τὸ μὲν οὖν αἰσθάνεσθαι ὅμοιον τῷ ... νοεῖν.

Das Wahrnehmen nun ist ähnlich dem ... vernünftigen Erfassen.

Aristoteles (De Anima III, 7: 431a)

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Mittwoch, 8. Januar 2025

De anima / Peri psyches 13 - 411a 26 – 411b 30

 

Protokoll vom 18.12.2024

411a 26 – 411b 30


Am 11. Dezember 2024 stellte Walter Seitter (per email) folgende Frage:

„Ist das Bewegen, das vom UB ausgeht (Metaphysik XII) eher ein psychisches oder physisches  - oder ein anderes?  Und wie geht es vor sich?“


Unsere Antworten (ebenfalls per email) lauteten, wie folgt:


  1. Karl Bruckschwaiger:


„Das Unbewegt Bewegende bei Aristoteles bewegt die Anderen auf psychische Art und Weise,

denn eine physische Fernwirkung wie die Schwerkraft konnte noch nicht benannt werden, obwohl sie jederzeit erfahrbar war und eine Bewegung hervorgerufen durch Raumkrümmung war in der aristotelischen Physik noch nicht vorgesehen.

Die bewegten Anderen müssen für psychische Beweggründe aber zugänglich sein, sie müssen wahrnehmen, wünschen und denken, und das Genießen und das Denken des Denkens des Unbewegt Bewegenden bewundern, sonst können sie nicht bewegt werden.“





  1. Sophia Panteliadou:


Das unbewegt Bewegende / Das erste Bewegende


Bei der Untersuchung der Fragestellung in Bezug auf die Bewegung in der aristotelischen Physik stellt sich zunächst die Frage (Phys. VIII 4): durch was (υπο τίνος κινεîται) wird etwas bewegt bzw. wofür/für was (δια τί;). Als Antwort dazu wird hier auf die Bewegungstendenz (die Physis) verwiesen. Das Anstoßprinzip wird als akzidentieller Beweger (κατα συμβεβηκός) bezeichnet. Dies widerspricht allerdings dem „großen Zusammenhang“ (Gustav A. Seeck) – ab 254b 12 wird nur noch von der Selbst-Bewegung (καθ’ αυτό) gesprochen.


Obwohl das erste Bewegende (UB) zunächst nicht als etwas, das von Natur aus existiert, gedacht werden kann, ist es vorerst in der Natur, denn die erste Bewegung hat ihren Anfang in der Natur und wird in den Naturwissenschaften erforscht.


Im Buch Θ der Physik wird schlussgefolgert, dass, nachdem das UB keine Teile hat und auch keine Größe ist, es als einziges eine unendliche Kraft repräsentiert; es ist Energie, die in endloser Zeit (sich-) bewegt. Interessant scheint hier zu sein, dass zum einen dieses beständige/kontinuierliche Merkmal von ‚Bewegung‘ der Naturphänomene in einem metaphysischen Ursprung fußt, und dass die Bewegung zum anderen eine Funktion in/der Natur ist.


Der transzendente Charakter des UB hängt damit zusammen, dass es Energie ist, die unendlich zur zyklischen Bewegung wird und, deren Ursprung sich an der Peripherie, d.h. an der äußeren Schicht des Alls, befindet.


Die Frage dennoch, die unbeantwortet bleibt, lautet: Wie ist es möglich, dass das immaterielle/stofflose (ohne Teile und Größe) UB sich am ersten Himmel (diese Schicht des Alls) befindet? Und, wie entsteht die Bewegung, bzw. wie funktioniert der Transfer der Bewegung zwischen immateriellen Substanzen?


Das erste Bewegende ist das Objekt des Begehrens (1072a 26 / ως ορεκτόν) und ebenfalls Objekt der Liebe (1072b 3 / ως ερώμενον). Nach Aristoteles wird somit das Begehrte als das Gute, das Immaterielle gedacht, als das unbewegte und unendliche Wesen und das Göttliche, welches dennoch erst durch menschliche Erfahrung erkannt werden kann. (Peri psyches, 433b 10-15). UB ist demnach Kraft und Energie in der Welt der Natur.“


Protokoll vom 18.12.2024


Peri psyches, 411a 26 – 411b 30


Die letzte Sitzung des vergangenen Jahres begann mit der Besprechung der oben erwähnten (a) und (b) Positionen. Darin ging es vor allem um die Bewegung als bewegende Kraft, als erstes Prinzip sowie um die Unterscheidungskriterien zwischen dem psychischen und dem physischen Bewegen. Es handelte sich im weiteren Sinn um die Positionierung von UB. Zuletzt nahmen wir Bezug auf mein Statement im letzten Absatz (siehe oben (b)). Darin betonte ich, dass erõmenon in Zusammenhang mit dem „Unbewegt Bewegende“ an dieser Stelle, und zwar da, wo das erste Bewegende als Objekt des Begehrens und der Liebe (1072a 26–1072b 3) vorgestellt wird, dieses ‚Bewegende‘ – im Kontext der Seele – eine rückbezügliche Bewegung supponiert; dies bedeutet, dass das erste Bewegende nicht nur als Objekt des Begehrens (1072a 26 – als orekton) und Objekt der Liebe (1072b 3 – als erõmenon) zu interpretieren sei, sondern, dass hierbei notwendigerweise die Position des Subjekts mitgedacht werden sollte – auch wenn dies an dieser Stelle nicht explizit eingeführt wird.


