τὸ μὲν οὖν αἰσθάνεσθαι ὅμοιον τῷ ... νοεῖν.

Das Wahrnehmen nun ist ähnlich dem ... vernünftigen Erfassen.

Aristoteles (De Anima III, 7: 431a)

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Donnerstag, 23. März 2023

In der Metaphysik lesen (1087b 4 – 1088a 14)

Protokoll vom 22. März 2023

 

Noch vor dem Beginn der Sitzung muß (ein pathisches Müssen) Maximilian Perstl die Frage loswerden, ob etwa Aristoteles im Buch XIII in „emotionaler Befangenheit“ schreibe. Und meint damit wohl gelegentliche polemische Anwandlungen, die vielleicht seinen Erkenntniswillen oder gar seine Erkenntnisleistung reduzieren. Ressentiment, Neid, Gekränktheit könnten solche Affektionen sein.

 

Zurecht gilt Aristoteles als ein kühler Kopf, dem Sachlichkeit über alles geht. Ja der wie man seit dem 20. Jahrhundert nach Christus sagt, die unvermeidlich mitwirkende Subjektivität auszuschalten versucht, um den Typ „Wissenschaftler“ zu erzeugen – „Diskurs der Universität“.

 

Wir könnten uns aber auch fragen, ob sich in dem Metaphysik genannten Buch auch Spuren von Affektivität, Emotionalität finden, die erkenntnisfördernd, ja -antreibend wirkt. Eigentlich programmiert Aristoteles selber so etwas, wenn er von Streben nach Wissen, von Suche nach einer Wissenschaft spricht, was auf ein Wissenschaftsethos hinausläuft, welches jedoch mit einer gewissen Affektion, also Passivität, verbunden ist, die er letzten Endes so deutet, daß er sich von einer Bewegungsinstanz anspornen und leiten läßt, die bei ihm eine „Emotion“ auslöst – also ein „Herausbewegtwerden“, ein „Herausgefordertwerden“.

 

Fließt so etwas in seine Formulierungen ein, wenn er sich direkt daran macht, diese Bewegungsinstanz aufzuweisen, zu beschreiben, ja zu schildern? Er sagt, daß das schön Scheinende begehrt wird, das schön Seiende gewollt wird. Das schön Scheinende ist etwas Aktives, es tut ja schön scheinen (um die österreichische Umgangssprache philosophisch ja aristotelisch zu benützen, ja auszuschlachten (diese Umgangssprache kann auch zu so etwas gut sein)). Sie tut, sie leistet schön sein. Sein muß ja nicht nur so fades, graues Weniges sein, grad ein bißchen mehr als Nicht-Sein. Es kann mit viel energeia verbunden sein und genau diese wird der Bewegungsinstanz im Buch XII zugesprochen. Diese „bewegt“ solche, die dazu fähig sind, sich von ihr bewegen zu lassen und sie zu begehren und zu wollen und zu betrachten und zu bewundern und auch sprachlich, in diesem Fall schriftlich, zu beschreiben und zu rühmen.

 

Im Laufe des Buches XII, so im Kapitel 7, steigert Aristoteles sein Schreiben und Schildern zu einer kühlen Bewunderung und Begeisterung, zu einer theoretischen, schriftstellerischen, fast poetischen Sagetätigkeit, die von einem Bewegtsein ausgeht, welches er auf die ferne Bewegungsinstanz zurückführt.

 

 

Pathos, fast Pathetik, Theorie, fast Poesie. (Denn auch Theorie muß gemacht werden, sonst gibt es sie nicht)

 

Ich habe das vor genau einem Jahr im Protokoll vom 9. März 2022 auf meine bescheidene Art, in Form einer Litanei, da hergeschrieben. Man kann es nachlesen, man findet so etwas nur da.

 

Das Buch XIV scheint ähnlich wie Buch XIII Ansichten anderer Philosophen zu referieren und bestimmte Begriffe wie „Wesen“, „Prinzip“, „Element“, „Gegenteil“  daraufhin abzuklopfen, wie sich sich zueinander verhalten und welche Rolle sie im Gefüge der Ontologie spielen – oder im Gefüge der Physik im weiteren Sinn? Im Gefüge der Seinsmodalitäten oder in dem der Realitätssorten?

 

Gegenteilig verhalten sich nicht Wesen zueinander sondern eher Akzidenzien wie Eines - Menge, groß - klein, übertreffend – übertroffen.

