Mittwoch, den 9. November 2022
Zu Beginn der Sitzung gab es ein Gespräch über Musik, insbesondere was notwendig sei, um Musik hören zu können. Zum einen bedarf es einen Körper der hören kann, der die Laute unterscheiden und aufnehmen kann. Während Maximilian einen tieferen und höheren Ton anstimmte, lenkte Walter die Diskussion auf die räumliche Metaphorik unserer Sprache über Musik. Wir sprechen von höher und tiefer, obwohl der räumliche Aspekt nicht in den Tönen liegt, sondern in unserer Gewohnheit, es derart einzuordnen. Vielleicht auch von der Notenschrift selbst herkommend, wo tiefere Töne weiter unten angeschrieben werden im Notationssytem. Aber ich bin nicht die Person, die dazu viel beitragen kann, denn, obwohl ich die räumliche Rede über die Töne verstehe, ist für mich die Tonhöhe nicht so leicht zu hören und ich muss darüber immer nachdenken, bevor ich es entscheiden kann, während für andere das fast intuitiv klar zu sein scheint.
Der vorgelesene Abschnitt aus „De Essentiis“ hat von Burnett den Zwischentitel „die verschiedenen Bewegungen der zweiten Zeugung“ erhalten.
Diese sekundäre Zeugung ist die universelle Bewegung des vergänglich Gezeugten. Das ist der Leitsatz dieses Abschnitts und von da aus beginnt Hermann mit den Aufteilungen und Differenzierungen der Bewegungen und des vergänglich Gezeugten, occidua genitura. Es beginnt mit einer Unterscheidung der Bewegungen in Verschiebung und Veränderung, alteritate. Während Verschiebung sich zwischen der ersten und zweiten Zusammensetzung abspielt, betrifft die Veränderung den Habitus und den Affekt. Hier auch wieder die Schwierigkeit Habitus so zu übersetzen, dass die Übersetzung zu den anderen Verwendungen im Text passt. Während sich Verschiebung auf das Entstehen und Vergehen von Körpern selbst bezieht, wie aus Materie durch Information eine Substanz hervorgeht, ist die Veränderung ein Ab- und Zunehmen von Quantitäten und Qualitäten, wobei auch Ort und Zeit eingeschlossen sind.
Wenn Hermann vom Habitus als einer Veränderung zwischen Extremen und Mittleren spricht und ein Verhältnis zu den Affekten herstellt, fühlt man sich deutlich an das 2. Buch der Nikomachischen Ethik erinnert, wo es heißt:
„Mit Dispositionen (hexis/habitus) schließlich ist das gemeint, kraft dessen wir den Affekten gegenüber gut oder schlecht disponiert sind.“[1]
Ross übersetzt habitus mit „state“, Burnett belässt habitus immer unübersetzt.
Im Deutschen übersetzt Dirlmeier hexis mit „Grundhaltung“, Gigon mit „Eigenschaft“, Rolfes mit „Beschaffenheit“ und Wolff mit „Disposition“.
Eine Regulation der Affekte durch eine ethische hexis oder habitus interessiert Hermann nicht so sehr, sondern eher der Ablaufplan der Zeugungen. So wird das vergänglich Gezeugte, in Imitation der Natur, die sie hervorgebracht hat, in dreifacher Anordnung/habitudine aufgestellt. Hier würde auch Disposition passen.
Die Dispositionen sind der Schoß der Mutter, im lateinischen Original steht: infra gremium parentis, im Schoß des Elternteils, parentis ist Singular, Walter plädiert zuerst für Mutter, dann für Gebärende, ist alles richtig. Die beiden anderen Dispositionen sind Ort und Zeit.
Womit wir beim Ort als eine der Bedingungen des sekundär Gezeugten wären. So spricht Hermann zunächst davon das Ort und Zeit als Quantitäten gefasst werden, nämlich des Raumes und der Bewegung. Es folgt eine Definition des Raumes, die stark an Körper und seine Grenzen angelehnt ist. Das erweckt das Interesse von Walter ganz besonders und er korrigiert meine Übersetzung auch dahingehend, und sie stimmt durchaus besser mit dem lateinischen Original überein. Sie lautet:
„Wir nennen einen Raum das ganze Intervall des Körpers, das sich zwischen seinen Grenzen erstreckt.“
Karl Bruckschwaiger
Nächste Sitzung: 16. November 2022
Aristoteles, 13. Buch, ab 1082b,24
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