In Verbindung mit dem Akt und der Funktion von ‚bewegen‘ bezogen auf obige Debatte stellt Walter Seitter erneut die Frage: „Was ist ein psychisches Bewegen?“ und ebenfalls, „was ist ein physisches Bewegen?“ Bedeutet ‚bewegen‘, dass es sich dabei um eine Motivation handelt? Wir stellen verschiedene Versionen mit daraufbezogenen möglichen Variablen vor, wie: ‚überzeugen‘, ‚lieben‘, ‚zurücklieben‘, ‚weg-laufen‘, ‚zu-gehen‘‚ ‚durch Reden motivieren‘, ‚agieren‘, ‚reagieren‘ etc. Diese Bewegungen vom Ort A zum Ort B beziehungsweise vom Subjekt B zum Subjekt A können rückbezüglich sein – müssen aber nicht.


Als nächstes bemühen wir uns obige Fragestellungen bei der Lektüre der anschließenden Passage des gelesenen Textes einzubeziehen. Denn die Abschlussseiten des ersten Buches von Peri psyches könnten hier als Einleitung zum darauffolgenden Buch II interpretiert werden, nämlich in Bezug auf die zwei Charakteristika der Seele: Bewegung und Erkennen. Diese zwei werden schon hier eingeführt als Hinweis darauf, dass die Seele ein bewegendes Prinzip ist, und zwar bewegend durch Erkenntnis – hier greife ich etwas voraus.

Aber nicht nur das Erkennen ist Sache der Seele (411a 26ff), sondern ebenso das Wahrnehmen sowie das Begehren und das Wollen und überhaupt die Strebungen. Die Frage aber, die hier gestellt wird, lautet, gehört die Seele allen diesen Zuständen des Lebendigseins gemeinsam oder einer jeden der Eigenschaften getrennt voneinander? Und weiteres: Kann die Seele zerteilt werden, beziehungsweise, ist es möglich, dass einzelnen Körper- teilen/orten ein entsprechendes Stück Seele zukommt? Was passiert, wenn nicht nur ein Körperteil fehlt, sondern wenn ein Organ, wie beispielsweise das Herz, dem Körper entfernt wird, oder wenn das Gehirn zerstört wird?

Aristoteles‘ Intention an dieser Stelle des ersten Buches (411b 5–14) ist die Verwerfung des Gedankens einer Zerstückelung der Seele in Teilen und die Positionierung eines jeden Teiles in einem Körperteil, denn andernfalls würde die Suche nach dem Zusammenhalt ins Grenzenlose führen. Buchheim macht uns hier aufmerksam darauf, dass Aristoteles, diese Fragen im nächsten Buch beantwortend, konstatiert, dass „‚leben‘ (zên) in allen Teilen einer Seele und deren Vollbringungen enthalten ist (vgl. II 2, 413a 20–25).“ (Thomas Buchheim, Aristoteles, De anima, S. 99, Fn. 52).

Die Übersetzung der Textstelle 411b 25–27 scheint unterschiedlichen Text-Vorlagen nachzugehen. Hierbei folge ich der Interpretation von Ross, dementsprechend, die Beobachtung des hier beschriebenen Phänomens zeigt, dass weder die Teile der Seele voneinander unabhängig und autonom sein können noch, dass die Seele einer Teilung zugänglich ist. Demgegenüber verweist uns Buchheim allerdings an die Textstelle 413b 16–24 des zweiten Buches, wonach «in einem lebendigen Individuum die Seele „zwar der wirklichen Vollbringung nach nur eine, aber dem Vermögen nach mehrere“ sei.»

Am Ende kehren wir zur ursprünglichen Frage des heutigen Tages zurück, nämlich, ob das „unbewegt Bewegende“ (UB) die Welt motiviert, indem es alles, was in der Welt existiert, mühelos, pausenlos und beständig, d.h., kontinuierlich fortbewegt.

Walter Seitter schlägt vor, den Begriff „Animismus“ als parallelen Begriff zum UB in Verbindung mit der Beseeltheit der Natur mitzudenken, was – meiner Ansicht nach – vom aristotelischen Gedankengang wegführe. Der Gedanke jedoch das „U“ des UB in seiner Funktion als motivierend zu interpretieren, hängt dennoch mit dem bewegenden Prinzip zusammen. Das „U“ wird in diesem Kontext von uns zudem als Lust-realisierend gedeutet, was zu einem anderen Wissensbereich*) führt, und als „Lustprinzip“ definiert wird. „Lust“ und „Motivieren“ sind in unserer Diskussion die zwei Wörter, die wir mit dem psychischen und physischen Bewegen verknüpfen, und welche signifikant dem Wort Leben und dem Lebendigsein (to zên) zukommen.


(*) Auch in Lacans Schriften finden sich Gedanken, die unsere Diskussion über das UB bereichern würden. Wie beispielsweise: „Wenn wir Lustprinzip dies […] nennen, dass durch sein Verhalten das Lebendige stets auf die Stufe minimaler Erregung zurückkehrt, und dass dieses Prinzip seine Ökonomie regelt, […].“ Jacques Lacan, „Über einen Diskurs, der nicht des Scheins wäre“, Das Seminar, Buch XVIII, übers. v. Hans-Dieter Gondek, Turia + Kant, 2023, S. 21.)


Sophia Panteliadou

Wien, 05.01.2025





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