τὸ μὲν οὖν αἰσθάνεσθαι ὅμοιον τῷ ... νοεῖν.

Das Wahrnehmen nun ist ähnlich dem ... vernünftigen Erfassen.

Aristoteles (De Anima III, 7: 431a)

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Dienstag, 31. Mai 2022

In der Metaphysik lesen * Hermann – Lektüre 14 (65vG - 65rC)

 Mittwoch, am 25. Mai 2022

 

An Beginn der Sitzung wurden Fragen nach dem Ort Gottes aufgeworfen, die aus der bisherigen Lektüre von Hermanns Text nicht zu beantworten sind. Im Text ist der Ort Gottes nicht vorhanden, er ist mehr als eine Wirkursache für den Aufbau der Welt wichtig, als ein Anstoß bei der Einrichtung des kosmischen Gefüges, um die Zeugung und den Lauf der Generationen beginnen zu lassen. Sehr ähnlich äußert sich auch Walter in einem schriftlichen Statement, dass er mir während der Niederschrift dieser Zeilen zukommen ließ. Er schreibt darin:

 

“Im bisher Gelesenen scheint die christliche Theologie nur für die Konzeption des Schöpfers eine Rolle zu spielen, nicht aber für den ‚Betrieb‘ der Welt. Daher ist wohl auch die Frage nach der räumlichen Situierung Gottes nicht relevant.“

 

Wolfgang Koch beharrt auf einer Position Gottes in der Welt, wenn auch im Himmel, zumindest für die mittelalterlichen Vorstellungen. Mir scheint es, dass Gott und Welt nicht zugleich am selben Ort sein können, weder bei Aristoteles noch bei Hermann, aber wie gesagt, wir befinden uns im Text bei der Positionierung der Sonne und der Planeten und deren metaphorischen Funktionen.

 

Es geht Hermann um die Position der Sonne als Erste und die Frage, welcher der Planeten eigenes Licht hat. Das trifft nicht auf den Mond zu, der nur in dem Teil scheint, der die Sonne sieht, wie es Hermann formuliert, und wenn der Mond gänzlich in die Schattenpyramide der Erde gerät, wird er durch die Einnahme des ganzen Raumes verdunkelt. Mittels der Veränderungen der Schattenpyramide und einer Messung des Umkreises der Erde versucht Hermann die Abstände zum Mond in den verschiedenen Umlaufphasen zu bestimmen. Für Venus und Merkur wird ein eigenes Licht angenommen, da diese im Umlauf sich unterhalb der Sonne befinden und keine Schwankungen der Helligkeit aufweisen. Außerdem stehen sie in keiner Opposition zur Sonne, denn wenn sie hinter der Sonne stehen würden, behinderte die Sonne unseren Blick, stünden sie aber zwischen der Sonne und der Erde, würde die Sonne sie überstrahlen.

Aber einen Versuch wäre es wert gewesen, den guten Wert der Entfernung von Erde und Mond von 30 Erddurchmessern bei Hipparch zu nehmen und damit andere Entfernungen der Planeten zu bestimmen. Einen Venusdurchgang zu beobachten gelang erst nach den Berechnungen von Kepler, er wäre aber freiäugig möglich zu beobachten, mit einem Sonnenfilter, nur tritt dieses Ereignis nur sehr unregelmäßig auf, mit Abständen von bis zu 120 Jahren. Dabei war die Messung der Entfernung von Erde und Mond von verschiedenen Punkten der Erde der entscheidende Durchbruch bei der Bestimmung der Entfernung.

Hermann versucht uns mit einer kleinen Graphik zu betören, wobei der untere größere Kreis den Umlauf der Sonne um die Erde darstellen soll, die kleinere Kugel B die Erde und die größere auf dem Umkreis gelegene Kugel A die Sonne sein soll. Um die Sonne wird ein Umkreis gezogen, worauf die Venus als kleinere Kugel D eingezeichnet wird. Mit Kegelschnitten vom Durchmesser der Sonne zur Venus und darüber hinaus und von der Venus zur Erde soll gezeigt werden, das die jeweiligen Durchmesser nicht in ein rechtwinkeliges Verhältnis kommen. Dabei ist erstaunlich, dass Hermann die Venus schon um die Sonne kreisen lässt, aber keine Finsternis der Venus erwartet.

 


 

Als nächstes versucht Hermann aus guter alter pythagoreischer Tradition heraus, die Abstände zwischen den Himmelskörpern aus den Bewegungen zu verstehen. Dabei kommt er auf die Ungleichheit der Bewegungen zu sprechen, die sich aus der verschiedenen Schwere der Körper ergeben und eine mögliche Verlangsamung durch gegensätzliche Antriebe. Wenn sich aber die Planeten gleichartig bewegen, würde der Unterschied des Kreislaufes einer Ungleichheit der Kreisläufe entsprechen. Diese Ungleichheit wird jetzt als ein Maß der Entfernung genommen und verschiedene Entfernungen zu den einzelnen Planeten untereinander bestimmt. So ist der Saturn 15 mal den Halbdurchmesser des Sonnenkreise entfernt und vom Saturn zur achten Sphäre würde es 366 mal der Abstand des Saturn zur Erde betragen.

 

Dabei kommt Hermann auf das große Jahr von 36 000 Sonnenjahren zu sprechen, wo dann die Himmelskörper an der selben Stelle auftauchen. Das wird aus Abu Ma´shar genommen, ist aber in dieser Form im lateinischen Abendland für einige Jahrhunderte bestimmend – es handelt sich um ein Phänomen der Drehung der Erdachse, der Präzession.

 

Zum Abschluss dieses Abschnitts zweifelt Hermann an der Gleichartigkeit der Bewegungen der Gestirne und möchte die Abstände neu vermessen und die Entfernung zum Mond durch verschiedene Parallaxen an vier Positionen und den Vergleich der Finsternisse bestimmen.

 

Walter Seitter schreibt noch:

„Sonne und Mond als Eltern der Welt bestätigen wohl die Geozentrik, damit auch Anthropozentrik. In dem Text von Hermann wird die Anthropozentrik auch durch das relativ ausführliche Eingehen auf die wissenschaftstheoretischen oder vielmehr -technischen Dinge bestätigt.“

 

Ich spüre bei Hermann Begeisterung für astronomische Verfahren und gleichzeitig Überforderung mit der Aufgabe der Himmelsvermessung ohne die Unterstützung durch Gruppen und Institutionen, die diese Forschung unterstützen und begleiten.

 

 

Karl Bruckschwaiger

 

Nächste Sitzung: 1. Juni 2022, Aristoteles, Metaphysik, XIII. Buch, ab 1079b, 34

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