Mit dem sehr weiten aristotelischen
Ursachen-Begriff (der vor allem auch immanente Bestandteile usw. umfasst und
der sich dank dem generischen Begriff der arche noch weiter ausdehnen
lässt) kann man sagen, dass alle „Sachen“ (sowohl Dinge wie auch Akzidenzien
und andere Seinsmodalitäten) als „Ursachen“ vorkommen und wirken können.
Einen – allerdings zentralen – Ausschnitt aus
dieser Thematik behandelt Donald Morrison in „Substance as Cause: Metaphysics
Z 17“, in Chr. Rapp (Hg.): Aristoteles Metaphysik Substanzbücher (Z, H, Θ) (Berlin 1996): 193-207.
Der Aufsatz bezieht sich auf Buch VII der Metaphysik,
speziell Kap. 17. Dessen Fragen lauten „Was ist Substanz?“ und „Wie
beschaffen ist Substanz?“ – Substanz als Übersetzung für ousia. Doppelte
Antwort: „Substanz ist Form“, „Substanz
ist ein Prinzip des Seienden.“ Zusammenfassend
gesagt heißt hier Substanz die Formursache des Seienden, wobei sich
Aristoteles auf die materiellen Dinge bezieht, die auch aus einer
Materialursache bzw. aus Elementen bestehen, die erhalten bleiben, wenn das
Seiende aufhört zu bestehen.
Die Formursache ist die Wesenheit, die etwas hat,
und die verteilt Aristoteles sehr großzügig: so hat er bei der Definition der
Trägödie von deren ousia
gesprochen und den mathematischen Gebilden würde er sie
selbstverständlich zusprechen – oder den musikalischen Erscheinungen
mathematische Formursachen. Formursache oder Wesenheit.
Der andere ousia-Begriff meint die
selbständig existierenden Wesen: Wesen, das man ist. Und diesen Rang spricht
Aristoteles den mathematischen Gebilden ab. Im Grunde genommen spricht er ihn
pauschal einer einzigen Gattung zu – nämlich der Gattung, von der der logische
Begriff „Gattung“ entlehnt ist: den Lebewesen. Wer zu dieser Gattung gehört,
hat ganz natürlich ein Anrecht auf den ontologischen Ehrentitel ousia. Insofern
der Mensch dazugehört, ist er ein „Wesen“, eine „Substanz“. Daher ist die
einfachste Antwort auf die Frage, was oder wer denn eine aristotelische
Substanz sei, diese: „Ich!“. Allerdings nur wenn ich mich in die
Gleichartigkeit der Spezies „Mensch“ einreihe und ebenso selbstverständlich in
die große Gattungsmenge „Lebewesen, Tiere ....“. In diesem Sinn ist Aristoteles
Darwinist. Und mit der Zugehörigkeit aller Leute zur Menschenspezies bejaht
Aristoteles auch den Essenzialismus, der eine theoretische Voraussetzung für
„Menschenrechte“ bildet (auch wenn er es da an politischer Folgerichtigkeit hat
fehlen lassen).
Die Frage, ob es Substanzen auch jenseits der
animalischen Gattung gibt, hat Aristoteles sicherlich im allgemeinen bejaht,
doch in den Details hat er geschwankt.
Sind nur natürliche Dinge Substanzen? Ja: Met.VIII
1043a 4-5, 1043b 21-22). Nein, auch Artefakte können Substanzen sein: Met. XII
1070a 5. Im Hinblick auf die Tragödie haben wir die Frage genauer behandelt und
sind zu einem positiven, aber nicht sicheren Ergebnis gelangt. Ein ähnliches
Ergebnis würde sich wohl für ein „Musikstück“ erzielen lassen – aber nicht für
ein bloßes Klangphänomen.
Zweite Fragerichtung: sind nur lebende Dinge
Substanzen (Met. VIII, 1043a, 1043b) oder auch Feuer, Erde, Erz, Fleisch (Met.
VII)? Für diese Version spricht, dass nur sie vermeidet, dass es in der Welt
Eigenschaften gibt, die frei flottieren und an keiner Substanz hängen. Wenn man
die Erde als Lebewesen betrachtet, könnte man die anorganischen Eigenschaften
diesem Großen Wesen zurechnen. Doch ob diese Ansicht Aristoteles – und damit
dem wissenschaftlich eingestellten Denken (!) – zuzutrauen ist - ?
Halten wir uns an die aristotelische Kernthese,
dass nämlich mit Sicherheit Lebewesen – und je höhere umso sicherer – „Wesen“
im ontologischen Sinn sind, dann müssen wir die aristotelische, d. h.
griechisch-philosophische Sturheit, die ständig „das Seiende“ zum Objekt macht,
relativieren und „nach oben“ entweder zum „Subjekt“ öffnen bzw. in Richtung der
beiden animalischen Geschlechter und zum Fragepronomen „wer?“.
Die östliche Ikonenmalerei transformiert das
parmenideisch-aristotelische to on in das o on, das sie in den
Christus-Nimbus schreibt: der Seiende.
In anderen Theo- oder Angelo- oder Anthropographien
ist eben gegebenenfalls
η ουσα
anzuschreiben. Das würde der aristotelischen
Flexibilität „des Seienden“ entsprechen. Vor aller Ontologie geht es
um Ontographie und die muss richtig, genau und womöglich schön sein.
Walter Seitter
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Sitzung vom 10. Dezember
2014