Wir kommen auf das
Sammelsurium von Bestimmungen zurück, denen Aristoteles das Prädikat „seiend“
zuspricht: nämlich dem Wesen oder der Substanz und dann einigen Akzidenzien
(aus der Kategorientafel) sowie einigen „Superakzidenzien“ wie Entstehung,
Vernichtung, Verneinung. Worauf laufen diese Bestimmungen hinaus? Sie bilden
einen Gegensatz, ja eine Gegenfront zum Wesen und im Unterschied zu den
Akzidenzien ordnen sie sich ihm keineswegs unter sondern stehen ihm
gleichrangig gegenüber, da sie ja sogar über es verfügen – so die Entstehung
und die Vernichtung. Wir können diese Gegenfront als Wechselfälle, als
Schicksal, als Dramatik bezeichnen oder mit dem neuphilosophisch-pathetischen
Singular „Ereignis“. Zwar würde Aristoteles auf die Frage, vom wem die
Erzeugung oder die Vernichtung eines Wesens ausgeht, wieder auf ein Wesen
verweisen: entweder auf dasselbe oder auf ein anderes. Damit wären wir bei der
Tatsache „Leben“ oder in der Situation „Krieg“. Das heißt nicht, daß
Aristoteles den Vorrang des Wesens aufgibt, aber er faßt ihn so weit, daß auch
das Gegenteil der Fall sein kann: das Wesen ist etwas so Großzügiges, daß auch
der „Fall“ vorkommen kann und unter es fällt.
Die Spannweite dieses
Spektrums wird aufgemacht, um die Flexibilität des Begriffes „seiend“ zu
verdeutlichen und die Möglichkeit, daß eine einzige Wissenschaft diese ganze
Spannweite behandelt. Das geht also in die Richtung einer
„Einheitswissenschaft“, die unterschiedliche Phänomene behandelt. Aber
keineswegs „alle“ Phänomene: denn für die Phänomene (und Erzeugungen und
Vernichtungen) der Gesundheit ist wiederum eine andere Wissenschaft zuständig
(die indessen anders konzipiert ist als die moderne Medizin, welche sich um die
Krankheit dreht).
Sodann führt Aristoteles die
Spezifizität einer jeden Wissenschaft auf eine spezifische Sinneswahrnehmung
zurück, womit er die epistemologische Stufung vom Anfang des I. Buches
aufgreift und nun sogar in die Konzipierung der „gesuchten Wissenschaft“
einbezieht. Eine empiristische oder sensualistische oder positivistische Volte?
Die sinnlichen Basisdaten der Grammatik, das sind alle Laute. Welche sind die
sinnlichen Basisdaten der Gesundheitswissenschaft? Die gesuchte Wissenschaft
ist gattungsmäßig eine: sie teilt sich aber in Wissenschaftsarten, welche die
Arten der Seienden (als solcher) zu untersuchen hat. Diese Wissenschaft scheint
sich also logisch in gattungsmäßig Einheitswissenschaft und spezielle
Wissenschaftsarten zu gliedern. Ist ihre Einheitlichkeit schwächer als die der
Grammatik oder der Gesundheitswissenschaft? Außerdem läßt sich die Frage
stellen, wo denn die sinnliche Basis dieser Wissenschaft bzw. dieses
Wissenschaftskomplexes liegt. Wo ist das Seiende (als solches!) sichtbar,
hörbar usw.? Wie die verschiedenen Arten dieses Seienden? Sind die Arten die
oben genannten Akzidenzien bzw. Superakzidenzien?
Walter Seiter
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Sitzung vom 15. Jänner 2014
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