Sitzung am 18. Juni 2025
Nach der Verlesung des Protokolls vom 4. Juni wird noch einmal die Frage aufgeworfen, was vom Protokoll erwartet wird. Protokolliert werden soll nicht der Aristoteles-Text "an sich", sondern das Text-Stück, das in der jeweiligen Sitzung gelesen und besprochen worden ist - mitsamt den für wichtig erachteten Deutungen, Erklärungen, Wortmeldungen oder dergleichen. Die Auswahl und Gewichtung obliegt der Entscheidung des jeweiligen Protokollanten, der sich einer gewissen Objektivität befleißigen soll. Da es sich um Sitzungen eines philosophischen Seminars handelt, sollte zur dokumentierenden Objektivität auch der Gebrauch des eigenen Verstandes treten, der auf die Frage, was ein Protokoll oder was ein Begriff ist, etwas sagen kann. Sagen und nicht nur wissen - das ist ja der dritte Term in dem Dreieck der kognitiven Ähnlichkeiten (III, 7: 431a)
Im Abschnitt davor war von verschiedenen Modalitäten des Erkennens ausführlicher die Rede, sodann vom Wahrnehmen.
Jetzt wird vom Sichtbaren gesagt, es sei die Farbe - aber mit der merkwürdigen Hinzufügung, damit sei der Begriff gemeint, für den es allerdings keine Bezeichnung gebe; es handle sich um das Sichtbare als von der Farbe Verursachtes - diese versetze das Diaphane in Bewegung: denn das sei ihre Natur. Das Diaphane wird erst durch eine Farbe sichtbar.
Diaphan sind solche Körper wie Luft und Wasser und gewisse Festkörper, die durch das Feuer oder den Äther in den Zustand des Lichts versetzt worden sind. Andernfalls verbleibt das Diaphane im Zustand der Finsternis - es selber bleibt die gleiche Natur. Mein Übersetzer schreibt hier sehr ungenau von einer selben „Substanz", womit er eine Seinsmodalität einführt, also einen Begriff aus der Ontologie.
Die Ontologie handelt von mehreren Ebenen von Seinsmodalitäten: Substanz-Akzidens, Akt-Potenz, eins und viele, wahr und falsch.
Hier hingegen verbleibt man mit der Seelenlehre im Bereich der Physik - also in der Körperlehre.
Gegen Empedokles vertritt Aristoteles die Ansicht, das Licht bewege sich nicht - weder die Vernunft noch die Erscheinungen würden solches nahelegen. Im Licht erscheine die eigene Farbe eines jeden Gegenstandes. In der Finsternis gibt es andere Erscheinungen: das Feuerartige und das Leuchtende, den Perlmuttglanz an Pilzen, an Fleisch sowie an Köpfen, Schuppen und Augen von Fischen, bei denen man nicht ihre eigene Farbe sieht.
Man sieht ihre eigene Farbe nicht, sondern man sieht etwas anderes, ein schillerndes vielfarbiges Hin- und Herglänzen - wer ist dieses „man“? Es ist der berühmte Philosoph Aristoteles, in Wahrheit ein umtriebiger Neugieriger, der, wenn es in Athen ungemütlich, politisch gefährlich wurde, sich an fischreichen Küsten auf das Zerschneiden, Beobachten, Vergleichen und Beschreiben von Tieren und Tierteilen verlegte.
Hierzu verweise ich auf die umfangreiche Studie
Arman Marie Leroi:
DIE LAGUNE (oder wie Aristoteles die Naturwissenschaft erfand)
(Darmstadt 2017)
Die Farbe bewegt das Diaphane und durch dieses hindurch das Wahrnehmungsorgan. Dieses Dazwischen ist keine Leere. Die Ansicht des Demokrit, im Falle einer Leere würde man etwas weit Entferntes am besten sehen, wird von Aristoteles entschieden zurückgewiesen. Dabei entspricht diese Ansicht durchaus dem heutigen Hausverstand - auch dem meinigen. Aristoteles hingegen sagt, man sehe überhaupt nur Entferntes. Und man sehe es nur, wenn das Dazwischen mit einem geeigneten Medium angefüllt sei.
Und er versteigt sich zu der kontra-intuitiven Behauptung, im Falle eines leeren Zwischenraumes würde man nicht bloß undeutlich - sondern gar nichts - sehen.
Das geeignete Medium, also ein bestimmter Zwischen- oder Leitkörper sei Voraussetzung für die Wahrnehmung.
Fn.
Diese Auffassung verbindet sich mit der aristotelischen Skepsis gegenüber der Vorstellung des leeren Raumes.
Fn.
Aristoteles hat dem Thema auch eine eigene kleine Schrift gewidmet: Über die Wahrnehmung und die Gegenstände der Wahrnehmung. In: Aristoteles: Kleine naturwissenschaftliche Schriften (Parva naturalia) (Stuttgart 1957). Siehe dazu Walter Seitter: Physik der Medien. Materialien, Apparate, Präsentierungen (Weimar 2002): 33ff.
Die nächste Sitzung findet am 2. Juli 2025 statt.
Walter Seitter
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