In
der Metaphysik lesen (BUCH VII (Z), 1037a 12 – 1038b 35)
Zweifüßler
Koch (Protokoll)
*Panteliadou
Seitter
Tillmann
Weinberger
Z 10: DIE DEFINITION DES TEILES UND DIE DES
GANZEN (Rekapitulation)
Inwiefern muss eine Wesensbestimmung auf Teile und deren
Wesensbestimmung zurückgreifen? Antwort: Manchmal (wenn es um Teile der Form
geht) müssen die Teile in der Definition erwähnt werden, manchmal nicht. Anschlussfrage
in Z 11: Wann ist etwas Teil der Form oder gehört zur Form?
Z 11: DIE TEILE DER FORM
UND DIE DER KOMPOSITA (Schluss)
Thema: Physik übernimmt
die Aufgabe einer 2. Philosophie [1037a 15]
Die Wissenschaft der Physik definiert die Wesen, in dem
der Forscher a) die Sinnesdinge registriert, erfasst, empfindet, b) die
sinnlich erfassbaren Wesen der Einzeldinge theoretisch betrachtet. Das
Zwei-Stufen-Modell der Antike unterscheidet das Betrachten der sinnlicher
erfassten Wesen von der eigentlichen Definition der Wesensdinge. Dabei
übernehmen physikalische Gegenstände als Körper die Hauptrolle, sie müssen
sichtbar, hörbar und/oder ertastbar sein, also einen Eindruck der
Sinneswahrnehmung im kognitiven Apparat hinterlassen.
Diskussion: Entstehen
die Eindrücke der Sinneswahrnehmung aus »unbekannten Ursachen in der Seele«,
wie Hume [Traktat III.V] annimmt? Oder erhellen die Organe zunächst die
komplexe Äußerlichkeit einzelner Dinge und der Verstand entwirrt dann seine
Eindrücke von diesen Formen als isoliert, wie Locke [Essay III u. IV] darlegt?
Thema: Erkennen des
begrifflich bestimmten Stoffes [1037a 16]
Der Physiker hat ein ausdrückliches Interesse an der
Erwähnung des Stoffes in der Definition. Er bestreitet jede Möglichkeit einer
außerhalb des konkreten Wesens liegenden Form.
Diskussion:
Offenbar verspüren Naturwissenschaftler keinen dringenden Wunsch nach einer
zusammengesetzten Ousia. Während der Metaphysiker/ Ontologe/ Philosoph
dazu neigt, die Logik zur Physik der Seele zu machen, scheint der szientistische
Zugang zur Welt auf der Stufe der Ionischen Schule des materiellen Substrats
stehen zu bleiben. Da aber Denken an und für sich keine voraussetzungslose
Tätigkeit ist, stellt Philosophie ein weiteres Sinnenobjekt des Menschen selbst
dar (Feuerbach).
Thema: Eine Sache ist
fraglich durch ihre Teile [1037a 19]
An der wieder aufgenommenen Diskussion über die
Bestimmungen der Definition wird deutlich, dass die Schwarz-Übersetzung der
Substanzbücher bei Reklam die Unterscheidung von Horismos und Logos
durcheinander wirbelt, indem sie i) beide Ausdrücke als Definition und ii)
zusätzlich Logos auch noch im Terminus Begriff wiedergibt.
Die ursprüngliche Fragestellung in Z 10 wird von Schwarz
so übersetzt: »Da die Definition ein Begriff ist und jeder Begriff über Teile
verfügt und der Teil des Begriffes sich zum Teil der Sache (pragma) gleich
verhält wie der Begriff zur Sache, so stellt sich bereits die Frage, ob der
Begriff der Teile im Begriff des Ganzen enthalten sein muss oder nicht« [1034b
20].
Horismos = Definition.
Der Terminus bringt aber nicht zum Ausdruck, dass dieser ein sprachliches Gebilde ist, das aus Teilen
zusammengesetzt ist
Logos = ein sprachliches
Gebilde, das Teile besitzt
Worttreue Übersetzung: »Da aber der Horismos ein Logos
ist und jeder Logos Teile hat und der Teil des Logos zum Teil der Sache im
gleichen Verhältnis steht wie der Logos zur Sache, ergibt sich die Frage, ob
der Logos der Teile im Logos des Ganzen enthalten sein muss oder nicht«.
Verdeutscht: »Da aber der Definitionsvorgang sprachlicher Natur ist und jedes
sprachliche Gebilde aus Teilen besteht und jeder Sprachteil zu den Teilen der
Sache im gleichen Verhältnis steht wie das ganze Sprachgebilde zur Sache,
ergibt sich die Frage, ob das sprachliche Gebilde der Teile im sprachlichen
Gebilde des Ganzen enthalten sein muss oder nicht«.
Diskussion:
Die Schwierigkeit liegt hier nicht an der Übersetzung allein. Walter Mesch
zeigt, dass ‚Logos’ von Aristoteles in der zitierten Passage tatsächlich in
verschiedenen Bedeutungen gebraucht wird. Gemeint, so Mesch, sei
schlussendlich, dass nicht nur jeder Logos bloß einer Sache zugeordnet ist,
sondern auch jede Sache bloß einen Logos besitzt.
