τὸ μὲν οὖν αἰσθάνεσθαι ὅμοιον τῷ ... νοεῖν.

Das Wahrnehmen nun ist ähnlich dem ... vernünftigen Erfassen.

Aristoteles (De Anima III, 7: 431a)

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Montag, 24. Februar 2025

De Anima / Peri psyches lesen 16 (414a 4 - 414b 19)

19. Februar 2025

414a 4  -    414b 19                                                                                                                                       


Aristoteles setzt seine feine ich will sagen analytische und geradezu erkünstelte Unterscheidungstätigkeit fort.

Er unterscheidet in dem Satzfragment  „wodurch wir leben und wahrnehmen“ zwei formale Aspekte und führt als Vergleichsbeispiele noch  zwei andere   „wodurch . . . . . “ an, die ebenfalls zwei Tätigkeiten betreffen: "wodurch wir wissen" und "wodurch wir gesund sind". 

Wissen tun wir (tun als Modalverb ist eine Spezialität der österreichischen Umgangssprache,  die Anglophonen praktizieren das  ständig) einerseits durch das Wissen, andererseits durch die Seele. Gesund sind wir einerseits durch die Gesundheit, andererseits durch den Körper.

Wissen bzw. Gesundheit  werden mit den Begriffen „Gestalt“, „Form“, „Begriff“, „Tätigkeit“ assoziiert. Damit wird „gesundsein“ sozusagen offiziell als ein „tun“ qualifiziert - was für den Wunsch nach Gesundheit   vermutlich eine sinnvolle Lektion darstellt. 

Der eingeschobene Satz, der mit dokei gar  beginnt und mit energeia  endet, ist mir nicht recht klar. Übersetzung von Krapinger: „Denn die Tätigkeit des Bewirkenden scheint ja dem davon Betroffenen  und dazu Disponierten innezuwohnen.“ (414a 12)

Dann aber Rückkehr zum eigentlichen Thema.

Die Seele ist das, wodurch wir leben, wahrnehmen und denken -  und gehört damit wie oben gesagt zur Ebene von Begriff und Form, nicht zu Materie und Zugrundliegendem.

Diese Unterscheidung wird sodann in eine sehr allgemeine Begriffsebene eingeordnet - mit der Aussage, das "Wesen wird dreifach ausgesagt“.

Die wiederum klingt wie eine Abwandlung des Grundsatzes der Ontologie - „Das Seiende wird vielfach ausgesagt“, mit welchem  Grundsatz eine Dimension der Ontologie initiiert wird: diejenige, die das Seiende in die Kategorien zerfällt, von denen eine das „Wesen“ heißt (die anderen sind die neun Akzidenzien).

Die drei Versionen des Wesens sind die Form und die Materie und die Verbindung der beiden. 
Der Materie entspricht die Möglichkeit, der Form die vollendete Wirklichkeit. 

(Möglichkeit und Wirklichkeit bilden eine weitere Dimension der Ontologie; neben dem Einen und den vielen; neben Entstehen und Vergehen) 

Und diese Verbindung nennt Aristoteles hier das Beseelte - folglich ist die Seele und nicht der Körper die vollendete Wirklichkeit. 

Die Seele ist die vollendete Wirklichkeit eines bestimmten Körpers - weshalb diejenigen, die annehmen, die Seele könne nicht ohne Körper sein, sei aber selber nicht Körper,  richtig annehmen. Aristoteles schreibt: „schön annehmen“  - denn bei den antiken Griechen war „schön“ ganz eng mit „richtig“ und „gut“ verbunden. 

Die Seele wohne in einem bestimmten Körper - und für den setzt Aristoteles hier auch das Wort „Phänomen“ ein, denn ein bestimmter Körper ist einer, der so oder so erscheint. Der Bezug zur Wahrnehmung läuft da immer mit - auch das wird von dem Gebrauch des Wortes „schön“ angezeigt. Andererseits entspricht genau das der Vernunft - hierfür steht da logos, also weniger ein Erkenntnisvermögen als vielmehr eine Proportion, die mehrere Größen auf einander bezieht. 

Was aber die Seelenvermögen betrifft, so sind einige bei einigen Lebewesen vorhanden - nicht bei allen. Ernährungs-, Wahrnehmungs-, Strebungs-, Bewegungs- und Denkvermögen kommen eher den Tieren zu, weniger  den Pflanzen. In der Wahrnehmung geht es um Lust und Schmerz - daher ist sie mit Wunsch und Begierde verbunden. Im Wahrnehmungsvermögen ist das Ernährungsvermögen enthalten - die entsprechenden Begierden sind der Hunger und der Durst, die auf Trockenes und Feuchtes, Warmes und Kaltes aus sind. 

