τὸ μὲν οὖν αἰσθάνεσθαι ὅμοιον τῷ φάναι μόνον καὶ νοεῖν.

Das Wahrnehmen also ist ähnlich dem bloßen Aussagen und dem vernünftigen Erfassen.

Aristoteles (De Anima III, 7: 431a)

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Mittwoch, 22. Oktober 2025

De Anima /Peri Psyches lesen - 26 (420a 9 - 421a 6)

 

Sitzung vom 8. Oktober 2025


Aristoteles:  Über die Seele: 420a 9 - 421a 6

Zu Beginn der Sitzung gebe ich Sophia Panteliadou,  Karl Bruckschwaiger, Joachim Baur  (dieser zum ersten Mal anwesend) den Zweiten Band meines Buches 

"Aristoteles betrachten und besprechen (Metaphysik VII-XIV)“

 - welches die hiesigen Lektüren der aristotelischen Metaphysik (womöglich kursiv!) aus den Jahren 2011-2024 dokumentiert.

Da die Metaphysik  nun vollständig gelesen worden ist, und das Buch über die Seele bereits über die erste Hälfte hinaus, kann eine vorläufige Vergleichung versucht werden.

Diese geht von dem aus, was beiden gemeinsam ist. Beide sind Bücher - also bestimmte Mengen von schriftlich gemachten und fixierten Aussagen über bestimmte Gegenstände. Aussagen mit Erkenntnis- also Wahrheitsanspruch.

Beide geschrieben von Aristoteles, jedoch erst im 1. Jahrhundert vor Christus redigiert und ediert.

Das zweite Buch könnten wir nach einem bekannten Schema „Psychologie“ nennen.

Und das erste, das vermutlich nicht ganz fertiggestellt worden ist?  Es macht sich die Prinzipien aller Dinge zu Gegenständen.

Also  Prinzipienlehre oder Archäologie. Oder Lehre von allen Dingen also Pantologie (Comenius: Pansophie)

Das erste handelt von bestimmten unterscheidbaren Dingen. Das zweite jedoch von allen. Insofern  handelt das erste von einer Untermenge - der Allmenge ?

Und wie sind die Behandlungsarten in den  beiden Büchern - sind sie eher gleichartig oder unterschiedlich?

Eine nähere Vergleichbarkeit zwischen den beiden Werken  wird möglich, wenn man die Wissenschaftstheorie ins Auge  faßt,  welche in der Metaphysik drei Wissenschaftsrichtungen unterscheidet:  die Herstellungswissenschaften wie Medizin oder Poetik, dann die Handlungswissenschaften wie Ökonomik, Ethik, Politik und schließlich die Betrachtungswissenschaften Physik, Mathematik  und  Theologie oder Erste Philosophie. Siehe mein Zweiter Band: 217ff.

In der „Psychologie“  wird die Unterscheidung der Wissenschaften anhand einer konkreten psychischen Problemsituation skizziert: jemand ist sehr zornig, weil er beleidigt worden ist: darauf reagiert der Physiker mit seinen Untersuchungen; der Dialektiker mit seinen Überlegungen; der Arzt, der nicht nur nur Wissenschaftler ist sondern  sondern ein eingreifender Künstler, wiederum anders; sogar der Erste Philosoph wird noch erwähnt - jedoch nicht näher qualifiziert.  Siehe 403a 26 - 403b 18.

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Im jetzt gelesenen Abschnitt 8 von „Über die Seele“  wird ausführlich von einer Seelenleistung  gehandelt - nämlich vom Hören.

Denn obwohl Aristoteles am Anfang auch eine Wesensbestimmung der Seele (die immer nur an einem Körper vorkommt)  geliefert hat,  bleibt er nicht bei so einer Wesensbestimmung stehen, sondern geht zu den Leistungen über,  deren Vorkommen überhaupt darauf schließen läßt, wo es so etwas wie eine Seele gibt.