Übertragen auf 1037a 19
bedeutet das nun: Das Definiens ist deshalb ein Begriff, weil bereits die
bezeichnete Sache selbst über Teile verfügt.
Definiens = Wesen-Was,
TEE (ti en einai); der Begriff, der das Definiendum erklärt. Das, was in der
Definition von einem Ding gesagt wird. Mithin bei Aristoteles: seine eigentliche
Form!
Definiendum = in der
Definition zu erklärender Begriff
Thema: Das Wesen ist
die einem Ding innewohnende Form [1037b 28]
Stoff ist relativ in Hinsicht auf eine bestimmte Form
(Eidos im Sinn von morphê). Beispiel Menschenseele im Einzelmenschen. Anders
als im konkreten Wesen dürfen im Begriff des Wesens keine Teile (im Sinn von
Stoff) enthalten sein. Ein problematisches Postulat bei Hohlnasigkeit,
Krümmung-sein und eben der Menschenseele. Die Trennung von Form und Stoff stößt
erneut an eine Grenze.
Diskussion:
Die Definitionskraft der Form hat mehrere Schwächen. Zunächst auf der Ebene der
physikalischen Wahrnehmung: »Als einzelnes Ding aber besteht das Konkrete aus
dem letzten Stoff« [1035b 30]. Im Sonderfall des Lebewesens findet Aristoteles
zwar einen Ausweg. »Ein Lebewesen kann nicht ohne Bewegung definiert werden«
[1036b 28], was eine besondere stoffliche Beschaffenheit, genau gesagt: den
Stoffwechsel, verlangt. Der Fall des Lebewesens ändert aber nichts daran, dass
die Undefinierbarkeit des Einzelnen (im Form-Materie-Kompositum) die Annahme
individueller Formen wieder grundsätzlich fragwürdig erscheinen lässt. Bei der
Hohlnasigkeit wird die Definition der allgemeinen Form von einem Stoff abhängig
gemacht, der über die Analyse des Einzels von Einzeldingen überhaupt erst ins
Spiel gekommen ist (Beisbart).
Thema: Form als das
eigentliche Sein [1037b 5]
In welchem Sinn hat das Einzelding überhaupt einen
Begriff? Die Antwort des Aristoteles verschränkt den Formaspekt mit der
Definitionskraft: Das Einzelding hat einen Begriff als eine bestimmte Form
aufweisend, zu einer Art gehörend, nicht aber, was seine Materie betrifft.
Materie individuiert; Form bestimmt das Wesen und gehört in die
Definition.
Zusammengefasstes wird – notgedrungen – als nicht
identisch mit dem Definiens (TEE) angesehen. Der Ausschluss stofflicher Teile
aus der Definition zwingt Form in die Rolle des 1. Wesens (prôte ousia), kann
dort aber dennoch keine selbstständige Regie beanspruchen (Mesch).
Diskussion: Die
Krümmung wäre demnach eine prôte ousia für den Kreis. Unter
welchen Bedingungen ist eine Krümmung ein 1. Wesen? Kreisförmigkeit ist ein
reiner Formaspekt; lässt sich in unterschiedlichen Stoffarten realisieren. Der
Kreis kann sogar aus geistigem Stoff bestehen [1037a 4]. Doch wie findet man
heraus, was in welchem Material realisierbar ist?
Z 12: DIE EINHEIT DER DEFINITION
Thema: Einheit
des Definiens in einer Definition [1037b 12]
Das ganze Buch 7 handelt vom Wesen, welches bezeichnet a)
ein bestimmtes Eines, und b) ein Das [1037b
27]. Wie ist die Einheit des Definiens (TEE) in einer
Definition zu denken? Jedenfalls nicht als Kompositum aus Form und Stoff. In
der Definition einer ganzen Sache sind nicht die Definitionen aller Teile
enthalten, sondern nur die der formalen.
Diskussion:
Der Reihe nach werden das Eidos und die Form des Menschseins als 1. Substanz (prôte
ousia) ausgewiesen. Ist Eidos (im Sinn von morphê) als Artbestimmung und/oder
als Eigenschaft zu verstehen? Lässt sich die Definition von Form so behandeln
als sei sie die Definition schlechthin? Aristoteles fasst Wörter als implizite
Definitionen auf. Wie soll er dabei der Kritik entgehen, die er gegen Platon
vorbringt?
Thema: Das Verhältnis von
Begriff und Definition [1037b 10]
Begriffe haben logische Priorität vor der Definition. In
der Definition wird der Begriff mit zwei neuen Begriffen definiert, die sich
nicht gegenseitig modifizieren dürfen. Hier handelt es sich um eine spezielle
Vielteiligkeit des Logos. Aristoteles vergleicht zwei paarige Begriffe für den
Homo sapiens:
i) das »zweibeinige Lebewesen«: keine Affektion, sondern
eine Artbestimmung; eine Spezies innerhalb der Lebewesen, und
ii) den »weißen Menschen«: keine Art-, sondern eine
Eigenschaftsbestimmung; der Mensch ist bereits die Spezies, die von seiner Weißheit
nicht modifiziert werden kann.
