τὸ μὲν οὖν αἰσθάνεσθαι ὅμοιον τῷ φάναι μόνον καὶ νοεῖν.

Das Wahrnehmen also ist ähnlich dem bloßen Aussagen und dem vernünftigen Erfassen.

Aristoteles (De Anima III, 7: 431a)

* * *

Mittwoch, 22. Oktober 2025

De Anima /Peri Psyches lesen - 26 (420a 9 - 421a 6)

 

Sitzung vom 8. Oktober 2025


Aristoteles:  Über die Seele: 420a 9 - 421a 6

Zu Beginn der Sitzung gebe ich Sophia Panteliadou,  Karl Bruckschwaiger, Joachim Baur  (dieser zum ersten Mal anwesend) den Zweiten Band meines Buches 

"Aristoteles betrachten und besprechen (Metaphysik VII-XIV)“

 - welches die hiesigen Lektüren der aristotelischen Metaphysik (womöglich kursiv!) aus den Jahren 2011-2024 dokumentiert.

Da die Metaphysik  nun vollständig gelesen worden ist, und das Buch über die Seele bereits über die erste Hälfte hinaus, kann eine vorläufige Vergleichung versucht werden.

Diese geht von dem aus, was beiden gemeinsam ist. Beide sind Bücher - also bestimmte Mengen von schriftlich gemachten und fixierten Aussagen über bestimmte Gegenstände. Aussagen mit Erkenntnis- also Wahrheitsanspruch.

Beide geschrieben von Aristoteles, jedoch erst im 1. Jahrhundert vor Christus redigiert und ediert.

Das zweite Buch könnten wir nach einem bekannten Schema „Psychologie“ nennen.

Und das erste, das vermutlich nicht ganz fertiggestellt worden ist?  Es macht sich die Prinzipien aller Dinge zu Gegenständen.

Also  Prinzipienlehre oder Archäologie. Oder Lehre von allen Dingen also Pantologie (Comenius: Pansophie)

Das erste handelt von bestimmten unterscheidbaren Dingen. Das zweite jedoch von allen. Insofern  handelt das erste von einer Untermenge - der Allmenge ?

Und wie sind die Behandlungsarten in den  beiden Büchern - sind sie eher gleichartig oder unterschiedlich?

Eine nähere Vergleichbarkeit zwischen den beiden Werken  wird möglich, wenn man die Wissenschaftstheorie ins Auge  faßt,  welche in der Metaphysik drei Wissenschaftsrichtungen unterscheidet:  die Herstellungswissenschaften wie Medizin oder Poetik, dann die Handlungswissenschaften wie Ökonomik, Ethik, Politik und schließlich die Betrachtungswissenschaften Physik, Mathematik  und  Theologie oder Erste Philosophie. Siehe mein Zweiter Band: 217ff.

In der „Psychologie“  wird die Unterscheidung der Wissenschaften anhand einer konkreten psychischen Problemsituation skizziert: jemand ist sehr zornig, weil er beleidigt worden ist: darauf reagiert der Physiker mit seinen Untersuchungen; der Dialektiker mit seinen Überlegungen; der Arzt, der nicht nur nur Wissenschaftler ist sondern  sondern ein eingreifender Künstler, wiederum anders; sogar der Erste Philosoph wird noch erwähnt - jedoch nicht näher qualifiziert.  Siehe 403a 26 - 403b 18.

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Im jetzt gelesenen Abschnitt 8 von „Über die Seele“  wird ausführlich von einer Seelenleistung  gehandelt - nämlich vom Hören.

Denn obwohl Aristoteles am Anfang auch eine Wesensbestimmung der Seele (die immer nur an einem Körper vorkommt)  geliefert hat,  bleibt er nicht bei so einer Wesensbestimmung stehen, sondern geht zu den Leistungen über,  deren Vorkommen überhaupt darauf schließen läßt, wo es so etwas wie eine Seele gibt.