Die Wahrnehmungen gehören zu den spezifischen Leistungen vieler Seelen  - und mit der Betrachtung und Analyse einer Wahrnehmung setzen wir bereits voraus, daß wir es mit einer Seele zu tun haben.  Als Leser dieses Textes sind wir bereits Wahrnehmende, primär Sehend-Wahrnehmende. Als Teilnehmer einer Sitzung sind wir auch Hörend-Wahrnehmende und damit „Fälle“:  aktive Subjekte und passive Objekte von Hörtätigkeit. 

Der Text handelt insofern von uns, obwohl er -  vielleicht -  nichts weiß von uns. 

Während ein sogenannter Hausverstand dazu neigen könnte anzunehmen,  eine Wahrnehmung würde dann am besten funktionieren,  wenn sich zwischen einem Wahrnehmungssubjekt und einem Wahrnehmungsobjekt „nichts“ befindet, das den Übergang stören oder beeinflussen könnte,  sagt Aristoteles,  daß dieser Zwischenraum mit einem Stoff ausgefüllt sein muß, mit einem Medium, das je nach Art der Wahrnehmung unterschiedlich geartet sein muß.

Beim Hören ist dieser Stoff die Luft - eines der vier Elemente. 

Und die Luft muß beim Hören in zwei Abteilungen gegeben sein: einer großen Luftgesamtheit und einer sehr kleinen Luftportion, die im Ohr eingesperrt ist.  Durch die Luftgesamtheit gelangt eine Luftbewegung ans Ohr, ins Ohr, und stößt an die eingesperrte Luft und schlägt auf sie ein und das ergibt das Gehörte: den Schall.



Deswegen sagt Aristoteles, daß seine eigene Höranalyse den Tastsinn metaphorisch einsetzt.  

Bei uns in der Sitzung können Schalle dadurch erzeugt werden, daß ein Buch hinunterfällt oder jemand in lautes Husten ausbricht.

Der Husten wäre aber schon ein Grenzfall - denn da wäre wohl auch schon Stimme dabei. Die ist eine bestimmte Art von Schall, die von einem beseelten Wesen erzeugt wird.  Musikinstrumente aus Holz oder Metall erzeugen Schalle,  aber sie haben keine Stimme.  Stimmen werden von Lebewesen mit den Körperteilen erzeugt, die auch für das Atmen zuständig sind. Aber während das Atmen lebensnotwendig ist, dient die Tätigkeit, die mit Stimme verbunden ist, nämlich das Sprechen, dem, was Aristoteles mit seiner stenographischen Ausdrucksweise  „das wohl“, also das rein adverbiale „gut“, nennt: to eu (womöglich kursiv!) (420b 23)



Die Unterscheidung zwischen dem Lebensnotwendigen und dem  Luxurierenden hängt damit zusammen, daß das Leben (als eine Seinsmodalität)  in sich gestuft oder  geschichtet ist und außerdem alternative Aktionsmöglichkeiten enthält.

"Stimme ist das Anschlagen der eingeatmeten Luft  an die sogenannte Luftröhre, hervorgerufen durch die in diesen Körperteilen befindliche Seele.“ (420b 29)

Diese Formulierung  scheint das Sprechen  mit dem Hören zu parallelisieren (zwei andere Luftmengen einander berührend). 

Doch außerdem wird da sogar die Seele in Körperteile eingeschlossen - das scheint mir mit dem bisher Gelesenen doch nicht recht vereinbar.


Das Sprechen ist eine über das Schmecken und auch über das Atmen hinausgehende Mundtätigkeit.  Es ist mit Vorstellung verbunden und daher „semantisch“ - also bezeichnend-bedeutend. 
















































































































 zwei Luftmassen zu verbinden und erinnert so an die beiden Luftportionen, die das Hören ermöglichen. Nur daß hier auch die Seele in bestimmten Körperteilen platziert wird! Das Sprechen scheint beseelter zu sein als das Hören?

Das Schlagende muß beseelt sein und mit einer Vorstellung  verbunden sein , um „semantisch“ (420b 32) zu sein - also bezeichnend-bedeutend. 

Walter Seitter