In der letzten Stunden sind wir auf zwei Redensarten gestoßen, die dem Wiener Dialekt entstammen und bei aller gegenläufigen Bedeutung doch auf eines hinauslaufen: „ned amoi ignorieren“ und „eh scho wissen“. Dasjenige, worauf sie hinauslaufen, entspricht dem, was Lacan die Leidenschaft des Ignorierens nennt, oder dem, daß man etwas für ganz unwichtig hält.
„Wichtig“ (mit der Gegenseite „unwichtig“) ist einer der „wichtigsten“ Begriffe der Umgangssprache, nicht nur weil er häufig verwendet wird, sondern weil er dazu dient, unser Verhalten zu ordnen, und zwar auch auf unterschiedlichen Metaebenen: man kann nicht nur, man muß sogar jedes Vorkommen oder Verhalten für wichtig (oder unwichtig) halten. In den Wissenschaften kommt der Begriff jedoch kaum vor. In den Siebzigerjahren tauchte er in der Popularisierung der Kritischen Theorie auf und zwar als „gesellschaftlich relevant“.
Wie kann man den Begriff definieren? Zunächst, indem man ihn umschreibt. Definition von „umschreiben“ mit Betonung auf der zweiten Silbe: etwas mit anderen Worten sagen. Vorschlag: wichtig ist, was einem auf dem Herzen liegt. Eine sehr gute Umschreibung, die das Emotionale betont und vor allem den dativus ethicus, der bei „wichtig“ immer impliziert wird, wenn auch nicht immer ausgesprochen. Diese oder jene Zutat ist wichtig für die Zubereitung dieses Gerichts: mit der Präposition „für“ wird hier der sachliche Zusammenhang betont, aber die Personenbezogenheit wird vorausgesetzt, denn das Gericht soll irgendeinem Esser schmecken. Was wichtig ist, ist immer jemandem (auch für jemanden) wichtig. Gesellschaftlich relevant heißt: für die Gesellschaft wichtig. Einfachere Umschreibungen setzen ein Wort ein, das sich zumeist bedeutungsmäßig mit dem Gemeinten nur berührt. So: „wertvoll“, „notwendig“. „Wertvoll“ kann man mit „gut“ gleichsetzen – „wichtig“ berührt sich damit, ist aber „neutraler“ – obwohl auch es eine Wertung impliziert. Etwas für wichtig erachten heißt ihm eine „Priorität“ einräumen. Priorität als „apriorische“ Bedingung dafür, daß etwas „vorkommt“ (anstatt hintanzustehen und unterzugehen). Wie „wichtig“ zwischen „gut“ und „notwendig“ liegt, so „gut“ zwischen „wichtig“ und „richtig“.
Das deutsche Wort „Bedeutung“ hat zwei Bedeutungen: erstens die semantische Bedeutung, die eben eingesetzt worden ist, und zweitens die pertinente Bedeutung: Pertinenz, Importanz, Gewichtigkeit, Wichtigkeit, impact; das hat mit Rang, Macht, sogar Ursächlichkeit zu tun. Ursache des Begehrens im Persönlichen und Ursache in weniger persönlichen Zusammenhängen: die Bedeutung der Brieftaube für die österreichisch-ungarische Armee im Ersten Weltkrieg (hier die Armee als Interessent).
Ivo Gurschler weist darauf hin, daß die Wichtigkeit neuerdings doch in die Wissenschaftssprache eingedrungen ist: in die Kommunikationswissenschaften, wo es um Selektion, Annehmen, Verwerfen u. ä. geht, nämlich in der „Agenda-Setting-Theorie“ oder etwa wenn von „Gatekeepern“ die Rede ist.
Da Aristoteles’ „gesuchte Wissenschaft“ eine theoretische sein soll, wie Physik und Mathematik, sich also auf Sachverhalte beziehen soll, die so sind, wie sie sind, nämlich unabhängig von menschlichem Einschätzen, Entscheiden usw., möchte man meinen, daß das „Wichtige“ für sie keine Rolle spielt. Dem ist aber nicht so. Das Wichtige und verwandte Qualitäten werden in unterschiedlichen Positionen erwähnt oder eingeführt. Im ersten Satz (980a 21) wird das Wissen als wichtig eingeführt und zwar für alle Menschen. Damit wird seine Wichtigkeit postuliert – während man die physikalischen und die mathematischen Sachverhalte nicht „postulieren“ muß, die gibt es wohl einfach. Hier geht es ja um eine Wissenschaft, die man erst „sucht“. Obwohl sie theoretischer Natur sein soll, scheint das, was Kant „praktische Vernunft“ nennt, also irgendwie vorausgesetzt zu sein. Etwa gar Primat der praktischen Vernunft?
Auf der anderen Seite hat die Wichtigkeit des Wassers für Thales einen ganz anderen Charakter als die Wichtigkeit des Wassers für einen Durstigen: bei Thales ist es eine Wichtigkeit nur in der Theorie, die eine Ursachentheorie ist: also Ursächlichkeit des Wassers. Anders wiederum die Wichtigkeit des Öls für einen Ölspekulanten wie Thales gegenüber der Wichtigkeit des Öls für die Küche oder für die Heizung (da als technische Ursache für andere Wunscherfüllungen).
Aristoteles benennt die gesuchte Wissenschaft zunächst mit dem altehrwürdigen Wort „Weisheit“; setzt aber dann doch den immerhin schon existierenden Ausdruck „Philosophie“ ein: Liebe zur Weisheit. Diese Theorie erfordert nicht nur irgendwelche praktischen Leistungen (daher pragmateia) sondern praxis-Qualitäten im ethischen (auch im kantischen) Sinn.
Walter Seitter
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