τὸ μὲν οὖν αἰσθάνεσθαι ὅμοιον τῷ ... νοεῖν.

Das Wahrnehmen nun ist ähnlich dem ... vernünftigen Erfassen.

Aristoteles (De Anima III, 7: 431a)

* * *

Sonntag, 10. März 2019

In der Metaphysik lesen (BUCH VIII (H), 1046a 19 – 36)


Wenn „Vermögen“ die Fähigkeit zu aktiver oder passiver Veränderung bedeutet, dann handelt es sich um eine Gruppe von Seinsmodalitäten, die den Akzidenzien gleichgestellt werden können (auch wenn sie nicht dazu gezählt werden). Die Ontologie ist die Wissenschaft von allen durchgängigen Seinsbestimmungen – und da finden Wesensbestimmungen ebenso ihre Plätze wie Nicht Wesensbestimmungen (allerdings Plätze in einer gewissen Ordnung).

Bewirken und Erleiden setzen entsprechende Vermögen voraus, die einander korrelativ gegenüberstehen, und die wiederum brauchen Träger, die Stoff enthalten und daher den Status von Wesen oder Dingen haben. Als ein bestimmtes Vermögen nennt Aristoteles die Wärme, als deren Träger das Wärmende, das muss etwas Dingliches und insofern Wesensartiges sein - also ein heißer Stein oder die warmen Hände eines Masseurs. Oder ein anderes Vermögen ist die Baukunst und deren natürlicher stofflicher Träger der Bauingenieur.

Die Position des stofflichen Trägers wird von Aristoteles dann noch einmal extra betont, indem er die Unterscheidung zwischen dem Wärmer und dem Ingenieur weglässt und nur vom Bewirkenden spricht, der so sehr eines ist, dass er nicht von sich affiziert wird also auch nicht sich selbst bewirkt. Erleiden oder bewirken kann er nur, wenn er einem anderen Vermögen oder Wesen gegenübersteht.

Vor allem kann er das nur, wenn er selber ein stabiles Wesen ist – also „zusammengewachsen“ ist - womit Aristoteles das „Zusammensein“ und die „Zusammensetzung“ aufgreift, die er einige Seiten zuvor im Anschluss an Lykophron eingeführt hatte.

Es geht hier um Fähigkeiten, Stärken, Mächtigkeiten, sowohl aktive wie auch passive. Leider illustriert Aristoteles seine Unterscheidungen nur mit ganz knappen Beispielen. Umso erfreulicher, dass er doch auch den Negationen davon - er nennt sie Privationen - einen kleinen Platz einräumt: den Unvermögen oder Unfähigkeiten, die auch einige Differenzierungen bekommen.

Den Grundsatz, dass eine Wissenschaft von bestimmten Sachen immer auch die Wissenschaft von den Gegenteilen einschließt, wird Aristoteles gleich selber formulieren. Hier haben wir in aller Kürze ein Beispiel dafür, dass eine Analyse von Fähigkeiten und Mächtigkeiten mit einer Analyse von Unfähigkeiten und Ohnmächtigkeiten Hand in Hand geht. Was gerade bei diesem Thema wichtig wäre, weil ein theoretisches Reden von Macht sich leicht ins Moralisieren erhebt – da könnte die Betrachtung der Ohnmacht guttun.

Walter Seitter

Seminarsitzung vom 6. März 2019
Nächste Sitzung am 13. März 2019

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen