τὸ μὲν οὖν αἰσθάνεσθαι ὅμοιον τῷ ... νοεῖν.

Das Wahrnehmen nun ist ähnlich dem ... vernünftigen Erfassen.

Aristoteles (De Anima III, 7: 431a)

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Donnerstag, 9. Februar 2012

In der Metaphysik lesen (988b 22 - 26)


Wenn laut erstem Satz des IV. Buches dem Seienden als solchem mehrere Hyparchonta („Existenzialien“, „Koexistenzialien“, „Immanenzialien“) zukommen, dann dürften das die Eigenschaften sein, die im Mittelalter „Transzendentalien“ genannt worden sind: ein, wahr, gut, schön. Wir können aber aus der Tatsache, daß es mehrere sind, schließen, daß darunter als Gegenpol zum Einssein auch eine gewisse – innere – Vielheit oder Mannigfaltigkeit sein könnte (damit das Einssein überhaupt etwas zu tun hat, nämlich die Einheit herzustellen), weshalb man auch die „moderne“ Eigenschaft der „Komplexität“ hier nennen könnte. Oder aber die Eigenschaft, die zur Seiendheit einen gewissen Gegenpol bildet: die Werdendheit, die Prozeßhaftigkeit. Oder die Eigenschaft, die darin besteht, daß jedes Seiende Akzidenzien haben muß. Die Hyparchonta selber sind keine Akzidenzien, aber das Akzidenzien-Haben-Müssen könnte eines sein: metahafte Notwendigkeit von nicht-notwendigen Akzidenzien, und die könnte man „Akzidenzialität“ nennen (so etwas war in der Lektüre der Poetik aufgetaucht, wo die Akzidenzien – unter der Bezeichnung pragmata - sogar die Überhand zu gewinnen scheinen).

Im Kapitel 8 setzt Aristoteles seine Kritik an jenen Vorgängern fort, die immer nur eine oder höchstens zwei Ursachen annehmen, oder nur die Ursache für einen Aspekt ins Auge fassen oder zu leichtfertig einen Körper für ein Prinzip halten, ohne seine innere Zusammensetzung zu bedenken. Also Kritik an verschiedenen Arten von „Vereinfachung“. In den beiden ersten Sätzen richtet sich die Kritik außerdem an diejenigen, die nur körperliche Dinge annehmen, „wiewohl es doch auch körperlose Dinge gibt“. Die Aussage steht so da, als würde sie Aristoteles von sich aus und für sich machen. Aber welche körperlosen Dinge hat er denn überhaupt angenommen? Leichter läßt sich die Frage für Platon beantworten, bei dem sowohl die Seelen – die menschlichen, wie auch die Ideen körperlos sein dürften. Wie kann man sich die platonischen Ideen vorstellen. Jede Idee ist das Urbild einer Art von Dingen oder Qualitäten, auch von körperlichen Dingen, wie etwa der Tiere. Aber die jeweilige Idee ist eine Steigerung – sei es des Menschen oder des Baumes oder des Schönen. Jeweils eine Superversion – also ein Supermensch, ein Superbaum, oder eben das Superschöne. Dasselbe in größter Vollkommenheit: wie eine Art Statue, wie aus Diamant, aber in größter Deutlichkeit das jeweilige Wesen darstellend, urbildlich vorzeigend. Aristoteles hat dagegen eingewendet, daß damit die die uns bekannten Dinge „verdoppelt“ werden und daß diese Verdoppelung dann noch weiter getrieben werden könnte ... Platon würde dazu sagen, die „Verdoppelung“ vollzieht sich in der umgekehrten Richtung: von der Idee aus geschieht eine Verdoppelung, nein eine Vervielfältigung – allerdings mit qualitativer Minderung. Die vielen Rinder sind Abbilder, aber eher schwache, des Urrindes, des Superrindes.

Aber die Frage, was für körperlose Dinge Aristoteles annehmen könnte, ist damit nicht geklärt. Die „Kategorien“ sind zwar gewiß körperlos, aber sie sind ja keine Dinge. Sondern allgemeinste Begriffe. Die platonischen Ideen sind zwar auch „allgemein“ – aber gleichzeitig real existierend, selbständig existierend, wie Dinge – nämlich Superdinge.

Walter Seitter

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