 

Die alte Lehre, die Dinge würden aus Gegenteilen entstehen, setzt dann voraus, daß diese jeweils einem Substrat zukommen, dann müßten eher die Substrate als Prinzipien betrachtet werden.  

 

Worin bestehen die Substrate? Substrat der Harmonie ist die „Diesis“ (mit zwei Punkten auf dem e), also das kleinste Intervall, das in der Antike verschiedene Interpretationen erfuhr. Der Aristoteles-Schüler Aristoxenos (360-300) verstand darunter alle Intervalle, die kleiner sind als ein Halbton. Substrat der Größe ist zum Beispiel der Finger oder der Fuß. Bei den Rhythmen ist es der Versfuß oder die Silbe. Wenn Pferde gezählt werden, ist das Maß ein Pferd. „Wenn aber Mensch, Pferd und Gott, so würde vielleicht ‚Lebewesen‘ das Maß und ihre Zahl die Zahl von Lebewesen sein. Wenn hingegen Mensch, Weißes und Gehendes zusammengenommen werden sollten, so gibt es da keine Zahl, weil alle diese Bestimmungen einem Selben zukommen; doch dürfte es auch hier eine Anzahl von Gattungen oder derartigen Prädikabilien geben.“ (1088a 10ff.)

 

Die kleine zoologische Liste „Mensch, Pferd, Gott“ ist kein Druckfehler. Aristoteles hat sie schon im öfter hier erwähnten Buch V, im Kapitel 26, als Beispiel für eine Ganzheit, hergeschrieben.  Karl Bruckschwaiger erinnert sich an sein Erstaunen beim Lesen des Buches XII, wo Aristoteles seinem „Gott“ Lebendigkeit zuspricht, bzw. an seine Enttäuschung darüber, daß Aristoteles kein zuverlässiger Nietzscheaner sei. (Andererseits könnte Nietzsche aufgrund seines berühmten „Gott ist tot“ zu einem konsequenten Aristoteliker erklärt werden)

 

Die kleine Liste der drei Spezies der Gattung „Lebewesen“ liefert tatsächlich einen überraschenden Kommentar zur aristotelischen Theologie, da sie den Abgrund zwischen der an den Lebewesen orientierten Physik und der angeblich rein „metaphysischen“ Gottesbeschreibung überbrückt. 

 

In dieser Hinsicht läßt sich die aristotelische Zoologisierung seiner Theologie auch auf die Götter der griechischen Volksreligion übertragen, die ja noch viel anthropomorpher vorgestellt worden sind als sein unsichtbares Bewegungs-, Lust- und Denkprinzip. Aristoteles selber schlägt diesen Bogen in der Nikomachischen Ethik (1178b 7ff.)

 

Wenn man das Christentum in seiner dogmatischen Besonderheit ernstnehmen würde, dann würde die aristotelische Dreierliste noch eine zusätzliche Plausibilität, beinahe Banalität, gewinnen. Denn die Dogmatik sagt, daß in Nazareth der unsichtbare hebräische Alleingott Mensch, aristotelisch animal rationale, geworden sei und seither sei. Der Theologe Eckhard Nordhofen hat in CorporaDie anarchische Kraft des Monotheismus (Freiburg 2018) so eine Spur verfolgt.

 

Walter Seitter

Dienstag, 21. März 2023

In der Metaphysik lesen * Hermann – Lektüre 26 (72vH - 73vF) Seite 184, Z 6 bis Seite 190, Z 6 bei Burnett

Mittwoch, den 15. März 2023

 

In dem vorgelesenen Abschnitt geht es weiter um die Geister, die zwischen dem Menschen und Gott stehen, die in dem Sinne für uns wahrnehmbar sind, dass sie auf unsere Sinne Einfluss nehmen und damit auch das menschliche Handeln verändern. Da sie sich selbst sinnlich wahrnimmt, ist es entweder ein Seele oder zumindest eine Seele. In der Bestimmung der Gattung der Seele kommt Hermann zu dem Problem, das die Seele des Menschen in die Substanz eingeboren ist, und ohne den Gehorsam des Körpers ohne Wirkung ist. Aber prinzipiell geht von der Seele eine gute als auch böse Wirkung aus und sie ist als Gattung sowohl vernünftig wie auch intelligent, denn sie hat zugleich Anteil an der kontemplativen Natur der göttlichen Einfachheit und dient dem göttlichen Aufbau – aber ein anderer Teil ist der ewigen Verdammnis geweiht.

Die Schilderung der Hölle fällt noch kurz aus, es wird einerseits auf die theologische Rede verwiesen, andererseits gibt es einige Hinweise auf antike Vorstellungen wie der avernische Abgrund oder die Ebenen von Elysium. Auf jeden Fall ist jeder fremde Ort für diese Wesen eine Strafe, wo sie nicht leben können, aber ihr ätherischer Körper ist von der einfachen Natur perfektioniert und daher nicht auflösbar und unsterblich.

Auch zitiert Hermann den neuplatonischen Philosophen Apuleius aus dem 2. nachchristlichen Jahrhundert, der eine Dämonenlehre in ein System von Kosmologie eingebettet hat. Apuleius definiert die Dämonen, indem er sie als „mittlere Gottheiten“ einerseits von den erhabenen himmlischen Göttern, andererseits von den Menschen abgrenzt, und er klassifiziert sie systematisch. Die Dämonen sind demnach unsterblich, vernünftige, luftige und leidensfähige Lebewesen, wobei sie sich von den Göttern durch die Leidensfähigkeit unterscheiden würden. Die Dämonen können Mitleid fühlen, entrüstet sein, betrübt und erfreut und andere stürmische Zustände der menschlichen Seele, und sind damit weit entfernt von der Ruhe der himmlischen Götter. Dadurch können sie sich an den Spielen und Opfern der Menschen erfreuen.

Wenn diese Geister menschliche Körper annehmen, werden Sie von den Menschen Halbgötter genannt, wie Hermes, Herkules, Perseus oder Sybille oder sie wirken durch ihren göttlichen Geist über ihren Tod hinaus wie Äskulap.

Hermann führt Varro mit seiner religionshistorischen Vermutung an, dass die Seelen der Verstorbenen in Toten-, Haus- und Weggötter, Laren, Lemuren und Larven, überführt werden. Diese herumirrenden Seelen dringen manchmal in die Körper von Tieren ein und verschonen auch tote Körper nicht. Um diese Götter zu einer Art Gehorsam zu zwingen würden sich Figuren aus Holz oder Metall eignen. Andere nutzen Bilder und Mysterien, um die Seele der Dämonen und Engel herbeizurufen und deren Kraft zu nutzen.

Die Kräfte der Natur, die als Faune und Nymphen, die zuweilen sichtbare Körper an bestimmten Orten annehmen, sind den Menschen so vertraut, dass sie sich mit den Menschen beiderlei Geschlechts vermischen und Nachkommen zeugen, was ein Zeichen ihrer körperlichen Natur ist. Diese Körper sind so perfekt geformt, dass sie sich eines möglichst langen Lebens erfreuen können.

Als Abschluss dieses Abschnittes zitiert Hermann ein verlorenes Gedicht über die Zeitalter der Tiere von Hesiod, das von Ausonius in seiner 5. Ekloge zitiert wird. Darin werden die Lebensalter von Menschen und Tieren und Fabelwesen miteinander verglichen, wobei die hamadryadischen Nymphen (Nymphen der Eichbäume) zehnmal älter werden als der Phönix. Mit dieser erstaunlichen Altersbestimmung endet die Erörterung des unsterblichen Geschlechts, das doch eine Lebensspanne zu haben scheint.

Es wird eine Einteilung des vergänglichen Geschlechts in vernünftig und unvernünftig angekündigt, das wiederum bezieht sich auf das Unvernünftige, das in irdisch, wässrig und luftig, eingeteilt wird, gleichsam die Kapitelüberschrift in diesem kapitellosen Konvolut.

 

Karl Bruckschwaiger

 

Nächster Termin: 22. März 2023

Aristoteles, Metaphysik XIV, ab 1087b

Sonntag, 12. März 2023

In der Metaphysik lesen * Nuancierungen

Protokoll vom 8. März 2023

 

Anhand des Protokolls vom 22. Februar rekapitulieren wir einige hiesige Gesprächssituationen, die sich durch Verständnisschwierigkeiten ausgezeichnet haben.