Diskussion: In
dem Terminus »weißer Mensch« weist das Definiens in der Definition keine
Einheit auf. Er ist ein Vieles [1037b 15] – ein akzidentielles Kompositum.
Kommen mehrere Qualitäten in einem Definiens zusammen, müssen sie logisch zusammengehören,
was aber bei der Zweibeinigkeit und der Vernünftigkeit des Menschen nicht der
Fall ist. Die aristotelische Lösung: Minimierung in der Bestimmung der
Definition, den »Unterschied in seine Unterschiede zerlegen« [1037b 8];
hierarchische Unterteilung in immer speziellere Untergattungen (differentia
specifica).
BEFUSSTES
LEBEWESEN
(weder
mit noch ohne Flügel)
spaltfüßig
-- breitfüßig
schwarz
spalt-/ schwarz breit- -- weiss spalt-/ weiss breitfüßig
…
Konkrete
Füße aller einzelnen Lebewesen
Jede neue Differenz qualifiziert die vorhergehende.
1. Handelt es sich bei dem Ding um ein Lebewesen? –
Ja. Das gesuchte Ding gehört zur Gattung
der Lebewesen.
2. Bewegt es sich auf Füßen fort? – Ja, das Lebewesen
bewegt sich auf Füßen fort.
3. Gehört es zur Gruppe der breitfüßigen Lebewesen? – Ja,
es gehört zur Gruppe der Breitfüßler.
4. Ist der breite Fuss des Lebewesens weiß? – Ja, dieser
Mensch ist ein weißhäutiger Fußgänger.
Bei der letzten Differenz sind bereits alle anderen
mitgedacht.
Für Beisbart ist in dieser hierarchischen Ja-Nein-Methode
noch nicht geklärt, inwiefern Gattung und Differenz eine Einheit bilden. Laut
Detel funktioniert die »Zerlegung« nicht im Fall hyletischer Formen.
Thema: Im Wesen selbst liegt keine Ordnung
vor [1038a 33]
Aristoteles löst
das Problem der begrifflichen Einheit durch einen Art
Definitionslehre, gewissermassen eine Definition der Definition. Die
vorgeschlagene Methode: das dihairetische Vorgehen einer fortschreitenden
Differenzierung. Dabei muss man in der Definitionsarbeit bei einer
hierarchischen Unterscheidungslinie bleiben. Freilich welche der
Unterscheidungslinie im konkreten Fall über die anderen obsiegt (Zweibein,
Breitfuß oder Vernunftleuchte im Fall des Menschen), das unterliegt dem
kreativen Chaos des Denkens, das tönt
im Sound jenes Tohuwabohu, aus dem die Welt angeblich hervorging.
Diskussion: Führt
uns der Autor am Beispiel von Zweibeinig- bzw. Breitfüßigkeit den Menschen
unernsthaft, d.h. ironisch vor, oder, im Gegenteil: ausgesprochen sachlich und
seriös? Wäre der Mensch als »vernunftbegabtes Wesen« (Homo sapiens) eine höhere
Definition im Vergleich zum simplen »Zweibeiner« oder dem bloßen »Fußgeher«?
Wäre eine Definition des Menschen als »beseeltes Lebewesen« irgendwie
ernsthafter, sachlicher, oder ist – umgekehrt – eher das Definiens Seele
romantisch? Auch der Bedeutungsgebrauch des Ausdrucks Seele bleibt bei
Aristoteles nicht einheitlich.
Seele = Ursache des Seins
im Lebewesen [1017b 16], Wesen des Körpers (1017b 17), Wesen des Belebten
[1035b 15], weitreichendes Programm des Lebens
Seele = alle Dinge [De anima 431b 21], als ein Fall, eine Sonderzone von
essenziellem Akzidenzialismus, von Mengenbildung, Weltbildung, siehe Seitter-Protokoll
vom 19.2.18
Literatur
Aristoteles:
Metaphysik. Schriften zur Ersten Philosophie, Übersetzung: Franz F. Schwarz,
1970/2000
Beisbart, Claus: Die
Entfaltung der Substanzmetaphysik, Vorlesung TU Dortmund, 2010
Detel, Wolfgang: Aristoteles. Metaphysik. Bücher VII und
VIII, 2009
Feuerbach, Ludwig: Über
Spiritualität und Materialismus, besonders in Beziehung auf die Willensfreiheit,
1866
Locke, John: An Essay
Concerning Humane Understanding / Eine Abhandlung über den menschlichen
Verstand, 1690
Mesch, Walter: Die Teile
der Definition (Z 10-11), in: Rapp, Christof (Hg.): Metaphysik. Die Substanzbücher,
1996
Sitzung vom 30. Mai 2018
Nächste Sitzung am 6. Juni 2018
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