τὸ μὲν οὖν αἰσθάνεσθαι ὅμοιον τῷ ... νοεῖν.

Das Wahrnehmen nun ist ähnlich dem ... vernünftigen Erfassen.

Aristoteles (De Anima III, 7: 431a)

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Dienstag, 16. November 2021

In der Metaphysik lesen * Hermann – Lektüre 2

 10. November 2021

 

 

In dieser Sitzung habe ich den Beginn meiner Übersetzung von Hermann de Carinthias Werk „De Essentia“ vorgelesen. Ich verwende dafür den lateinischen Text, der in der kritischen Edition von Charles Burnett 1982 bei E.J.Brill veröffentlicht wurde, mit manchen Blick auf seine englische Übersetzung.

 

Das Vorwort ist ein mit nahezu humanistischem Bildungsgut und mit Anspielungen auf antike Göttinnen angefüllter Briefwechsel zwischen Hermann und seinem engen Vertrauten und Übersetzerfreund Robert Ketton. Darin wird ein Traum erzählt wobei die Göttin Minerva Hermann am Kopf berührt und ihn auffordert die vier symbolischen Gegenstände des Quadriviums zu ergreifen, das Rechenbrett für die Mathematik, den Stab für die Geometrie, die Waage für die Musik und die Lampe für die Astronomie. Hermann folgt einer Aufforderung aus einem Traum.

 

Das erste Buch beginnt mit dem Wort „Esse“ - Sein, dieses Sein ist nach Hermann zuerst den einfachen Wesen und der unbewegten Natur vorbehalten. Diese Wesen werden daraufhin in fünf Gattungen erfasst, die da sind Ursache, Bewegung, Ort, Zeit und Habitudo, was ich vorläufig mit Verhaltensweise oder Gestalt/Erscheinungsform übersetzt habe. Außer der Ursache haben die Wesen nichts mit dem Wesen ousia bei Aristoteles zu tun. Sie entsprechen nur zum Teil den Kategorien (Substanz, Quantität, Qualität, Relation, Ort, Zeit, Zustand, Haben, Tun Erleiden). Walter Seitter schlägt als Übersetzung und Entsprechung von Habitudo die Kategorie der Qualität vor, was auch mir nicht abwegig erscheint. Die meisten der Wesen wären bei Aristoteles Akzidentien, wie Bewegung, Ort, Zeit und wenn die Zuordnung stimmt, die Qualität als Habitudo.

Gleich darauf nimmt Hermann drei Prinzipien des Gezeugten an, die Wirkursache, die Formursache und die Materialursache. Die aristotelische Zweckursache fehlt hier.

Damit kommt Hermann auf die Annahme einer ersten Ursache zu sprechen, die unbewegt, selbst die Ursache aller Bewegung sein soll, die keine zwei Prinzipien annehmen kann, da der vorrangige Platz besetzt sein muss. So kommt es zu einer weiteren Aufteilung der Ursachen in eine wirkende und eine erzeugende Ursache, die selbst wiederum in eine erste und zweite Ursache aufgespalten sind.

Diese erste Ursache gilt es zu finden und festzuhalten, durch den intellektuellen Trick der Reduktion von allem Wahrnehmbaren und Vorstellbaren. Mit der Einführung der Offenbarung sind wir in der Theologie gelandet, und es kommt zu einem kurzen Ausritt gegen den Koran, den Hermann gemeinsam mit Robert Ketton für den Abt von Cluny übersetzt hat. Es geht um die von den Moslems nicht verstandene Dreieinigkeit des christlichen Bekenntnisses, und Hermann zitiert sogar aus dem Koran, aus der vierten Sure.

Es folgt eine Darstellung der Voraussagekraft der Astrologie, die Hermann aus dem Werk von Abu Ma´shar entnimmt, dessen Introductiorum ad astronomiam Hermann mit Johannis Hispalensis übersetzt hatte. Hieraus zitiert Hermann eine Stelle wo von einem im ersten Dekan der Jungfrau erscheinenden Mädchen die Rede ist, wodurch die Magi die Geburt Christi voraussehen konnten. Aus der vorausgesagten Jungfrauengeburt leitet Hermann die Voraussicht der Astrologen ab, die weit vor der Zeit Christi in der Zeit von Alexander dem Großen diese Zeilen niederschrieben.

Abu Ma´shars Werk erschien aber in Bagdad im Jahre 848 nach Chr.

 

Karl Bruckschwaiger

 

 

Nächste Sitzung 17. November 2021 – Aristoteles lesen

übernächste Sitzung 24. November 2021 – wieder Hermann lesen

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