τὸ μὲν οὖν αἰσθάνεσθαι ὅμοιον τῷ ... νοεῖν.

Das Wahrnehmen nun ist ähnlich dem ... vernünftigen Erfassen.

Aristoteles (De Anima III, 7: 431a)

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Samstag, 24. Februar 2024

In der Metaphysik lesen – Post-Protokoll II

19. Februar 2024

 

Dieses zweite Post-Protokoll könnte auch Para-Protokoll heißen, weil es zu den bisherigen regulären Protokollen mehr lateral hinzutritt: nicht von den Lektüre-Gesprächen auf dem Hohen Markt kommend, sondern von einem Gespräch in meinem „Montags-Café“ – nämlich dem Teehaus Haas & Haas hinter der Stephanskirche, welches Haus nach wie vor dem Deutschen Orden gehört und daher im sogenannten Volksmund auch „Deutsches Haus“ heißt; natürlich hat es auch einen engen örtlichen Bezug zur Stephanskirche, und wenn man im Sommer heraußen sitzen kann, hört man vor und um und nach Zwölf die Glockenschläge und das Glockenläuten dieser Kirche nach dem Glockengebimmel der Deutsch-Ordens-Kirche – also insgesamt eine Art Konzert, aber ein vormodernes, während dessen man nicht zu striktem Schweigen verpflichtet ist; und drittens hat das Teehaus – für mich – einen engen Bezug zu Conrad Celtis, dem einzigen in alten Zeiten gelehrt habenden Philosophen in Wien, dessen Epitaph an der Ostwand des Nordturmes, des halben, angebracht ist und in dem er zwar lateinisch, aber immerhin, sagt, er lebe immer noch.

 

Und in diesem Teehaus habe ich mich neulich mit Cezarina Sima getroffen, die ich vom Philosophencafé kenne.

 

Unser Gespräch ging von zwei unterschiedlichen Begrifflichkeiten aus: den sogenannten „Werten“, ohne die ein gutes Leben nicht möglich zu sein scheint, und dann von der Frage, ob es uns Menschen möglich sei, das „Wesen“ irgendwelcher Dinge zu erkennen, wo doch unsere Wahrnehmungen immer nur subjektiv ist.

 

Cezarina sagte, die Werte seien in uns und damit seien sie auch schon gegeben. Ich dazu: man sollte sie schon näher benennen, damit nicht jeder einfach auf „seinen“ Werten beharrt und gleichzeitig voraussetzt, die anderen Menschen hätten ohnehin dieselben Werte.

 

Um sie besprechbar zu machen, könne man unterscheiden zwischen verschiedenen Sorten von Werten: dem Angenehmen und dem Nützlichen und dem Edlen. Diese drei Gattungen des „Guten“ seien sehr unterschiedlich – aber alle drei seien „notwendig.“

 

 

Übergang zur „Wesensfrage“ - das „Wesen“ dieses oder jenes Dinges? Ist das eine „ontologische“ Frage. Ich: ja schon eher, aber wenn es sich um konkrete materielle Dinge handelt, vielleicht eine Frage der „Physik“. Aber eine, die man nicht unbedingt einem Physiker oder Chemiker vorlegt.

 

Eine, die man selber mit eigener Wahrnehmung und mit Umgangssprache zu beantworten versuchen kann.

 

Auf dem Kuchenteller liegt neben der kleinen Kuchengabel noch eine halbe Walnuß. Der Vergleich zwischen den beiden Dingen zwingt geradezu zur Vermutung, daß es sich um zwei ganz weit auseinander liegende „Wesen“ handelt, obwohl die beiden Dinge zu einem funktionalen nämlich gastronomischen Komplex zusammengehören.

 

Wie aber nun das Wesen der Nuß bestimmen, sagbar machen, welche Wahrnehmungsversuche anstellen mit ihr: anschaun, angreifen, in den Mund stecken, kauen, schmecken? Schmecken, ob sie gut schmeckt, so wie erwartet oder aber unerwartet steinhart oder fürchterlich grauslich schmeckend . . . . ?

