τὸ μὲν οὖν αἰσθάνεσθαι ὅμοιον τῷ φάναι μόνον καὶ νοεῖν.

Das Wahrnehmen also ist ähnlich dem bloßen Aussagen und dem vernünftigen Erfassen.

Aristoteles (De Anima III, 7: 431a)

* * *

Mittwoch, 14. Mai 2025

De anima / Peri psyches lesen 21 - (416b 31 - 417a 21)

 

7. Mai 2025



Nach der Verlesung des Protokolls  vom 23. April 2025 (verfaßt von Rudolf Kohutek)  spreche ich die Erwartung aus, daß dieses Aristoteles-Seminar nicht nur die wunderbare Gelegenheit bietet, Griechisch (gemeint ist Altgriechisch) zu lernen, wofür es hier bereits einige Beispiele gibt, sondern auch Deutsch.  Und probeweise  stelle ich die Frage, was ein Protokoll eigentlich ist:  was denn „protokollieren“ als Tätigkeit ist.  Anstatt Wikipedia zu befragen, erwarte ich Antworten von denen, die hier oder sonstwo schon protokolliert haben.  Eine erste Antwort kommt von Maximilian Perstl,  der sich an seine Pfadfinder-Zeit erinnert.  Auch bei den Pfadfindern  wird Protokoll geführt.


Bei uns bestehen die Protokolle darin,  daß jemand, der an einer Sitzung des hiesigen philosophischen Seminars  teilgenommen hat, so eine Sitzung protokolliert.  Protokollieren heißt: das, was in einer Sitzung stattgefunden hat, in seinen Grundzügen schriftlich dokumentieren. Es wird hier nicht Aristoteles protokolliert - wie sollte das gehen? 

So eine Definition geben können ist bereits ein Anfang  von Philosophieren. Die Bereitschaft bzw. Fähigkeit,  von jedweder Entität (Protokoll, Lust . . . . ) eine ordentliche Begriffsbestimmung vorzuschlagen und dann diskussiv weiter zu verfolgen, gehört zur Kernkompetenz des Philosophen. Und so eine Kompetenz zu lehren und zu üben - dazu ist jede philosophische Lehrveranstaltung, auch diese hier, verpflichtet.  

 Bei uns besteht eine Sitzung aus der gleichzeitigen Anwesenheit von ca. drei oder mehr Personen  mitsamt Vorlesen, Anhören, Lesen, Fragen und Antworten; möglicherweise  heftigem Diskutieren, eventuellen Empörungen  - sowie Vereinbarungen. Daran nehmen alle teil.

Eine Sitzung ist ein örtlich und zeitlich bestimmtes Zusammensein bestimmter Personen. Also ein physisches Ereignis mit psychischen sowie noetischen   Bestandteilen.  

Ein  derartiges Protokollieren impliziert immer auch, daß der Protokollführer zumindest indirekt sich selber mitprotokolliert: denn  er war ja dabei. Unvermeidliche Selbstimplikation. 

Unser derzeitiger  Lesegegenstand, nämlich das aristotelische Buch „Über die Seele“, bringt es mit sich, daß die Selbstimplikation uns auch von diesem Gegenstand, also vom aristotelischen Text nahegelegt wird.  Denn zu den beseelten Wesen, die da Thema sind, gehören hauptsächlich wir Menschen,  und dieser Tatbestand kommt denn auch auch im jüngsten Protokoll mehrfach zum Ausdruck, indem es sich ironische oder kritische Anmerkungen erlaubt beziehungsweise auf moderne Disziplinen wie Psychologie oder Psychoanalyse verweist. 

Aus der erwähnten Selbstimplikation ergibt sich, daß strikte Selbstlosigkeit keinen Platz hat  - die  wäre ja schlicht und einfach Untätigkeit.

