Aristoteles nennt einige Vermögen oder Leistungen wie Sinneswahrnehmung, Sehen und durch eine Einfügung deutet er an, daß es sich um Vermögen zum Erkennen handelt und daß Erkennen ein Auffassen von Unterschieden ist. Als Träger dieser Vermögen wurden die Menschen, und zwar alle, eingeführt. Alle Menschen oder "wir" sind Subjekt dieser Aussagen, die anthropologische Aussagen sind, wobei diese Anthropologie gleich auch zoologisch grundgelegt wird. Denn Aristoteles geht auf den Gattungsbegriff "Lebewesen" zurück und stellt dem Artbegriff "Mensch" einen anderen Artbegriff gegenüber - die Biene. Er hebt nur einen oder sagen wir einen gewissermaßen dreifachen Unterschied zwischen Mensch und Biene hervor: dieser fehlt das Hören und folglich das Sich-Erinnern und folglich fehlt ihr auch das Lernen-Können. Offensichtlich gibt es auch Tiere, denen diese Vermögen nicht fehlen: sie haben Erinnerungen und überhaupt Vorstellungen und trotzdem bringen sie es nicht weit mit der Erfahrung. Es deutet sich eine Stufung der Erkenntnisvermögen an - am meisten davon finden sich beim Menschen, nur gewisse, nämlich die höheren in der Stufung finden sich bei ihm. Kunst und Denkfähigkeiten (logismoi) sind nur den Menschen eigen: statt des Quantors "alle" jetzt der homonyme aber mehr biologische Begriff "Geschlecht".
Logismoi kommt von logos und bezeichnet mehr abstrakte Denk- oder Überlegungsfähigkeiten. Wieso aber ist Kunst (techne) eine kognitive Fähigkeit? In der Nikomachischen Ethik wird sie als eine der "dianoetischen Tauglichkeiten" genannt: wissen, wie man etwas gut macht oder herstellt (1140a 7ff.). Der antike Begriff der Kunst geht über den modernen weit hinaus, weil er auch Kochkunst, Heilkunst, Kriegskunst usw. umfaßt. Außerdem geht der aristotelische Begriff der Kunst über den modernen noch in einer anderen Richtung hinaus, weil er auch Wissen, beinahe wissenschaftliches Wissen, jedenfalls lehren könnendes Wissen einschließt. Wissenschaftliches Wissen kennt auch die Prinzipien und operiert mit Beweisführung. Kunst und Wissenschaft beruhen auf Erfahrung und gehen noch ein bißchen darüber hinaus: als deren Kultivierung und Steigerung in Richtung Allgemeines. Wobei wiederum die Vielheit zu einer Einheit führt. Viele Erinnerungen haben eine Erfahrung ergeben und viele Beobachtungen oder Realisierungen einer Erfahrung führen zu einer Annahme eines Allgemeinen. Das Hinschütten von Farben, von dem Aristoteles in der Poetik einmal gesprochen hat, ergibt zwar nicht Malerei in seinem Sinn, kann aber durch Ausprobieren, Wiederholen zu einer Erfahrung führen und daher auch zu einem wissenden Hervorbringen, also zu einer Kunst (dies wohl nur unter der Voraussetzung, daß derartige "Werke" von irgendjemandem nachgefragt, gewünscht werden.
Walter Seitter
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen