Mein Freund Pierre, ein Pariser Anarchist,
der mit einem Fuß schon öfter im Kriminal stand, hat bei Derrida, Nancy und
auch Deleuze studiert. Ihm ergeht es ähnlich wie mir, der ich bei wahrscheinlich
allen entscheidenden Wiener Philosophen der letzten zwei Jahrzehnte studiert oder zumindest ein Seminar bei Ihnen
belegt habe, (von Kortian bis Waldenfels, von Sloterdijk bis Aubenque, von
Samsonow bis Seitter), beide arbeiten wir nicht auf der Universität, sondern
sind am freien Markt quasi als Unternehmer tätig.
(Zu
wenig passen wir in das akademische System, zu viel setzten wir der Mißgunst-
und Spießergesellschaft der akademischen Philosophie entgegen. Zuviel Distanz
konnten wir im Laufe der Jahre zu uns selbst entwickeln, und zu miserable
Sekundärphilosophen sind wir. Übrigens als Unternehmer im Sinne von Hardt und
Negris Empire, nämlich als
Schnittstelle im Strome des Kapitals, welche bei verschiedensten Gelegenheiten,
man könnte auch sagen bei jeder, die sich bietet, akkumuliert. Pierre war
eineinhalb jahrelang im Amazonasgebiet bei einem Indianerstamm zu Gast und hat
deren Sprache erlernt, und hat sich so in einen Kapitalstrom einer
französischen Forschungsgesellschaft gestellt. Ich, der ich jahrelang auf der
Psychiatrie war, akkumuliere beispielsweise immer wieder mal mit folie und peerness. Völlig unverfroren.)
Als die entscheidenden Philosophen bezeichnen
Pierre und ich, die Autoren und Urheber primärer philosophischer Werke. Dies ist
der vorbildliche und prototypische Weg. Vom Verfasser sekundärer Werke als
Student und später als Lehrender, irgendwann zum Philosophen primärer Werke,
zum Verfechter eigener Theorie zu werden. Im Grunde gilt wohl nichts als
wissenschaftlicher und forschender als eine Hypothese zu beweisen. Andere
Wissenschaften machen es jedenfalls so. Und nicht anders.
Der erste Philosoph der auch Professor war,
war Immanuel Kant, stellten wir fest. Dessen Vorbild wird seither mehr oder
weniger imitiert.
Der primäre Philosoph aber soll nur der
Sache dienen. Ein Bekenntnis zur Armut und Bescheidenheit, welches ich nicht unterschreiben
würde. Gibt es doch trotz, oder gerade wegen der philosophischen Sachen, das
Selbstbewusstsein, das Psychische und die Persönlichkeit. Oder auch das Totem
und die Gesellschaft. Und so vertrete ich eher die Ansicht, dass die philosophischen
Sachen nur mit den Philosophen leben und zur vollen Blüte gelangen. Ungelesene
Bücher sind doch, da lehne ich mich zäh an Platon an, tote Bücher. Und nicht-blühende
Theorie wird irgendwann zu einem Fall der Archäologie. Was ich beispielsweise
bei meiner oftmals belächelten Lektüre von Erich Fromms Werken heute schon
bemerke. Leider mussten die bedeutenden Philosophen einsehen, dass nämlich nur
sie der Sache dienen können. Deshalb haben sie alle miteinander keinen
bedeutenden Schüler. Weder die Deutschen noch die Franzosen.
Pierre übrigens, findet die französische
Philosophie langweilig und uninteressant. Er sagt: „Ja, ja Lacan, das ist ganz
nett, aber das ist Fünfzigerjahre. Das ist theoretisch nicht mehr interessant.
Das ist die französische Schule der Psychoanalyse. Das ist Therapie.“ Er
belächelt mich fast dafür, wenn ich ihm von der Schule erzähle, die ich
mittwochs besuche. Pierre sagt auch: „Wir in Frankreich können die Tradition
der 1950er- bis 1990er-Jahre gar nicht richtig fortführen, weil all die
bedeutenden Philosophen es verabsäumt haben, bedeutende Schüler in entscheidenden
Positionen zu installieren. Wir in Frankreich lesen alle Sloterdijk. Alle die
mit mir studiert haben lesen Sloterdijk.“ Es sei an dieser Stelle gesagt, dass
Pierre 38 ist, also um drei Jahre älter, als ich es bin.
Seit einem letzten Wienbesuch beschäftigt
Pierre sich mit dialektischer Kybernetik nach Gotthart Günther.
Ich sehe Platon und Aristoteles in dieser
Frage nahe beieinander. Entsteht bei Platon Wissen des Wissens und Erkenntnis
an und für sich nur über die Selbsterkenntnis, bestätigt Aristoteles mit seiner
Polemik gegen die gleichzeitige Existenz von Dingen und deren Ideen mit dem
Vorschlag eines Mittleren, meiner Ansicht nach ontologisch und kategorial, das
Allgemeine existiert nur im Konkreten. Anthropologisch umgemünzt bedeute dies,
dass die allgemeine Philosophie nur in der konkreten philosophischen Tätigkeit
des einzelnen Philosophen existiert. Auch wenn Aristoteles die ewigen Dinge und
Wissenschaften unabhängig von der Betätigung und als nicht vergänglich sieht,
würde ich soweit gehen. Auch bei möglichst authentischer Lektüre, muss man Aristoteles
mit der Realität abgleichen, und die besagt bspw. das es keine ewigen Gestirne
gibt, sondern vergängliche Sterne und Planeten.
Ich bin auch überzeugt, dass ohne
Philosophen das Fehlen philosophischer Sachen, solange niemandem auffallen
würde, bis es wieder Philosophen gäbe.
Philosophie ist, darin sind sich Pierre und
ich einig, ist, selbst wenn man es erst postulieren müsste und es Sokrates
nicht gegeben hätte, kein Sicherheits- sondern ein Risikoberuf. Und wenn man
das Risiko nicht tragen kann, sollte man es, in letzter Konsequenz und nebenbei
bemerkt, besser lassen.
Für unsere bisherige Lektüre erscheint mir
der Titel „Metagerede“ der Treffendste. Auch „Paratexte“ wie ein Werk von Gérard
Genette sich nennt, hätte eine gewisse Gültigkeit. Aber „Metagerede“ ist
besser. Viel besser.
Mathias Illigen
P.S. Die Damen der Runde mögen mir die ausschließliche
Verwendung der männlichen Form verzeihen.
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