τὸ μὲν οὖν αἰσθάνεσθαι ὅμοιον τῷ ... νοεῖν.

Das Wahrnehmen nun ist ähnlich dem ... vernünftigen Erfassen.

Aristoteles (De Anima III, 7: 431a)

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Mittwoch, 30. Mai 2018

In der Metaphysik lesen (BUCH VII (Z), 1035 b 10 – 1037 b)

In der Metaphysik (Buch VII (Z) 1035b 10 – 1037 b) lesen wir diejenige Passage, wo die (auch schon früher angedeuteten) Begriffspaare wie Konkretes Allgemeines, Teil – Ganzes, Lebewesen – Seele, früher und später nicht nur von Aristoteles ins Spiel gebracht worden sind, sondern er versucht, diese Gegenbegriffe miteinander kollidieren zu lassen oder ggf. in Einklang zu bringen.

Im ersten Schritt legt Aristoteles nahe, dass die Seele des Beseelten – d. h. die des Lebewesens – ist dem Begriff nach früher als der Körper und seine Teile. Ich verstehe diese Stelle so, dass eine Entität zuallererst über die Begrifflichkeit verfügen soll, um ihre Was-es-ist-dies-zu-sein-Seinsmodalität beantworten zu können. Denn ein Keramiker kann nicht seinen Tonkrug aus dem Ton ausformen, solange er nicht weiß, wie ein Krug seiner Form nach aussehen soll. Mit der Form eines Kruges und seiner materiellen Beschaffenheit haben wir plötzlich mit dem Begriffspaar von Konkretes – Allgemeines zu tun. Denn das Allgemeine (oder auch Abstrakte) beinhaltet das Konkrete (oder das Spezifische) in sich, weil dies eindeutig die größere Menge sein mag als die Menge des Konkreten. Gerade in diesem Sinne liest sich der folgende Satz in der sog. „Wörterbuch der Philosophie” (V. Buch) aus: „Dem Begriffe nach ist das Allgemeine früher, der Sinneswahrnehmung nach das einzelne Dinge. Dem Begriffe nach ist das Akzidens früher als das Ganze.” (Met. 1018b 30-35) Um etwas zu konkretisieren, muss man zuerst einen Begriff (Form, Idee, eidos) zur Verfügung stehen. Die Wirklichkeit sieht aber anders aus. Man nimmt nur Objekte mit seinen Sinnesorganen wahr, die ihm gegenüber stehen (wortwörtlich Gegen-stand), aber keine Begriffe. D.h., zwar könnte man einen Begriff über die Familie haben, man trifft dennoch nie zu seinen Lebzeiten mit einem verkörperten Ausdruck der Familie, vielmehr seinen Familienmitgliedern, wie Bruder, Schwester, Vater, Mutter, etc.

Während der Körper zerlegt werden kann, bleibt aber die ousia (das Wesen) einer Sache – namens die Seele, die den Körper durchdringt oder durchwest – ist dennoch unteilbar (a-tomos) oder eines; in diesem Sinne sind die Kategorien wie Wesen und Eines miteinander eng verbunden. Bei Aristoteles haben wir dennoch mit keinem allgemeingültigen Einheitsbegriff zu tun, weil er ursprünglich ein Pluralist war, im Gegensatz zu seinem Meister Platon, der für den Monismus plädierte. Das Zusammengefaßte besteht aus zwei Teilen: Aus Lebewesen und aus Seele. Die Einheit verkörpert sich in dem Zusammenfasstsein, aber hiermit versteht sich sie als eine spezifische Einheit: Wenn aber die Seele vom Lebewesen verschieden und nicht dasselbe ist, so muß man ebenfalls – wie bereits erörtert – die einen Teile als früher, die anderen als später annehmen.” (Met. 1036a 20-25) Diese spezifische Einheit würde ich als heteronome oder differenzierende Einheit nennen, denn diese Art von Einheit hebt die Unterschiede nicht auf, sondern sie bewahrt sie auf. Dementsprechend ist eine Synthese, welche aus der Einheit des Ausgesagten (p) und seiner Negation (nicht-p) besteht, nicht zu erdenken, wie bei Hegel dies der Fall war. Platon und Hegel kommen nicht dem Einen weg, weil sie wahrscheinlich mit einer homogenisierenden Einheitsbegriff operieren oder die Grundlage ihrer Philosophien das Eine oder ein wesentliches Element bildet und nicht mehrere (darin bin ich mir aber nicht sicher).

Der Mensch ist aus Fleisch, Knochen – oder wie die deutsche Redewendung sagt, aus Fleisch und Haut – und derartigen Teilen zusammengesetzt. Vergessen wir nicht sinngemäß die Seele, die ein inherent-integraler Bestandteil des Menschen ist, obwohl sie nicht sehbar ist. Diese Körperteile sind dennoch nicht Teile der Form oder des Begriffes, sondern des Stoffes. In dem Menschen manifestiert sich wohl diese differenzierende Einheit von Aristoteles: Diese Einheit ist aus verschiedenen Teilen zusammengestellt, bleibt aber der Mensch auf die Unteilbarkeit verwiesen. Denn eine Zerstückelung des Menschen wäre mit der Aufhebung seiner Einheit identisch. Der Mensch ist also kein Werk; der Mensch ist weder im begrifflichen noch im perzeptionellen Sinne ein automaton. Wäre der Mensch ein von sich selbst bewegendes Wesen, so könnte man es stets zerlegen und zusammenbasteln, wie man dies mit einem ideellen perpetuum mobile (im perzeptionellen Sinne) tun würde. Und er brächte dann auch keine Nahrung, keinen Sauerstoff; er würde dann nicht über das Gehirn und das Herzen verfügen, die bei ihm als Triebfedern fungieren. Aber das ist nicht der Fall. Könnte man den Menschen idealiter demontieren, d. h. seine Körperteile zerlegen, ohne sein Wesen verletzt oder eliminiert zu werden, so wäre der Mensch als Maschine im begrifflichen Sinne denkbar. Aber davon ist immer noch gar nicht die Rede. 

Bibliographie: Aristoteles: Metaphysik. Schriften zur Ersten Philosophie. Übersetzt von Franz F. Schwarz. Stuttgart: Reclam 1970.

Ármin Tillmann
Sitzung vom 22. Mai 2018


Nächste Sitzung am 30. Mai 2018

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