Das Vorstellungsvermögen wird erst nachträglich erwähnt, seine Untersuchung aber auf später verschoben. Einigen Lebewesen wird das Denkvermögen und der Geist zugesprochen. Dianoetikon und nous.  Im Griechischen werden beide mit derselben Wortwurzel bezeichnet: das erste als Vermögen zu einer  Tätigkeit, die schrittweise vorgeht, der zweite als eher intuitives Vermögen: Vermögen zur noesis.

Diese beiden werden den Menschen zugesprochen und eventuell oder hypothetisch noch einem ähnlichen anderen Wesen, das noch ehrwürdiger ist - sofern es ein solches gibt. Damit wird wohl auf dasjenige Wesen  angespielt, das im Buch XII der Metaphysik zunächst vorsichtig aber dann doch fast enthusiastisch geschildert und sogar gefeiert wird. 

Dieses Wesen wird mit den Menschen zweifach verglichen: es sei ihnen ähnlich und und sei noch ehrwürdiger. Es ist also von einer ungefähren Gleichheit die Rede und von einer Steigerung. 

Pflanze, Tier, Lebewesen, Mensch, Gott - mit solchen Wörtern, die keineswegs von Aristoteles erfunden worden sind, werden  Realitätssorten  bezeichnet (nicht Seinsmodalitäten  wie Wesen, Akzidenz, Möglichkeit, Wirklichkeit, ein, viele). 

Walter Seitter
                                                                                                                                                           


Dienstag, 4. Februar 2025

De Anima / Peri psyches lesen 15 - ( 412b, 10 – 413a, 10)

 

Mittwoch, den 22. Jänner 2025


In diesen Abschnitt wechselt Aristoteles von der Erörterung der Seelenvorstellung seiner Vorgänger zu seinen eigenen Bestimmungen in einer fließenden Bewegung.

Die Seele ist die Vollendung eines natürlichen, werkzeughaften Körpers (ein an entelecheia he prote somatos physikou organikou), eigentlich die erste Vollendung (prote) sagt Aristoteles zwei Sätze vor unseren Einsatz und damit ist gesagt, dass die Seele die Substanz (ousia) im Sinne des Begriffs ist (kata ton logon). Man könnte meinen das sein und Vollendung Verschiedenes sein könnten, aber hier ist es im eigentlichen Sinn (to kyrios) die Vollendung. Dieses Was-es-hieß-dies zu sein (to ti en einai) kann nicht der Begriff oder die ousia eines solchen Körper wie das eines Beils sein, sondern der Begriff eines natürlichen Körpers, der das Prinzip von Bewegung und Stillstand in sich trägt.

Der natürliche Körper kann auch ein Teil eines Körpers sein, für das Auge wäre die Sehkraft die Seele, denn diese ist die ousia des Auges. Die Sehkraft ist griechisch opsis, hier macht Walter Seitter einen Exkurs in die Übersetzung der -sis Wörter in deutsche -ung Wörter, indem Falle wäre es die Sehung, was aber nur bei der Vorsehung noch gebräuchlich ist. Das Erstaunliche bei solchen morphologischen Konstruktionen ist, das sie zwar ungewohnt, aber durchaus verständlich sind.

Aristoteles bewegt sich von der Betrachtung eines Teils des Körpers zurück zum gesamten wahrnehmungsfähigen Körper zum sich die Wahrnehmung verhält wie ein Teil zum anderen. Nur der Körper, der dem Vermögen nach lebendig ist, besitzt eine Seele. Dieser so bestimmte Körper, dem Vermögen nach ist auch der Same und die Frucht.

Diesmal mache ich selbst eine Zwischenbemerkung, dass sich Charles Darwin in seinen letzten Werken mit dem Bewegungsvermögen der Pflanzen beschäftigt hat, und in diesem Werk auch die Reaktion von Wurzelspitzen auf Reize beschrieb und dahinter so etwas analog wie Gehirne niedriger Tiere setzte. Er nahm hier ein Seelenvermögen an, das heute wieder in der Pflanzenneurobiologie rehabilitiert wurde.

Das Wahrnehmungsvermögen führt zum Wachsein des Körpers und damit zur Vollendung wie die Sehkraft zur Vollendung des Auges führt, sind die Seele und der Körper das dem Vermögen Seiende und eigentlich nicht trennbar. Nun sind einige Teile des Körpers abtrennbar, aber die Seele bleibt nicht in Ihnen. Aber auch einige Seelenteile sind vom Körper abtrennbar, weil Sie nicht Vollendungen eines Körpers sind.

Zum Schluss dieses Absatzes fragt sich Aristoteles, ob die Seele auf solche Weise Vollendung eines Körpers ist, wie der Seemann die Vollendung eines Schiffes ist. Damit ist wohl das Steuern und Bewegen eines Schiffes gemeint, aber der Seemann kann das Schiff verlassen und wieder betreten, kann das die Seele auch mit dem Körper oder ist Wiederbetreten eines Körpers nicht ein unewünschtes Wiedergängertum.


Karl Bruckschwaiger