 

Ich sage „ausgezeichnet“, denn Verständnisschwierigkeiten sind Glücksfälle für das Verstehen, sofern sie bemerkt und besprochen und nicht vergessen werden. Nur indem wir solche Gespräche durchführen, etwa über Realitätssorten und Seinsmodalitäten, können wir die Unübersichtlichkeit der Metaphysik dennoch s e h e n  und die begriffliche Unterscheidung zwischen Theologie und Ontologie mit Anschauung füllen. 

 

Die Theologie war bereits in Buch I in zwei kurzen Kapiteln absolviert worden – womit das offizielle Programm der Schrift eigentlich auch schon abgeschlossen schien. Doch Aristoteles wollte sich mit so einem schnellen „Gottesbeweis“ nicht zufrieden geben. 

 

Da setzt die für ihn typische Langwierigkeit ein.

Er fügt zusätzliche Fragen und Überlegungen und Begriffe hinzu, die sich auf seine eigene Suchtätigkeit wie auch auf historische Vorgänger bezogen, womit vielerlei Materialien und Nuancierungen ins Spiel kamen. Im Kapitel 9 von Buch I dann die speziell aristotelische Behauptung, „die Elemente der Seienden könne man nur finden, wenn man die verschiedenen Bedeutungen der Seienden auseinanderhält“ und ein paar davon werden gleich genannt: Tun, Leiden, Wesen. (992b 19f.). Da wird also eine Dimension der Ontologie angedeutet und es gibt noch mehr.

 

In mehreren Anläufen, in vielen „Büchern“, wird dann die Ontologie entworfen, durchgeführt, zusammengebastelt. Durchgeführt oder zusammengebastelt? Ist der erste Ontologe ein Ingenieur oder ein Bastler? 

 

Bis er sich schließlich in Buch XII dazu aufrafft, seine Theologie noch einmal ausführlicher und doch einigermaßen konzis zu formulieren. Wir haben sie gelesen und gesehen, daß er dabei bestimmte Begriffe wie Lust, Permanenz, Denken oder Reflexivität, Bewegungsleistung, Aktivität und Lebendigkeit mit bestimmten Nuancierungen einsetzt. Er begnügt sich nicht damit, die Sache mit dem altehrwürdigen Namen „Gott“ zu benennen. Es kommt ihm vor allem darauf an, sie begrifflich, man könnte auch sagen, sachlich zu präzisieren. Aber den Zusammenhang mit der traditionellen Götterverehrung erwähnt er auch.  

 

Auch bei diesem relativ kurzen Theologie-Stück kann man sich fragen: Ingenieurswerk oder Bastelei? Aussehen tut es nach einer solchen.

 

Kaum ist es irgendwie abgeschlossen, und zwar mit einer gewissermaßen politischen Dezision, wird die ontologische Problemstellung wieder aufgegriffen. Eine Art Unordnung, die wohl mit der Unvollendung der Schrift zusammenhängt.

 

Im Buch XIII dann die Stelle mit den beiden Sehen: der Gesichtssinn sieht die Farbe, der Grammatiker sieht den Buchstaben A. Die Metaphysik, die sogenannte Metaphysik, macht einen kleinen Ausflug in die Wahrnehmungslehre, die allerdings erst dann zu einer Wahrnehmungslehre (Ästhetik) wird, wenn die Leser sie zu einer solchen machen, indem sie nach dem präzisen Zusammenhang zwischen den beiden Sehen fragen. Dazu müssen die Leser es wagen, das „Sehen“ in den Plural zu setzen, was wiederum ein kleiner Gewaltakt innerhalb der pluralfeindlichen deutschen Sprache ist. Und der präzise Zusammenhang kann nur dann formuliert werden, wenn man auch die Farbe(n) pluralisch erfährt. 

 

Diese epistemologische Überlegung wird von Aristoteles weitergeführt, indem er zum wohl berühmtesten Begriff seiner Ontologie bemerkt, nämlich zum Wesen, er werde von einem zweifachen Erkenntnisvermögen gestützt: von der Wahrnehmung und vom Sprechen, er sei sowohl Erscheinung wie auch Begriff. Das alles hat mit dem, was man landläufig „Metaphysik“ nennt, herzlich wenig zu tun. Es ist Aristoteles pur.  

 

Soweit ein sehendes Aristoteles-Lesen, das wir hier versuchen.

