur „psychoanalytischen Seele“ (siehe oben).
- Aristoteles kennt keine „Sünde“. Sünde bzw. „Schuld gegen jemanden“ setzt ein „Ich“ voraus.
- Zeugen – Erhalten – Retten
- Es gibt dabei immer das „Vorhergehende“: Der Zeugende muss selbst gezeugt worden sein. Die „Gebärende muss geboren worden sein“...
- Zeugung / männlich – weiblich ...
- „insofern“ ist eine Worterfindung von Aristoteles (Walter)
- „als ob“ mit starken Anklängen an Heidegger (Sophia)
- Walter: „Ernährung ist die Einverleibung eines Fremdkörpers“ (z.B. Brot).
- Daran schließt sich eine kurze skeptische Diskussion zu „Nahrung“ an: eine „Nahrung verschlingen“ / Walter abstrakter: „einen anderen Körper“...
- Das geht über in die Polarität „passiv – aktiv“. In diesem Sinne wäre „das Gegessene“ passiv – und wird dann aktiv ...
- Walter: Fragen zur „ersten Seele“ (Kapitel 4, Zeile 22). Die Seele in ihrer niedrigsten Form / unterste Seele / „primäre Seele“
[ ENDE PROTOKOLL / Rudolf Kohoutek ]