τὸ μὲν οὖν αἰσθάνεσθαι ὅμοιον τῷ ... νοεῖν.

Das Wahrnehmen nun ist ähnlich dem ... vernünftigen Erfassen.

Aristoteles (De Anima III, 7: 431a)

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Montag, 4. April 2022

In der Metaphysik lesen * Hermann – Lektüre 11 (63vC - 64rD)

  

30. März 2022


 

In dem von mir vorgelesenen Abschnitt, der von Burnett mit „Art des Aufbaus“ übertitelt wurde, beschreibt Hermann die Schaffung der Sphären des Himmels. So beginnt der weiseste Handwerker zuerst mit dem Zeichnen von Linien und Kreisen, worauf dann diese Zeichnung zur Schaffung der ersten Sphäre herangezogen und umgebogen wird. Dabei bleibt eine unbewegte Achse und ein Wendepunkt in der Mitte als Ruhepunkt oder Anker bestehen, der auch die Bewegungen der Extremitäten beschränken soll. Allein aufgrund dieser Erwähnung des Unbewegtseins der Achse hat man das Gefühl, das hier eine Nachbildung des aristotelischen unbewegten Bewegenden vorliegen könnte, zudem, weil es heißt, dass diese Achse sowohl Anfang wie das Erhaltende als auch das Ende aller Bewegung wäre. Dazu wird von Hermann ein Satz aus der „Spaerica“ des Theodosios von Bithynien zitiert, den ich so übersetzt habe, „Alles bewegt sich über dieses, aber es selbst ist unbewegt.“

Daran moniert Walter Seitter das männliche Geschlecht des ipse und des hunc im lateinischen Original, was stimmt, aber ich war wohl noch im Eindruck des sächlichen „unbewegt Bewegenden“ gefangen und habe auch auf die englische Übersetzung geschaut, daher habe ich das Geschlecht verändert. Wenn sich Hermann auf den Wendepunkt (cardo) bezieht, so ist dieser im Lateinischen männlich, wenn er sich auf das Erhaltende (sustentaculum) beziehen würde, wäre es sächlich. Das Insistieren auf das falsche Geschlecht ließ mich etwas in Sorge ob der Qualität meiner Übersetzung geraten und ob ich geeignet wäre, damit fortzufahren.

Nach Überwindung der gröbsten Selbstzweifel war ich imstande im Text fortzufahren, es war die Bildung der zweiten Sphäre an der Reihe, die vom Schöpfer analog zur ersten mit einer Zeichnung begann, und darauf wird die Sphäre gebildet, die an der Innenseite der ersten Sphäre anstößt und zu dieser in einem spitzen Winkel geneigt ist. Hier macht Hermann eine kurze Bemerkung über Thelesmatiker, die eine andere Auffassung der geneigten Sphäre hatten oder diese gar nicht kannten, genaueres spricht er aber nicht an.

Die erste Sphäre ist mit der Autorität der Bewegung Desselben ausgestattet, während die zweite die Amtsgewalt über die Verschiedenen übertragen bekommt. Hermann nennt die erste Sphäre „Mutter von allem“ ohne weitere Gründe, man kann immerhin an das grammatikalische Geschlecht von sphaera denken, das weiblich ist. Damit Hermann die Hierarchie der Amtsgewalten auch absichert, stellt er noch fest, dass die erste Sphäre die Autorität über die ganze Verschiedenheit der anderen Bewegungen besitzt, und dass die Gleichförmigkeit und Abweichung der Kreisbahnen auch von der Astronomie bestätigt werden.

In dieser zweiten Sphäre befinden sich die tropica – Wendepunkte der Sternbilder und außerdem ist jeder Quadrant der Sphäre noch in drei Zwischenräume geteilt, in die dann die vier Samen der Verschiedenheit platziert werden. Darin wird Hitze und Trockenheit, seinen Naturen entsprechend, gemäß eines gleichseitigen Dreiecks, das in einem Kreis eingeschrieben ist, in der Sphäre verteilt. Die sich daraus ergebene Anordnung wird mit Figuren und Namen gekennzeichnet.

 

Es wird noch eine dritte Sphäre gebildet, die zwar von der zweiten Sphäre abhängig ist und damit auch von der ersten, zumindest was die Wirkkraft betrifft. Diese dritte Sphäre besitzt dennoch eine gewisse Selbständigkeit und Kraft. Es gibt auch einen Grund, der im Aufbau der Körper liegt, der im äußeren Extrem vollendet werden soll. Es ist nämlich so, dass ein Körper im Durchgang in der ersten Abgrenzung die lineare Essenz, in der zweiten Abgrenzung die flächige Essenz und in der dritten die fest-körperliche Essenz erhält.

Ich möchte hier einmal an die Bedeutung des lateinischen Wortes Dimension erinnern, das zweifache Vermessung heißt. In diesem Textabschnitt bewegen wir uns mit Hermann noch weitgehend im Bereich der Astronomie, und die Astrologie ist nur im Hintergrund spürbar als Wirkkraft, die durch alle Sphären strömt oder als Figuren im Wendekreis der Sternbilder. Noch dazu war die deutliche Trennung zwischen Astronomie und Astrologie zu dieser Zeit noch nicht vorhanden, sondern beides Aspekte eines gemeinsamen Betätigungsfelds. Die Astrophysik lag noch nicht in gedanklicher Reichweite.

 

Karl Bruckschwaiger

 

 

Nächster Termin: Aristoteles, Metaphysik XIII, ab 1079b, 13

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