τὸ μὲν οὖν αἰσθάνεσθαι ὅμοιον τῷ ... νοεῖν.

Das Wahrnehmen nun ist ähnlich dem ... vernünftigen Erfassen.

Aristoteles (De Anima III, 7: 431a)

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Donnerstag, 1. Dezember 2011

In der Metaphysik lesen (987b 25 – 988a 7)


Wir kommen auf das Wort pragmateia zurück, das Aristoteles zweimal für „Theorie“ gebraucht hat, und zwar in einem mehr historischen Sinn: die bestimmte Theorie, die ein bestimmter Philosoph geschaffen hat, also sein „Werk“ bzw. seine Ansicht. Pragmateia leitet sich indirekt von dem Wort prattein ab = tun, handeln, ist also mit praxis verwandt – und die gilt ja landläufig eher als das „Gegenteil“ von Theorie. Aufgrund dieses etymologischen Zusammenhanges kann man Aristoteles hier einen „paradoxen“ Sprachgebrauch unterstellen. Der liegt dann vor, wenn man sich die erste Bedeutung des Wortes hält: Geschäft, Arbeit, Anstrengung. Eine zweite Bedeutung hat sich allerdings schon im Altgriechischen ausgebildet: schriftliches Werk. Im Neugriechischen hat sich dann diese Bedeutungslinie durchgesetzt, z. B. „Dissertation“. Das gleichlautende Wort mit anderem Akzent hat allerdings heute nur die ökonomische Bedeutung „Ware“.

Aristoteles führt näher aus, wie Plato zwei ganz unterschiedliche Denkweisen – die pythagoräische, welche elementar-mathematische Prinzipien für alles ansetzt, und die sokratische, welche mittels Diskussion und Definition Qualitäten begrifflich umreißen will – zusammenführt, was nicht ganz ohne Reibung möglich zu sein scheint. Platon verquicke die beiden pythagoräischen Elemente mit der Stoff-Form-Dualität – wobei seine Zuordnung eher verkehrt sei: dem Stoff ordne er das Viele zu, der Form aber das Eine. Tatsächlich verhalte es sich anders. Und das exemplifiziert Aristoteles am Beispiel der Verfertigung von Tischen aus Materie und Form wie am Beispiel der Menschenzeugung durch Mann und Weib. Wir haben den Eindruck, daß Aristoteles in beiden Beispielen den Gegensatz übertreibt. Das heißt er wird seinerseits zum Opfer einer fragwürdigen Pythagoras-Sokrates-Verquickung. In der Sache der menschlichen Geschlechter scheint er denselben Fehler zu machen wie in der Poetik mit den Geschlechtern der Wörter, wo er fälschlicherweise den weiblichen Wörtern ausschließlich rein „weibliche“ Endungen zusprach, nämlich vokalische.

Ivo Gurschler erhebt gegen die aristotelische Vorgehensweise den Einwand oder den Verdacht, Aristoteles suggeriere in seiner Beschreibung und Beurteilung der früheren Philosophen ständig seine eigene Ursachenlehre oder jedenfalls das Thema der Ursächlichkeit, so als wäre diese Perspektive die einzig mögliche oder zutreffende. Dagegen wird eingewandt, Aristoteles mache das nicht unterschwellig sondern ziemlich explizit von Anfang des Buches an. Aber wenn man schon diese Kritik formuliert, sollte man auch sagen können, welche anderen Perspektiven denn noch möglich seien. Eine andere Perspektive ist bei Sokrates wie auch bei den sogenannten Sophisten zu beobachten, da geht es nämlich nicht um Ursachen, sondern darum was ist wichtig. „Wichtig“ im Sinn von „existenziell“ oder „menschlich“ wichtig.

Ist diese Perspektive in unserem Buch auch schon aufgetaucht? Vermutlich ja und zwar in mehrfacher Weise. Wenn wir hier nicht nur lesen wollen sondern auch philosophieren, sollten wir uns fragen, was bedeutet eigentlich das Wort „wichtig“? Zweierlei ist dazu schon gesagt worden: erstens es sei ganz „abstrakt“ – was keine triftige Aussage ist; zweitens es hänge mit Wertung zusammen, was zutrifft. 

Walter Seitter

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