τὸ μὲν οὖν αἰσθάνεσθαι ὅμοιον τῷ ... νοεῖν.

Das Wahrnehmen nun ist ähnlich dem ... vernünftigen Erfassen.

Aristoteles (De Anima III, 7: 431a)

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Dienstag, 3. Mai 2011

HERMESVILLA: DIEFENBACH



In der ehemaligen Sommerresidenz der Kaiserin Elisabeth gibt es neben den wie üblich ausgestellten antiken persönlichen Utensilien und Möbelstücken im ersten Stock eine temporäre Ausstellung zu dem 1851 in Hadamar (Hessen) geborenen Maler und Lebenskünstler Karl Wilhelm Diefenbach, welche wir am vergangenen Samstag besichtigten.

Den oberen Teil des ersten und des letzten Raumes schmücken jeweils über zehn Bilder der gemeinsam mit seinem berühmtesten Schüler Hugo Höppener aka Fidus (von welchem noch drei weitere Bilder zu sehen sind) gestalteten Serie Per aspera ad astra (1898). Einer eigenartigen Technik mit Harz, Öl und noch einer Beimischung verdankt sich der hohe Kontrast zwischen den pechschwarzen Figuren (Bären und Affen, Erwachsene, Kinder und sonstige Tiere), welche vor dem weiss bemaltem Grund paradieren. Im ersten Raum sieht man eine eher karnevaleske Szenerie mit Musikinstrumenten, Seiltanz und viel ausgelassener Bewegung, im letzten wirkt das Ganze eher wie eine Prozession - mit Fahnen, verschiedensten religiösen Symbolen usw. (Das gesamte Fries, in der Hermesvilla sieht man etwa 90% davon, besteht aus 34 Bildern und ist 68 Meter lang.)

Das sonstige malerische Werk Diefenbachs zeichnet sich gerade nicht durch scharfe Kontraste aus, sondern gestaltet sich eher flächig-verschwimmend. Alle seine Malereien wollen einen symbolischen Gehalt transportieren, meist lässt sich ein Wille zur Evokation transzendenter bzw. ozeanischer Gefühle  bemerken; diesem nachzugeben wird den Betrachtern mitunter durch einen Hang zu dem erschwert, was man gern unter "Kitsch" subsumiert, um darüber leicht hinwegsehen zu können. Diefenbach trägt gern dick auf: die Felsen auf manchen Bildern sehen tatsächlich schroff aus, wenn man sich von der Seite nähert; teilweise zeigen sich die Ölgemälde im allzu hellen Licht unvorteilhaft glänzend, andere hingegen kommen in einem abgedunkelten Raum und durch gezielte Beleuchtung besonders gut zur Geltung, sodass sie wie von sich selbst heraus leuchten.   



Du sollst nicht töten (1913)
Was das Sich-Einlassen auf die Botschaften Diefenbachs ausserdem erschwert ist seine Disposition zum Größenwahnsinnigen, welche man ihm nicht unterstellen muss, da er diese keineswegs verhehlt, sondern sehr facettenreich zur Schau stellt: neben Kleiderreform (seit einem Erleuchtungserlebnis am Hohenpeißenberg in Oberbayern trug der Künstler nur noch Kutte), setzt sich Diefenbach für Pazifismus und vehement gegen Alkohol, Zigaretten und Fleischkonsum ein: mit seinen Performances vor dem Münchner Brauhaus, wo er gegen den "Verzehr von Tierfetzen" wetterte, handelt er sich eine Anzeige wegen "groben Unfugs" ein, im imaginären Raum seiner Bilder verkehrt sich die ansonsten zumeist gepflogene, naturalistische Gottesschau zur Diefenbach-Ebenbildlichkeit. Es sind seine wolkenhaften Züge, die dem Jäger auf Du sollst nicht töten das Jagen verleiden sollen.     

Seine malerische Grundausbildung bekam Diefenbach bei seinem Vater Leonhard, der Zeichenlehrer am örtlichen Gymnasium war; an der Münchner Akademie hat Diefenbach anschließend noch weiter  studiert - wichtige Einflüsse für ihn waren Arnold Böcklin und Franz von Stuck; seinerseits war er eine wichtige Inspirationsquelle für, wie erwähnt, Fidus, außerdem Frantisek Kupka (1871-1957) und Gusto Gräser (1879-1958), dem Gründer der Schweizer Monte-Verità-Bewegung. Diefenbach selbst gründete bereits 1885 im bayrischen Höllriegelskreuth eine Kommune und eine weitere 1897 in Wien, Obere St. Veit - nördöstlich Ende des Lainzer Tiergartens gelegen: der "Himmelhof" ging jedoch nach zwei Jahren bankrott … Schließlich landete der "Meister des Nichtstuns und Dochlebens" auf "der von Künstlern und Bohemiens bevölkerte(n) Insel Capri, wo er 1913 starb und bald in Vergessenheit geriet." (vgl. Presseinfo.pdf )

Anscheinend war es Rainer Maria Rilke, der dem jungen Klossowski nahegelegt hat seine Dissertation über "die deutsche Jugendbewegung" zu verfassen; diese ist bislang verschollen - die Ausstellung läuft noch bis zum 26. Oktober 2011. 

Ivo Gurschler

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