Die Protokolle dienen  dazu, gegen das Vergessen anzukämpfen. Man mag sich vielleicht noch an den ersten Satz der Metaphysik erinnern, der von einem Streben aller Menschen nach Wissen spricht. Ein philosophischer Leser dieses Satzes ist ein aktiver und er fragt sich, ob der Satz auch auf ihn zutrifft. 

Mit dem Abschnitt 5 wendet sich Aristoteles dem Wahrnehmungsgeschehen zu. Und der  Frage,  wieso ohne äußere Dinge keine Wahrnehmung zustandekommt.  Wieso sie dermaßen von anderen Dingen abhängig ist - also nicht autark ist. Damit kommen wir zur Möglichkeit der Halluzination - die ist wohl nicht abhängig von äußeren Dingen und sie mag sich selber für Wahrnehmung halten.  Ist aber keine.   

In Anlehnung an das Motto der Hermesgruppe (III, 7, 431a), wo eine trianguläre Vergleichung zwischen Wahrnehmen und Denken und Sagen vorgenommen wird, fragen wir uns, ob man die vier kognitiven Tätigkeiten Wahrnehmen, Vorstellen, Denken, Sagen in dieser Reihenfolge dahingehend charakterisieren kann, daß mit ihnen die Abhängigkeit von der Außenwelt mehr und mehr abnimmt. 

Der aristotelische Text greift auf Stücke aus der Ontologie zurück, die in anderen Schriften entwickelt worden sind: Unterschied zwischen Aktivität und Passivität und Unterschied zwischen Vermögen,  Verwirklichung und Vollendung. 

Und er appliziert sie nun auf einen Tätigkeitsbereich,  der uns als Mitwirkenden an einer philosophischen Veranstaltung nicht fremd sein dürfte.

Es ist der Tätigkeitsbereich, den ich ein bißchen lateinisch als den „kognitiven“ bezeichnen würde, also denjenigen, in dem es um Erkenntnis geht. 

Aristoteles drückt sich so aus, daß er   "den Menschen" zu denjenigen Wesen zählt, die Wissen bzw. Wissenschaft besitzen. Ich nehme an, wir zählen uns sehr wohl zu diesen Wesen, auch wenn wir geneigt sind, den Besitzanspruch nicht zu hoch zu hängen. 

Und er konkretisiert diese Aussage dadurch, daß er diese Qualifizierung  durch die Beherrschung   der  „Grammatik“  - also Schreibkunst - bestimmt. Mein Übersetzer Gernot Krapinger schreibt:  Schreiben und Lesen. 

Seit dem 20. Jahrhundert nach Christus nennt man das eine „Kulturtechnik“  - der Besitz von Wissen (oben war die Rede vom Streben nach Wissen)  wird damit technisch materialisiert und auf eine  historisch-geographische  bzw. biographische Kontingenz zurückgeführt - Schulbildung oder nicht. (Aristoteles sieht hier wieder eine Abhängigkeit von äußeren Umständen - also die  oben vermutete zunehmende Unabhängigkeit setzt sich nicht auf allen Linien durch).

Der Wissende,  der die dritte Stufe, die Stufe der Vollendung erreicht hat, ist derjenige, der „dieses A da“ genau versteht. 

Was ist mit dem gemeint?  Irgendeine zufällige Entität - wie oben durch „Protokoll“  oder „Lust“ exemplifiziert.  Aber wie zeigt jemand, daß er „Protokoll“ oder „Lust“  genau versteht?  Nicht dadurch, daß er behauptet, er verstehe sie. So einfach ist es nicht. Aristoteles behauptet zwar, das Verstehen selber sei einfach,  aber das Zeigen ist etwas anderes: nämlich ein Wahrnehmbar-Machen. Die Sache mit anderen Worten umschreiben. 

Und das Zustandekommen eines einfachen Verstehens ist schon gar nicht einfach. Es beruht darauf, daß durch Lernen vom Nicht-Wissen zum Wissen übergegangen worden ist, oder aber vom Rechnen- und Schreiben-und-Lesen-Können zum wirklichen Ausüben dieser Fähigkeiten. 

Und das dazugehörige Erleiden - also Passivsein - sei einerseits eine Vernichtung (das griechische Wort „phthora“  wird von meinem Übersetzer richtig wiedergegeben)  des vorherigen Zustandes,  andererseits "eher ein Bewahren“ des Vermögens zur Vollendung. Man könnte sagen: eine Steigerung des Vermögens zur vollkommenen Leistung. 

Da wir hier ein philosophisches Seminar sind, füge ich eine naheliegende philosophiehistorische Assoziation ein und ipso facto protokolliere ich sie gleich: diese aristotelische Zusammenfügung von gegensätzlichen Bestimmungen ist von G. W. F. Hegel in dem einen deutschen Wort „Aufhebung“  wiedergefunden und wieder formuliert worden.

Wo man Wissenschaft hat, kommt es zu dem, was Aristoteles „Anschauung“ nennt und worin er keine Veränderung sehen möchte - sondern eine Zugabe oder Steigerung in Richtung auf sich selber oder auf Vollendung oder eben eine andere Art von Veränderung. Man könnte sagen, Aristoteles sucht nach Worten - findet aber nicht gleich welche. Er ist so einer wie wir. 

Analog meint er, das Denkende verändere sich nicht, indem es denkt - so wie der Bauende sich während seiner Bautätigkeit nicht verändert - denn er bleibt ja ein Bauender.

Wo das Denken und Überlegen aus der Möglichkeit zur Vollendung übergeht, sei nicht das Wort „Belehrung“ angebracht, da sei nach einer anderen Benennung zu suchen.

Wenn man aus dem Zustand der Möglichkeit heraus lernt und unter dem Eindruck von Realitäten beziehungsweise von guten Lehrveranstaltungen  Wissen gewinnt, so soll man das nicht Erleiden nennen -  oder man soll zwei Arten von Veränderung unterscheiden: Umschlag in Privationen oder aber Umschlag in Richtung Haben und Natur. Sobald ein Wesen gezeugt ist,  verfügt es über Wahrnehmung wie über Wissen. Das Denken liegt bei einem selber, wann immer man will; das Wahrnehmen hingegen ist davon abhängig, daß Dinge  da sind, die wahrgenommen werden:  einzelne und äußerliche; und das gilt auch für die "Wissenschaften von den wahrnehmbaren Dingen“ (das sind die von Aristoteles bevorzugten). . 

Es darf hier noch angemerkt werden (der Protokollschreiber schreibt das Protokoll ein paar Tage nach der Sitzung, und da kann er im Text noch etwas sehen, was zur Sache gehört), daß Aristoteles hier von seiner professionellen Erkenntnistätigkeit spricht - und dabei das Wort „Philosophie“ durchaus vermeidet. Eher ordnet er sie den Wissenschaften zu. 

Wir dürfen darüber nachdenken, wie wir es damit halten wollen.










Freitag, 2. Mai 2025

De anima / Peri psyches lesen - 20/2 ( 415b 15 – 416b 11)

Aristoteles – 23. April 2025 – Protokoll

[ Karl ist entschuldigt / verhindert. Nächstes Treffen: Mittwoch 7. Mai 2025 ]



Vorbemerkungen (RK):

[ Zunächst möchte ich einen Rückblick auf bisherige Ausführungen zur Bestimmung der Seele geben. Dabei gehe ich zurück an den „Anfang der Untersuchung“: S. 75 / Zeile 23: ]

Unterscheidung „Beseeltes“ / „Unbeseeltes“ im Hinblick auf »Lebendig-Sein«: dabei gibt es „vielfache Weisen von Lebendig-Sein“:

- „Vernunft“

- „Wahrnehmung“

- „Ortsbewegung“

- „Stillstand“

- „Nahrungsaufnahme“

- „Schwinden und Wachstum“ – „in die entgegengesetzte Richtung wachsen und schwinden“ / „nach oben“ / „nach unten“ / „gleichmäßig in beide Richtungen und nach allen Seiten“ / „und zwar fortwährend“

Um „lebendig zu sein“ genügt bereits eine dieser „Weisen“.

Diese „Weisen“ werden als „Vermögen“ bzw. als „Prinzip“ bestimmt.

Dazu kommt noch, dass bei diesen „Entitäten“ einzelne Weisen „abgetrennt“ werden können / was aber bei den „sterblichen Lebewesen unmöglich“ ist.

Dabei wird noch unterschieden: „Lebendig zu sein kommt also allem, was belebt ist, durch dieses Prinzip zu; Lebewesen (zu sein) aber zuerst durch die Wahrnehmung“.

Und als erste Wahrnehmung kommt allen (Lebewesen) der Tastsinn zu.“

[ jetzt werden Beispiele, einzelne Fähigkeiten dieser „Vermögen“ sowie Kombinationen aufgeführt... ]

Tastsinn“ / „Tastwahrnehmung“ haben alle Lebewesen.

Und es wird noch einmal präzisiert und gebündelt: „Die Seele ist Prinzip dieser genannten Tätigkeiten und ist durch diese definiert als Ernährungsvermögen, Wahrnehmungsvermögen, Denkvermögen oder (Orts-) Bewegung.“ (bis 413b)

Ob aber jedes einzelne davon Seele ist oder Teil der Seele, und wenn es Teil ist, ob es auf solche Weise (Teil ist), dass er nur dem Begriff nach abtrennbar ist oder auch dem Orte nach, ist bei einigen von ihnen nicht schwer zu sehen, bei manchen bereitet es aber Schwierigkeiten.“

Und immer weiter: „Wahrnehmung, dann auch Vorstellung und Strebung. Denn wo es Wahrnehmung gibt, dort gibt es auch Schmerz und Lust. Und wo es diese gibt, gibt es notwendig auch Begierde.“ (bis Zeile 24)

[ Skeptisch war ich bezüglich der Einbeziehung der „Vernunft“, aber dazu kommt jetzt noch eine kritische Anmerkung: ]

Über die Vernunft und das Vermögen der theoretischen Betrachtung ist noch nichts klar, es scheint aber eine andere Gattung von Seele zu sein, und diese allein scheint abgetrennt werden zu können, so wie das Ewige vom Vergänglichen.“ Wie auch die Unterscheidung von „Wahrnehmen“ und „Meinen“.

Die „Verschiedenheit unter den Lebewesen“ ergibt sich daraus, ob alle oder nur einzelne „Vermögen“ zutreffen. „Wissenschaft“ und „Seele“ sind zu unterscheiden. (414a, Zeile 7)

Und nach einigen Beispielen jetzt die subtile Unterscheidung: „Die Seele ist aber das, wodurch wir primär lebendig sind und wahrnehmen und denken – sie dürfte folglich eine Art Begriff und Form sein, nicht aber Materie und das Zugrundeliegende.“ (bis Zeile 14)

[ Hier folgen Aussagen zu Körper und Seele, auf die man schon dringend gewartet hat: ]

Da, wie wir gesagt haben, die Substanz auf dreifache Weise ausgesagt wird, nämlich erstens als Form, zweitens als Materie und drittens als das aus beiden Zusammengesetzte, wovon die Materie Vermögen und die Form der Vollendung ist, (und) da das aus beiden Zusammengesetzte Beseeltes ist, ist nicht der Körper die Vollendung der Seele, sondern sie ist (die Vollendung) eines bestimmten Körpers.“ (Zeile 19)

Und deswegen liegen diejenigen richtig, die meinen, die Seele existiere weder ohne Körper noch sei sie ein bestimmter Körper; denn sie ist kein Körper, sondern etwas des Körpers, und deswegen kommt sie im Körper vor, und zwar in einem Körper von bestimmter Beschaffenheit.“ (bis Zeile 22)