Die Wahrnehmungen gehören zu den spezifischen Leistungen vieler Seelen  - und mit der Betrachtung und Analyse einer Wahrnehmung setzen wir bereits voraus, daß wir es mit einer Seele zu tun haben.  Als Leser dieses Textes sind wir bereits Wahrnehmende, primär Sehend-Wahrnehmende. Als Teilnehmer einer Sitzung sind wir auch Hörend-Wahrnehmende und damit „Fälle“:  aktive Subjekte und passive Objekte von Hörtätigkeit. 

Der Text handelt insofern von uns, obwohl er -  vielleicht -  nichts weiß von uns. 

Während ein sogenannter Hausverstand dazu neigen könnte anzunehmen,  eine Wahrnehmung würde dann am besten funktionieren,  wenn sich zwischen einem Wahrnehmungssubjekt und einem Wahrnehmungsobjekt „nichts“ befindet, das den Übergang stören oder beeinflussen könnte,  sagt Aristoteles,  daß dieser Zwischenraum mit einem Stoff ausgefüllt sein muß, mit einem Medium, das je nach Art der Wahrnehmung unterschiedlich geartet sein muß.

Beim Hören ist dieser Stoff die Luft - eines der vier Elemente. 

Und die Luft muß beim Hören in zwei Abteilungen gegeben sein: einer großen Luftgesamtheit und einer sehr kleinen Luftportion, die im Ohr eingesperrt ist.  Durch die Luftgesamtheit gelangt eine Luftbewegung ans Ohr, ins Ohr, und stößt an die eingesperrte Luft und schlägt auf sie ein und das ergibt das Gehörte: den Schall.



Deswegen sagt Aristoteles, daß seine eigene Höranalyse den Tastsinn metaphorisch einsetzt.  

Bei uns in der Sitzung können Schalle dadurch erzeugt werden, daß ein Buch hinunterfällt oder jemand in lautes Husten ausbricht.

Der Husten wäre aber schon ein Grenzfall - denn da wäre wohl auch schon Stimme dabei. Die ist eine bestimmte Art von Schall, die von einem beseelten Wesen erzeugt wird.  Musikinstrumente aus Holz oder Metall erzeugen Schalle,  aber sie haben keine Stimme.  Stimmen werden von Lebewesen mit den Körperteilen erzeugt, die auch für das Atmen zuständig sind. Aber während das Atmen lebensnotwendig ist, dient die Tätigkeit, die mit Stimme verbunden ist, nämlich das Sprechen, dem, was Aristoteles mit seiner stenographischen Ausdrucksweise  „das wohl“, also das rein adverbiale „gut“, nennt: to eu (womöglich kursiv!) (420b 23)



Die Unterscheidung zwischen dem Lebensnotwendigen und dem  Luxurierenden hängt damit zusammen, daß das Leben (als eine Seinsmodalität)  in sich gestuft oder  geschichtet ist und außerdem alternative Aktionsmöglichkeiten enthält.

"Stimme ist das Anschlagen der eingeatmeten Luft  an die sogenannte Luftröhre, hervorgerufen durch die in diesen Körperteilen befindliche Seele.“ (420b 29)

Diese Formulierung  scheint das Sprechen  mit dem Hören zu parallelisieren (zwei andere Luftmengen einander berührend). 

Doch außerdem wird da sogar die Seele in Körperteile eingeschlossen - das scheint mir mit dem bisher Gelesenen doch nicht recht vereinbar.


Das Sprechen ist eine über das Schmecken und auch über das Atmen hinausgehende Mundtätigkeit.  Es ist mit Vorstellung verbunden und daher „semantisch“ - also bezeichnend-bedeutend. 
















































































































 zwei Luftmassen zu verbinden und erinnert so an die beiden Luftportionen, die das Hören ermöglichen. Nur daß hier auch die Seele in bestimmten Körperteilen platziert wird! Das Sprechen scheint beseelter zu sein als das Hören?

Das Schlagende muß beseelt sein und mit einer Vorstellung  verbunden sein , um „semantisch“ (420b 32) zu sein - also bezeichnend-bedeutend. 

Walter Seitter

Sonntag, 17. August 2025

De Anima / Peri psyches lesen – 25 ( 419a, 23 – 420a, 9)


Mittwoch, den 2. Juli 2025


Beim Verlesen des Protokolls erinnerte ich mich an die überfliegende Lektüre von Armand Marie Lerois „die Lagune“, das Walter Seitter letztens empfohlen hatte und das ich hiermit auch tue. Es hat einen intimen Charakter eines Zwiegesprächs mit Aristoteles, Darwin, Mendel und korinthischen Schafzüchtern und Fischern vor Lesbos, wo einiges gelobt, anderes für Unsinn erachtet wird, vor allem die fehlende Vererbungslehre, ich denke Aristoteles wollte keine Züchtungsphantasien wie Platon hervorbringen, und hat daher alles auf die Elemente zurückgeführt.

Wie Aristoteles Demokrits Auffassung ablehnt, das man etwas sehen könne ohne ein Dazwischenliegendes wie die Luft, dann spürt man seine Angst vor der Leere, die kein Erleiden des Wahrnehmungsvermögen erzeugt, und damit auch kein Wahrnehmen selbst.

Wie also die Farbe das Licht braucht, um gesehen zu werden, braucht das Feuer weder Licht noch Dunkelheit, sondern macht das Durchsichtige selbst durchsichtig. Das Durchsichtige ist wohl das Dazwischenliegende, wie bei Geruch und Schall das Sinnesorgan durch etwas Dazwischenliegendes bewegt wird. Wenn man das Schallende oder Riechende direkt auf das Sinnesorgan legt wird es zu keiner Wahrnehmung kommen. Es braucht ein Medium, das angeregt werden kann, ein Dazwischenliegendes, beim Schall ist es die Luft, beim Geruch etwas noch nicht Benanntes.

Walter Seitter erinnert an das Medium des Tastsinnes, wo das Fleisch das Dazwischenliegende ist, welches im Kapitel 11 erörtert wird.

Weiteres wird das Wasser als eine Dazwischenliegendes für die Wahrnehmung angenommen, zumindest für die Lebewesen, die darin leben.

Obwohl Aristoteles zuerst gesagt hat, dass das Dazwischenliegende für den Geruch ohne Namen sei, ist er bei der Erörterung des Riechens im Wasser sicher, dass das Riechen bei den Landbewohner mit dem Atmen zu tun hat, also müsste das Riechen auch mit der Luft zu tun haben, aber die Ursache dafür wird später angegeben werden.


Jetzt soll zunächst der Schall und das Gehör bestimmt werden, das Wort ist hier akoes, also die Akustik. Aristoteles beginnt in bekannter Manier mit der Unterscheidung des Schalls der Wirklichkeit und dem Vermögen nach. Es ähnelt einer Einteilung nach medialen und materialen Ursachen des Schalls, wenn es nicht zu neumodisch formuliert wäre. Die Dinge, die vermögend sind zu erschallen, müssen fest und glatt sein, also zum Beispiel Erze, die geschlagen werden, um in dem was dazwischen liegt einen Schall zu erzeugen.

Der wirkliche Schall, energeian psophos, entsteht immer von etwas, an etwas und in etwas, und alle drei Bedingungen müssen vorhanden sein. Der Schall entsteht an etwas das geschlagen wird, und diese Etwas muss aus Erz und glatt sein, keine Wolle. Hohlkörper können die Schläge brechen und vervielfältigen, dennoch muss auch ein Schlag gegen die Luft erfolgen, aber Aristoteles geht davon aus, das die Luft nicht zerstreuen darf, sodass schnell genug geschlagen werden muss um dieser Zerstreuung zuvorzukommen. Wenn eine nicht zerstreute Luftmasse, wir nennen es gewöhnlich Welle, wieder abgestoßen wird, wie ein Ball, dann entsteht ein Echo.

Ein Echo entsteht immer, da sich der Schall wie das Licht überall bricht und reflektiert, denn sonst gäbe es nicht überall Licht.

Kaum gesagt, wird die Reflexion durch Erz oder glatte Körper als begrenzt bestimmt, sodass es zum Schattenwurf kommt. Der Schatten ist ein Fehlen von Reflexion und von Licht, also gibt es nicht überall gleich viel Licht.

Etwas überraschend kommt Aristoteles auf die Leere (kenon) zu sprechen, die für das Hören ausschlaggebend sei. Die Luft scheint leer zu sein, aber sie muss als kontinuierliche und einheitliche bewegt werden, wir sagen als wässrige Anschauung Welle dazu, Aristoteles kennt diese Formulierung nicht. Dazu braucht es glatte Oberflächen, dass eine einheitliche Luftmasse unaufgelöst zum Gehör bewegt werden kann. Das Gehör ist aber von Natur mit Luft zusammengewachsen, daher kann die äußere Luft mit Schall die innere Luft des Gehörs bewegen.

Hier scheint ein Satz der Vorgänger wirksam zu werden, nämlich das Gleiches durch Gleiches wahrgenommen wird. Jetzt stellt Aristoteles fest, das nicht jeder Körperteil das Seelenvermögen des Hören hat, weil die Luft nicht überall durchkommt.

Also nur Körperteile mit Luft haben das Seelenvermögen des Hörens, auch nur dann wenn die Luft nicht zerstreut an das Ohr gelangt. Erst diese Bewegung erzeugt dann den Schall, der gehört werden kann. In der Luft selbst ist ansonsten kein Schall.

Die Luft ist somit keine Leere, denn sie kann immerhin bewegt werden.


Karl Bruckschwaiger



Sonntag, 29. Juni 2025

De Anima - Peri Psyches 24 (418a 25 - 419a 22)

Sitzung am 18. Juni 2025



Nach der Verlesung des Protokolls vom  4. Juni wird noch einmal die Frage aufgeworfen, was vom Protokoll erwartet wird.  Protokolliert werden soll nicht der Aristoteles-Text "an sich",  sondern das Text-Stück, das in der jeweiligen Sitzung gelesen und besprochen worden ist - mitsamt den  für wichtig erachteten Deutungen, Erklärungen, Wortmeldungen oder dergleichen.  Die Auswahl und Gewichtung obliegt der Entscheidung des jeweiligen Protokollanten,  der sich einer gewissen Objektivität befleißigen soll.  Da es sich um Sitzungen eines philosophischen Seminars handelt,  sollte zur dokumentierenden Objektivität auch der Gebrauch des eigenen Verstandes treten,  der  auf die  Frage, was ein Protokoll oder was ein Begriff ist,  etwas sagen kann. Sagen und nicht nur wissen - das ist ja der dritte Term in dem Dreieck der kognitiven Ähnlichkeiten (III, 7: 431a) 

Im Abschnitt davor war von verschiedenen Modalitäten des Erkennens ausführlicher die Rede, sodann  vom Wahrnehmen.

Jetzt wird vom Sichtbaren gesagt,  es sei die Farbe - aber mit der merkwürdigen  Hinzufügung,  damit sei  der Begriff gemeint, für den es allerdings keine Bezeichnung gebe; es handle sich um das Sichtbare als von der Farbe Verursachtes - diese  versetze das Diaphane in Bewegung: denn das sei ihre Natur.  Das Diaphane wird erst durch eine Farbe sichtbar.

Diaphan sind solche Körper wie Luft und Wasser und gewisse Festkörper, die durch das Feuer oder den Äther in den Zustand des Lichts versetzt worden sind.  Andernfalls verbleibt das Diaphane im Zustand der Finsternis - es selber bleibt die gleiche Natur. Mein Übersetzer schreibt hier sehr ungenau von einer selben „Substanz", womit er eine Seinsmodalität einführt, also einen Begriff aus der Ontologie.

Die Ontologie handelt von mehreren Ebenen von Seinsmodalitäten:  Substanz-Akzidens, Akt-Potenz,  eins und viele,  wahr und falsch.

Hier hingegen verbleibt man  mit  der Seelenlehre im Bereich der Physik - also in der Körperlehre. 