 

Darüber hinaus gibt es noch eine zusätzliche Ebene, die noch philosophischer ist:

 

Aristoteles amicus, magis amica veritas

 

Walter Seitter

Dienstag, 7. März 2023

In der Metaphysik lesen * Hermann – Lektüre 24 (72rH - 72vH) Seite 180, Z 8 bis Seite 184, Z 5 bei Burnett.

Mittwoch, den 1. März 2023

 

 

Hermann unterteilt in diesem Abschnitt die Substanz in einen belebten und einen unbelebten Anteil, den belebten Anteil wiederum, der animal genannt wird, in einen körperlichen und einen unkörperlichen. Also von der Gattung animal gibt es zwei Arten und um diese Einteilung besser überblicken zu können, führt Hermann eine Erörterung der Betrachtung speculatio ein, wobei er seinen Angaben nach Boethius folgt. Der Gegenstand der Spekulation ist demnach dreigeteilt:

1) Zusammensetzung der Dinge (rerum compositione)

2) Anordnung der Dinge (dispositione)

3) leitende oder lenkende Ursache (causa moderante)

Die Zusammensetzung ist eine Mischung aus konstituierenden Ursachen, die Anordnung ein geordnetes Verhältnis (habitudo) des Gemischten, das Zusammengehen (coitu) ist die Konstitution und Vollkommenheit jeder körperlichen Substanz. Dann sind noch die lenkenden Ursachen, von denen es ebenfalls drei gibt:

1) die erste Ursache ist die göttliche Substanz

2) die zweite Ursache ist der himmlische Geist

3) von dritter Würde ist die Seele

damit sind auch alle Gattungen von Essenzen genannt, die für die Substanz die Unterschiede ausmachen.

Weil die spekulativen Ursachen mit den Dingen selbst verwandt sind, die speculatio hat selbst eine Spiegelung der Dinge in den Begriffen in der Wortbedeutung, hat die Spekulation auch diesselbe Anzahl von Teilungen.

Nun treten bei Hermann zu den drei Gegenständen der Spekulation die drei Erkenntnisvermögen hinzu, die den theoretischen Wissenschaften bei Aristoteles entsprechen.

1) der Verstand (ratio) tritt zur Zusammensetzung hinzu

2) die Beweisführung (demonstratio) tritt zur Anordnung hinzu

3) die Vernunft zu den lenkenden Ursachen

Der Verstand begnügt sich mit Wahrscheinlichkeit

und seine Wissenschaft ist die Physik,

die Beweisführung stützt sich auf die Notwendigkeit

und ihre Wissenschaft ist die Mathematik

Das Verstehen der Vernunft vertraut auf eine bloße Empfängnis (conceptione)

und seine Wissenschaft ist demnach die Theologie.

Die Zuordnung der Wissenschaften in dieser Weise findet man explizit bei Boethius, wie Burnett in den Anmerkungen schreibt, in De Trinitate II.

 

Hier kommt ein erstaunlicher Satz von Hermann, dass der Aufstieg der Spekulation von der ersten über die zweite zur dritten Stufe, zu einer stärkeren Vertrautheit mit der ersteren führen würde, desto mehr man von der reinen Einfachheit der Vernunft entfremdet wird (alienatur). Das könnte heißen das eine stärkere Beschäftigung mit Physik eine Entfremdung von der Theologie zur Folge hätte. So beschließt Hermann diesen Absatz mit einem Verweis auf die Autorität derer, die in die göttlichen Dinge mit einer reineren Vision eindringen können. Er selbst verbleibt in seiner Arbeit, um weiter über die Wesen sprechen zu können, bei den Dingen, die er durch den Verstand unterstützen und mit der Beweisführung bestätigen kann.

Damit hat er jede selbständige theologische Spekulation abgewehrt, ohne sich gegen eine Möglichkeit der theologischen Wissenschaft selbst offen zu stellen.

 

Hermann bringt in der Folge Beispiele aus griechischen und römischen Sammlungen über den Umgang und die Vertrautheit mit Geistern, unter anderen aus dem Goldenen Stab von Hermes, von Apollonius (Burnett gibt Apollonius von Tyana mit dem Buch De Secretis Nature an) und von Aristoteles Data Neiringet, eine arabische Sammlung astrologischer Anekdoten, die Aristoteles zugeschrieben wurden.

 

 

Karl Bruckschwaiger

 

Nächste Sitzung: 8.März 2023

Aristoteles, Metaphysik, Buch XIV, 1087b, 4