 

Mit welchen Wörtern auf die Wahrnehmungen reagieren? Mit welchen „Wahrgebungen“? Wahrgebungen bilden den Gegenpol, den Reaktionspol, den Antwortpol zu Wahrnehmungen. Die verschiedenen Empfindungsqualitäten kann man halbwegs in Worte fassen. 

 

Aber das Wesen, das eine Spezielle dieses Dinges, seine Gesamtqualität – das Nußhafte? Kann ich immer nur das Wort „Nuß“ wiederholen, vielleicht mit leichten verbalen Abwandlungen umschreiben? 

 

Oder wir stoßen noch weiter vor zum „Eigentlichen“ und ersetzen die Was-Frage durch die Daß-Frage oder vielmehr durch die Daß-Antwort: das da ist!

 

Und dieses „Daß“ oder „Ist“ legt eine Reihe von verbalen Reaktionen aus, von Begriffen wie: Verhalten, Tätigkeit, Wirksamkeit. Beweglichkeit, nämlich Selbstbewegung.

 

Diese Begriffe haben mit dem Wesen der Nuß selber nichts zu tun, sie berühren eine andere Dimension, sie eröffnen sozusagen neben dem Wesen andere Modalitäten.

 

Eine Vielfalt von Modalitäten – auf die der Begriff „Ontologie“ tatsächlich zutrifft, der im 17. Jahrhundert von einigen nicht berühmt gewordenen Aristotelikern erfunden worden ist. Sie wollten damit eine von Aristoteles ausdrücklich „definierte“ aber nicht benannte „Wissenschaft“ benennen. Neben der viel besser bekannten Physik und Mathematik. Auch neben der von ihm sehr umfangreich ausgearbeiteten Logik – und in einem Naheverhältnis zu ihr.  

 

Und da spricht Cezarina, die diese aristotelischen Sachen so gut wie gar nicht kennt, das Wort „sprudeln“ aus, welches diese kleine Explosion von formalen Modalitäten neben dem Wesen, mit dem Daß, vielleicht auch mit dem Wie, und mit der Tätigkeit, beinahe lautmalerisch nachbildet. Denn das Sprudeln kann man auch hören, und wenn es seine Sichtbarkeit verstärkt, sieht man es glitzern. 

Zu den Begriffen, die sich da aufdrängen, gehört auch das Mögliche, natürlich das Eine und das Vielfältige.

 

 

Der Umschlag vom Was zum Daß – über das vermittelnde Wie: das ist nun wirklich ein Sprung, ein Ursprung, ein Katalysator der Ontologie, wo die Ausfaltung verschiedener Seinsmodalitäten anbricht, ausbricht, quasi vulkanisch.

 

Das Begriffsnetz, das Aristoteles von da aus aufgespannt hat, ist sehr umfangreich. Es taucht in dem Metaphysik genannten Buch immer wieder auf, wird weiter gesponnen. Immer wieder auf die Physik und auf die Mathematik bezogen – und davon abgesetzt.

 

Aber es wird auch von einer Dynamik angetrieben, die auf eine andere, sozusagen höhere Ebene verweist. Auf eine Ebene, die dann mit dem Wort „Gott“ bezeichnet wird - bei dem nämlich das Wesen selber Tätigkeit sein soll. 

 

Das Gespräch im Teehaus brachte innerhalb kurzer Zeit das Wort „sprudeln“ hervor - das war schon ein eine beachtliche Steigerung: nämlich ein Wort, ein sehr bekanntes, das etwas sehr Bekanntes bezeichnet: das „Sprudeln“ selber.

 

Walter Seitter

1 Kommentar:

  1. Danke für die Mühe, die Sie in die Gestaltung dieses Blogs gesteckt haben

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