Gegen Empedokles vertritt Aristoteles die Ansicht, das Licht  bewege sich nicht - weder die Vernunft noch die Erscheinungen würden solches nahelegen. Im Licht erscheine die eigene Farbe eines jeden Gegenstandes. In der Finsternis gibt es andere Erscheinungen: das Feuerartige und das Leuchtende, den Perlmuttglanz an Pilzen, an Fleisch sowie an Köpfen, Schuppen und Augen von Fischen, bei denen man nicht ihre eigene Farbe sieht.   

Man sieht ihre eigene Farbe nicht, sondern man sieht etwas anderes, ein schillerndes  vielfarbiges Hin- und Herglänzen - wer ist dieses „man“? Es ist der berühmte Philosoph Aristoteles, in Wahrheit ein umtriebiger Neugieriger, der, wenn es in Athen ungemütlich, politisch gefährlich wurde, sich an fischreichen Küsten    auf das Zerschneiden, Beobachten, Vergleichen und Beschreiben von Tieren und Tierteilen  verlegte.

      


Hierzu verweise ich auf die umfangreiche Studie

Arman Marie Leroi:

DIE LAGUNE (oder wie Aristoteles die  Naturwissenschaft erfand)

(Darmstadt 2017) 

Die Farbe bewegt das Diaphane und durch dieses hindurch das Wahrnehmungsorgan.  Dieses Dazwischen ist keine Leere.  Die Ansicht  des Demokrit, im Falle einer Leere  würde man   etwas  weit Entferntes  am besten sehen, wird von  Aristoteles  entschieden zurückgewiesen.  Dabei entspricht diese Ansicht durchaus dem heutigen Hausverstand -  auch dem  meinigen. Aristoteles hingegen sagt, man sehe überhaupt nur Entferntes. Und man sehe es nur, wenn das Dazwischen mit einem geeigneten Medium angefüllt sei.  

Und er versteigt sich zu der kontra-intuitiven Behauptung, im Falle eines leeren Zwischenraumes  würde man nicht bloß undeutlich  - sondern gar nichts  - sehen.

Das geeignete Medium, also ein bestimmter Zwischen- oder Leitkörper  sei Voraussetzung für die Wahrnehmung. 
Fn.



Diese Auffassung  verbindet sich mit der aristotelischen   Skepsis gegenüber der  Vorstellung des leeren Raumes. 


Fn. 
Aristoteles hat dem Thema auch eine eigene kleine Schrift gewidmet:  Über die Wahrnehmung und die Gegenstände der Wahrnehmung.  In: Aristoteles: Kleine naturwissenschaftliche Schriften (Parva naturalia) (Stuttgart 1957).  Siehe dazu Walter Seitter: Physik der Medien. Materialien, Apparate, Präsentierungen (Weimar 2002): 33ff.
                 
Die nächste Sitzung findet am 2. Juli 2025 statt.
 
Walter Seitter 

 

Montag, 16. Juni 2025

De Anima / Peri psyches 23 (430a, 26 - 431b, 19)

 4.Juni 2025

De anima, Zweites Buch, Abschnitte 6 und 7

Nachtrag zur letzten Sitzung: Walter erinnert an das „Dreieck“ von Wahrnehmung, Denken und Sagen und fand die diesbezügliche Frage von Maximilian gut: Warum schreibt Aristoteles „Sagen“ und nicht „Handeln“? Der Austausch von „Sagen“ gegen „Handeln“ wäre aber nicht ganz einleuchtend, weil „Handeln“ wohl über das „Sagen“ bzw. die Sprache hinausgeht.

Was ist ein „Protokoll“? Diese Frage wurde in den beiden letzten Sitzungen ausführlicher besprochen: am 7. Mai 2025 (siehe Protokoll Seitter) sowie am 21. Mail 2025 (diesbezügliche Aussagen fehlen im Protokoll Bruckschwaiger).

Walter findet, dass insgesamt die Sache mit den Qualitäten eines „Protokolls“ noch immer nicht klar genug erscheint und insistiert darauf: Protokolliert wird, wer in einer Sitzung anwesend ist und was gesagt und für wichtig erachtet wird. Für unser Seminar ist in den Protokollen weniger der Text „Über die Seele“ selbst entscheidend, vielmehr das, was dazu gesagt wird: Ergebnisse, allfällige Auffassungsunterschiede im Sinne einer Sitzung als „Ereignis“ und/oder auch eines „Beschlusses“ mit Handlungsanweisungen. Der Verlauf der Sitzung soll im Protokoll nachvollziehbar sein. Auch Anmerkungen zum jeweils vorigen Protokoll gehören in ein Protokoll (wie Auslassung wichtiger Aussagen).

Heute werden wesentliche Aussagen der vorigen Sitzung nochmals repliziert bzw. entlang des neuen Textabschnittes kommentiert:

- Wahrnehmung und Denken: „(...) liegt das Denken bei einem selbst, wann immer man will, das Wahrnehmen aber nicht, denn es muss etwas da sein, das man wahrnehmen kann.“ (Kapitel 5 gegen Ende)

- Wahrnehmung, Bewegung und Veränderung: „Die Wahrnehmung beruht (...) auf Bewegtwerden und Erleiden.“ (Anfang Kapitel 5)

- Was den einzelnen Wahrnehmungen „eigentümlich“ ist? Aristoteles: „Mit »eigentümlich« meine ich, was man nicht mit einem anderen Sinn wahrnehmen kann und worüber man sich nicht täuschen kann, wie etwa das Sehen der Farbe, das Hören des Schalls und das Schmecken des Saftes (...).“ – oder anders: „Von dem an sich Wahrnehmbaren ist das Eigentümliche das, was im eigentlichen Sinne wahrgenommen wird, d.h. das, worauf sich das Wesen jedes Sinnes von Natur bezieht.“ (= letzter Satz von Abschnitt 6)



- Wahrnehmung ist mit „Bewegung“ verbunden. Bewegungen werden vom Sehen und vom Greifen – also von mehreren Sinnen – wahrgenommen. Der Tastsinn ist differenzierter und nimmt mehrere Unterschiede wahr: Temperatur, Glätte, Feuchtigkeit ... (Seitter)

- Der Schritt von Betrachtung zu Veränderung. Wenn ein Denker (bloß) „weiter-denkt“, ist das noch keine „Veränderung“.

- Die Differenzierung zwischen dem „Vermögen“ der Wahrnehmung und der „Vollendung“.

- Walter macht einen Unterschied: Qualitäten, die den Sachen selber zukommen; andere Qualitäten werden von uns hinein-projiziert (dies wird aber bei Aristoteles nicht in dieser Form ausgesagt).

- Zum Schall / Klang: Tastsinn in der Musik. Hier wird an Sophia aus der letzten Sitzung angeknüpft: Was erzeugt ein Pianist? (...) Und der Trompetenspieler: Luft in Bewegung. Luft ist auch ein Körper. Nochmaliger Verweis auf das Buch von Walter Seitter, Physik des Daseins: Bausteine zu einer Philosophie, Sonderzahl 1997.

- Luft ist Bewegung eines unsichtbaren Körpers: Exkurse zur Sichtbarkeit / Unsichtbarkeit des Atems.

Der Abschnitt 7 wird mehr oder weniger nur verlesen, aber aus Zeitmangel noch nicht genauer verhandelt: Sichtbarkeit, Farbe, Licht / Finsternis, Farblosigkeit, Durchsichtigkeit, Einwand von Aristoteles gegen die Auffassungen von Empedokles etc.

Rudolf Kohoutek





Sonntag, 1. Juni 2025

De Anima / Peri psyches lesen – 22 ( 417a, 22 – 418a, 6)

 Aristoteles – Lektüre 22


Mittwoch, den 21. Mai 2025


Der hier behandelte Abschnitt betrifft die weitgehend die zweite Hälfte des 5.Kapitels des 2.Buches. Zu Beginn macht Aristoteles die programmatische Ansage, das er über die Wahrnehmung insgesamt sprechen werde und er läßt eine Reihe von Bestimmungen folgen, dass Wahrnehmen im Bewegtwerden und Erleiden stattfindet, dass es eine Art qualitative Veränderung zu sein scheint.

Eine Aporie scheint für Aristoteles zu sein, dass keine Wahrnehmung der Wahrnehmungen zustande kommt, dass es für das Wahrnehmen ein Außending geben muss.

Zusätzlich sprechen wir über das Wahrnehmen in zweifacher Weise, einmal dem Vermögen nach, wie auch der Wirklichkeit nach. Zwar ist die Bewegung selbst eine unvollkommene Wirklichkeit und zugleich wird alles bewegt von dem der Wirklichkeit nach Seienden. Diese schwierige Verhältnis von Wirklichkeit und Bewegung wird hier nicht aufgelöst, vielmehr wendet sich sich Aristoteles einer weiteren Differenzierung zu, der zwischen Vermögen und Vollendung.

Es werden zuerst zwei Arten des Vermögens vorgestellt in Bezug auf das Wissen, so wird ein Mensch wissend genannt weil er einerseits zu den wissenden Lebewesen gehört oder schon im Besitz des Schriftwissens ist (grammatikén). Der zweitere ist insofern mehr vermögend, dass er betrachten (theoreìn) kann, wenn ihn nichts Äußeres hindert. Der schon der Vollendung nach betrachtend ist, der weiß im eigentlichen Sinn dieses bestimmte A (kyríos èpistamenos óde to A). Die Ersteren sind zwar dem Vermögen nach Wissende, aber sie müssen sich durch Lernen verändern, um aus einen entgegengesetzten Zustand in die Vollendung umzuschlagen (metabalon) oder beginnen das Schriftwissen auch auszuüben, um in das Wirklich-Sein des Wissen zu gelangen.

Auch das Erleiden dieser Veränderung ist nicht ein Einfaches, einerseits ist es eine Zerstörung (Phtora) durch das Entgegengesetzte, Nicht-Wissen wird durch Wissen zerstört, andererseits wird das dem Vermögen nach Seiende durch die Vollendung bewahrt. Die Veränderung selbst wird zum Maßstab, wie das Vermögen zur Vollendung gesetzt ist. Der Denkende verändert sich nicht, wenn er denkt, seine Denken braucht keinen Unterricht, wenn er das dem Vermögen Seiende zur Vollendung überführt, genauso wie der Hausbauer, wenn er ein Haus baut. Wer als dem Vermögen nach seiender lernt, von dem soll nicht gesagt werden dass er etwas erleidet, obwohl es zwei Arten der Veränderung gibt, die des Umschlagens in die privativen Zustände, wie schon oben erwähnt, nämlich zum Haben und der Natur.

Der erste metabolèn betrifft das Wahrnehmungsvermögen, das dem Betrachten gleich ausgesagt wird, aber verschieden ist. Die Wirklichkeit des Wahrnehmens braucht einen sichtbaren oder hörbaren Gegenstand. Das Wahrnehmen bezieht sich auf Einzeldinge, während das Wissen sich auf Allgemeines bezieht, das in gewisser Weise sich in der Seele befindet. Deswegen kann man immer denken, wenn man will, wahrnehmen ist nur möglich, wenn ein wahrnehmbarer Gegenstand vorliegt. Auch die Wissenschaften von den wahrnehmbaren Gegenständen müssen diese Zugehörigkeit zu den Außen- und Einzeldingen berücksichtigen.

Das dem Vermögen nach Ausgesagte ist nichts Einfaches, sondern bezieht ein Erleiden oder Veränderung mit ein, damit der Wahrnehmungsgegenstand der Vollendung nach erreicht wird.

So verstehe ich den letzten Satz des Kapitels: Also erleidet es, während es nicht gleich ist, nachdem es aber gelitten hat, ist es es angeglichen und wie jenes.

Also aus dem Knaben ist nach der erlittenen Ausbildung ein Feldherr geworden.


Karl Bruckschwaiger