τὸ μὲν οὖν αἰσθάνεσθαι ὅμοιον τῷ ... νοεῖν.

Das Wahrnehmen nun ist ähnlich dem ... vernünftigen Erfassen.

Aristoteles (De Anima III, 7: 431a)

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Sonntag, 20. Mai 2012

Trojanisches Pferd II und III


Zwei Wochen nach dem Trojanischen Pferd eine Theateraufführung am selben Ort. Genau an der Stelle, an der seinerzeit am Anfang der Aufführung ein winzigkleines, höchstens 4cm langes Pferd aufgestellt worden ist, und am Ende der Aufführung ein riesengroßes, mindestens 5m langes, lag nun, im Caligula, ein echtes Pferd auf dem Boden (vielleicht der vom Kaiser zum Konsul ernannte Incitatus?). Auf ihm räkelt sich eine gewisse Octavia, die sich ständig selber videofilmt. Im Laufe des Stücks wird sie mittels des Pferdes vergewaltigt, später vom Kaiser vergiftet. Mehr muß ich von dem Theaterstück nicht berichten; da es von einem Dichter geschrieben worden ist, kann man es nachlesen: Albert Camus.

Bekanntlich haben sich die Römer gerühmt, von den Trojanern abzustammen, einem total besiegten, ja verschwundenen Volk. Lebt in Incitatus das unheilvolle Pferd aus Troja weiter?

Die Geschichte geht aber noch weiter. Die Ausstellung "Mauern um Wien" war zwar nicht besonders aufschlußreich, immerhin hat sie daran erinnert, daß Wien nach der Lagermauer um Vindobona eine mittelalterliche Mauer mit demselben Verlauf, dann eine viel weitere zweite Babenberger Mauer erhielt, die im 16. Jahrhundert durch das sternförmige Befestigungswerk aus Bastionen ersetzt wurde: ein sorgfältig konstruiertes, mehrschichtig verschachteltes, aus weitwinkeligen und spitzwinkeligen Mauermassen bestehender "Ring" um die Stadt. Im Jahre 1859 kam dann der "Trojanische Moment": Niederlegung der Befestigung und Ersetzung durch mehr, breitere, schnellere Straßen. Trojanischer Moment: als die Griechen abgezogen waren und Troja seinen Sieg feierte, stand ein großes Holzpferd vor der Stadt. Die meisten Trojaner glaubten, sie müßten das Pferd als ein Weihegeschenk in die Stadt aufnehmen. Der Einwand "Seht ihr nicht? Das Pferd ist viel zu groß für jedes unserer Tore", wurde damit beantwortet, daß man ein Tor erweiterte bzw. niederlegte. Ein Tor-Abriß genügte. 

Im 19. Jahrhundert wurden in Europa sämtliche Stadtbefestigungen mitsamt Türmen und Toren niedergerissen - um dem Verkehr Raum zu geben. Manchenorts wurde ein schmuckes Stadttor stehen gelassen, wenn es den Verkehr nicht allzusehr behindert. Kleine Städte, die im 19. Jahrhundert den Stadtcharakter faktisch verloren hatten, durften ihre Stadtmauern behalten, z. B. Drosendorf, Radstadt. In Wien stehen noch armselige Reste von der Dominikanerbastei, der Coburgbastei, der Mölkerbastei. 

Siehe meinen Aufsatz "Entfestigung. Zur Obszönität der Städe", in: W. S.: Physik des Daseins. Bausteine zu einer Philosophie der Erscheinungen (Wien 1997)

Walter Seitter



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