In der Metaphysik lesen (BUCH VII (Z), 1035 b 10 – 1037 b)
In
der Metaphysik (Buch VII (Z) 1035b 10 – 1037 b) lesen wir diejenige Passage, wo die (auch schon früher
angedeuteten) Begriffspaare wie Konkretes – Allgemeines, Teil – Ganzes, Lebewesen – Seele, früher und später nicht nur
von Aristoteles ins Spiel gebracht worden sind, sondern er versucht, diese
Gegenbegriffe miteinander kollidieren zu lassen oder ggf. in Einklang zu
bringen.
Im
ersten Schritt legt Aristoteles nahe, dass die Seele des Beseelten – d. h. die des Lebewesens – ist
dem Begriff nach früher als der Körper und seine Teile. Ich verstehe diese
Stelle so, dass eine Entität zuallererst über die Begrifflichkeit verfügen
soll, um ihre Was-es-ist-dies-zu-sein-Seinsmodalität beantworten zu können.
Denn ein Keramiker kann nicht seinen Tonkrug aus dem Ton ausformen, solange er
nicht weiß, wie ein Krug seiner Form nach aussehen soll. Mit der Form eines
Kruges und seiner materiellen Beschaffenheit haben wir plötzlich mit dem
Begriffspaar von Konkretes – Allgemeines zu tun. Denn das Allgemeine (oder auch
Abstrakte) beinhaltet das Konkrete (oder das Spezifische) in sich, weil dies
eindeutig die größere Menge sein mag als die Menge des Konkreten. Gerade in
diesem Sinne liest sich der folgende Satz in der sog. „Wörterbuch der
Philosophie” (V. Buch) aus: „Dem Begriffe nach ist das Allgemeine
früher, der Sinneswahrnehmung nach das einzelne Dinge. Dem Begriffe nach ist
das Akzidens früher als das Ganze.” (Met. 1018b 30-35) Um etwas zu
konkretisieren, muss man zuerst einen Begriff (Form, Idee, eidos) zur Verfügung
stehen. Die Wirklichkeit sieht aber anders aus. Man nimmt nur Objekte mit
seinen Sinnesorganen wahr, die ihm gegenüber stehen (wortwörtlich Gegen-stand),
aber keine Begriffe. D.h., zwar könnte man einen Begriff über die Familie
haben, man trifft dennoch nie zu seinen Lebzeiten mit einem verkörperten
Ausdruck der Familie, vielmehr seinen Familienmitgliedern, wie Bruder,
Schwester, Vater, Mutter, etc.
Während
der Körper zerlegt werden kann, bleibt aber die ousia (das Wesen) einer Sache – namens die Seele, die den Körper
durchdringt oder durchwest – ist dennoch unteilbar (a-tomos) oder
eines; in diesem Sinne sind die Kategorien wie Wesen und Eines miteinander
eng verbunden. Bei Aristoteles haben wir dennoch mit keinem allgemeingültigen
Einheitsbegriff zu tun, weil er ursprünglich ein Pluralist war, im Gegensatz zu
seinem Meister Platon, der für den Monismus plädierte. Das Zusammengefaßte
besteht aus zwei Teilen: Aus Lebewesen und aus Seele. Die Einheit verkörpert
sich in dem Zusammenfasstsein, aber hiermit versteht sich sie als eine
spezifische Einheit: „Wenn
aber die Seele vom Lebewesen verschieden und nicht dasselbe ist, so muß man
ebenfalls – wie bereits
erörtert – die einen Teile als früher, die anderen als später annehmen.” (Met.
1036a 20-25) Diese spezifische Einheit würde ich als heteronome oder differenzierende
Einheit nennen, denn diese Art von Einheit hebt die Unterschiede nicht auf,
sondern sie bewahrt sie auf. Dementsprechend ist eine Synthese, welche aus der
Einheit des Ausgesagten (p) und seiner Negation (nicht-p) besteht, nicht zu
erdenken, wie bei Hegel dies der Fall war. Platon und Hegel kommen nicht dem
Einen weg, weil sie wahrscheinlich mit einer homogenisierenden Einheitsbegriff
operieren oder die Grundlage ihrer Philosophien das Eine oder ein wesentliches
Element bildet und nicht mehrere (darin bin ich mir aber nicht sicher).
Der Mensch ist aus Fleisch, Knochen –
oder wie die deutsche Redewendung sagt, aus Fleisch und Haut – und derartigen
Teilen zusammengesetzt. Vergessen wir nicht sinngemäß die Seele, die ein
inherent-integraler Bestandteil des Menschen ist, obwohl sie nicht sehbar ist.
Diese Körperteile sind dennoch nicht Teile der Form oder des Begriffes, sondern
des Stoffes. In dem Menschen manifestiert sich wohl diese differenzierende
Einheit von Aristoteles: Diese Einheit ist aus verschiedenen Teilen
zusammengestellt, bleibt aber der Mensch auf die Unteilbarkeit verwiesen. Denn
eine Zerstückelung des Menschen wäre mit der Aufhebung seiner Einheit
identisch. Der Mensch ist also kein Werk; der Mensch ist weder im begrifflichen
noch im perzeptionellen Sinne ein automaton. Wäre der Mensch ein von sich
selbst bewegendes Wesen, so könnte man es stets zerlegen und zusammenbasteln,
wie man dies mit einem ideellen perpetuum mobile (im perzeptionellen Sinne) tun
würde. Und er brächte dann auch keine Nahrung, keinen Sauerstoff; er würde dann
nicht über das Gehirn und das Herzen verfügen, die bei ihm als Triebfedern
fungieren. Aber das ist nicht der Fall. Könnte man den Menschen idealiter demontieren, d. h. seine Körperteile zerlegen, ohne sein
Wesen verletzt oder eliminiert zu werden, so wäre der Mensch als Maschine im
begrifflichen Sinne denkbar. Aber davon ist immer noch gar nicht die Rede.
Bibliographie: Aristoteles: Metaphysik. Schriften zur Ersten
Philosophie. Übersetzt von Franz F. Schwarz. Stuttgart: Reclam 1970.
Ármin
Tillmann
Sitzung
vom 22. Mai 2018
Nächste
Sitzung am 30. Mai 2018
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen