τὸ μὲν οὖν αἰσθάνεσθαι ὅμοιον τῷ φάναι μόνον καὶ νοεῖν.

Das Wahrnehmen also ist ähnlich dem bloßen Aussagen und dem vernünftigen Erfassen.

Aristoteles (De Anima III, 7: 431a)

* * *

Sonntag, 29. Juni 2025

De Anima - Peri Psyches 24 (418a 25 - 419a 22)

Sitzung am 18. Juni 2025



Nach der Verlesung des Protokolls vom  4. Juni wird noch einmal die Frage aufgeworfen, was vom Protokoll erwartet wird.  Protokolliert werden soll nicht der Aristoteles-Text "an sich",  sondern das Text-Stück, das in der jeweiligen Sitzung gelesen und besprochen worden ist - mitsamt den  für wichtig erachteten Deutungen, Erklärungen, Wortmeldungen oder dergleichen.  Die Auswahl und Gewichtung obliegt der Entscheidung des jeweiligen Protokollanten,  der sich einer gewissen Objektivität befleißigen soll.  Da es sich um Sitzungen eines philosophischen Seminars handelt,  sollte zur dokumentierenden Objektivität auch der Gebrauch des eigenen Verstandes treten,  der  auf die  Frage, was ein Protokoll oder was ein Begriff ist,  etwas sagen kann. Sagen und nicht nur wissen - das ist ja der dritte Term in dem Dreieck der kognitiven Ähnlichkeiten (III, 7: 431a) 

Im Abschnitt davor war von verschiedenen Modalitäten des Erkennens ausführlicher die Rede, sodann  vom Wahrnehmen.

Jetzt wird vom Sichtbaren gesagt,  es sei die Farbe - aber mit der merkwürdigen  Hinzufügung,  damit sei  der Begriff gemeint, für den es allerdings keine Bezeichnung gebe; es handle sich um das Sichtbare als von der Farbe Verursachtes - diese  versetze das Diaphane in Bewegung: denn das sei ihre Natur.  Das Diaphane wird erst durch eine Farbe sichtbar.

Diaphan sind solche Körper wie Luft und Wasser und gewisse Festkörper, die durch das Feuer oder den Äther in den Zustand des Lichts versetzt worden sind.  Andernfalls verbleibt das Diaphane im Zustand der Finsternis - es selber bleibt die gleiche Natur. Mein Übersetzer schreibt hier sehr ungenau von einer selben „Substanz", womit er eine Seinsmodalität einführt, also einen Begriff aus der Ontologie.

Die Ontologie handelt von mehreren Ebenen von Seinsmodalitäten:  Substanz-Akzidens, Akt-Potenz,  eins und viele,  wahr und falsch.

Hier hingegen verbleibt man  mit  der Seelenlehre im Bereich der Physik - also in der Körperlehre. 

Gegen Empedokles vertritt Aristoteles die Ansicht, das Licht  bewege sich nicht - weder die Vernunft noch die Erscheinungen würden solches nahelegen. Im Licht erscheine die eigene Farbe eines jeden Gegenstandes. In der Finsternis gibt es andere Erscheinungen: das Feuerartige und das Leuchtende, den Perlmuttglanz an Pilzen, an Fleisch sowie an Köpfen, Schuppen und Augen von Fischen, bei denen man nicht ihre eigene Farbe sieht.   

Man sieht ihre eigene Farbe nicht, sondern man sieht etwas anderes, ein schillerndes  vielfarbiges Hin- und Herglänzen - wer ist dieses „man“? Es ist der berühmte Philosoph Aristoteles, in Wahrheit ein umtriebiger Neugieriger, der, wenn es in Athen ungemütlich, politisch gefährlich wurde, sich an fischreichen Küsten    auf das Zerschneiden, Beobachten, Vergleichen und Beschreiben von Tieren und Tierteilen  verlegte.

      


Hierzu verweise ich auf die umfangreiche Studie

Arman Marie Leroi:

DIE LAGUNE (oder wie Aristoteles die  Naturwissenschaft erfand)

(Darmstadt 2017) 

Die Farbe bewegt das Diaphane und durch dieses hindurch das Wahrnehmungsorgan.  Dieses Dazwischen ist keine Leere.  Die Ansicht  des Demokrit, im Falle einer Leere  würde man   etwas  weit Entferntes  am besten sehen, wird von  Aristoteles  entschieden zurückgewiesen.  Dabei entspricht diese Ansicht durchaus dem heutigen Hausverstand -  auch dem  meinigen. Aristoteles hingegen sagt, man sehe überhaupt nur Entferntes. Und man sehe es nur, wenn das Dazwischen mit einem geeigneten Medium angefüllt sei.  

Und er versteigt sich zu der kontra-intuitiven Behauptung, im Falle eines leeren Zwischenraumes  würde man nicht bloß undeutlich  - sondern gar nichts  - sehen.

Das geeignete Medium, also ein bestimmter Zwischen- oder Leitkörper  sei Voraussetzung für die Wahrnehmung. 
Fn.



Diese Auffassung  verbindet sich mit der aristotelischen   Skepsis gegenüber der  Vorstellung des leeren Raumes. 


Fn. 
Aristoteles hat dem Thema auch eine eigene kleine Schrift gewidmet:  Über die Wahrnehmung und die Gegenstände der Wahrnehmung.  In: Aristoteles: Kleine naturwissenschaftliche Schriften (Parva naturalia) (Stuttgart 1957).  Siehe dazu Walter Seitter: Physik der Medien. Materialien, Apparate, Präsentierungen (Weimar 2002): 33ff.
                 
Die nächste Sitzung findet am 2. Juli 2025 statt.
 
Walter Seitter 

 

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