Und nicht so wie die früheren Philosophen sie in einen Körper einfügten, ohne zusätzlich zu bestimmen, in welchen und von welcher Beschaffenheit, obgleich es nicht einmal den Anschein hat, dass jedes Beliebige Beliebiges aufnimmt. So aber ergibt es Sinn: Denn die Vollendung eines jeden Dinges kommt von Natur aus in das dem Vermögen nach Vorhandene und die ihr geeignete Materie hinein. Dass die Seele also eine Art von Vollendung und Begriff dessen ist, das ein Vermögen hat, ein solches zu sein, ist hieraus klar.“ (S. 81, bis Zeile 28)



Kapitel 3: Hier werden die verschiedenen „Vermögen der Seele“ gebündelt und kurz abgehandelt:

- „Ernährungsvermögen“,

- „Strebevermögen“,

- „Wahrnehmungsvermögen“

- „Vermögen zur Ortsbewegung

- und „Denkvermögen.“ (414a, bis Zeile 33)

[ Ausgehend von diesen fünf elementaren Vermögen der Seele werden sie nun auch „psychologisch“ bezeichnet in der Richtung, wie sie mehr als 2000 Jahre später in der Psychoanalyse kulminieren: hier zunächst aber nur in den Begriffen Strebung, Begierde, Mut, Wunsch, Lust, Leid. ]

Aber auch die unmittelbarer physiologischen Seiten werden genannt: Wahrnehmung der Nahrung, Tastsinn, trocken/feucht, kalt/warm, Schall, Farbe, Geruch/Geschmack. (414b, bis Zeile 13)

Und nun die begrifflichen Logiken der Figuren der Vermögen. (414b weiter 415a)

[ Dies kulminiert in „Überlegung und Denken“, wobei die betreffende „theoretische Vernunft“ hier aufgeschoben wird. In Andeutungen und Beispielen werden aber kurz begriffslogische Fragen erörtert, aber auch die Spezifitäten der einzelnen „Vermögen“ für sich genommen und im Zusammenhang. ]

[ Das ausführlichere Kapitel 4 setzt methodisch / logisch ein: ]

Es ist notwendig, dass derjenige, der über diese (Seelenvermögen) Untersuchungen anstellen will, von jedem einzelnen von ihnen herausfindet, was es ist, und dann bei den anschließenden und den übrigen weiterforscht. Wenn es aber nötig ist anzugeben, was jedes einzelne von ihnen ist, etwa was das Denkvermögen ist oder das Wahrnehmungsvermögen oder das Ernährungsvermögen, so ist vorher noch anzugeben, was das Denken und was das Wahrnehmen ist. Denn die Wirklichkeiten und Tätigkeiten sind dem Begriff nach früher als die Vermögen. Wenn sich dies aber so verhält und man noch vor diesen deren Gegenstände betrachtet haben muss, so soll man diese aus demselben Grund vorher eingeteilt haben, wie Nahrung, Wahrnehmungsgegenstand und Denkgegenstand.“ (S. 87/89, Zeilen bis Ende 414b)

[ Aber dabei darf das „Göttliche“ nicht zu kurz kommen: ] „Lebewesen“ bzw. „Gewächse“, „damit sie am Ewigen und am Göttlichen teilhaben, soweit es ihnen möglich ist. Denn alle (lebendigen Wesen) streben nach jenem (Göttlichen), und um seinetwillen tun sie alles, was sie von Natur aus tun.“ (415b...)

[ Damit endet hier aber auch schon der Ausflug ins „Göttliche“: ]

Die Seele ist Ursache und Prinzip des lebendigen Körpers.“

[ Aber damit ist es nicht genug: ]

Diese werden jedoch auf vielfältige Weise ausgesagt. Und ebenso ist die Seele dreier der unterschiedenen Weisen Ursache:

- Sie ist das Woher der Bewegung,

- das Worum-willen,

- und auch als die Substanz der beseelten Körper ist die Seele Ursache.“

[ 415b, Zeilen 10 usw., und immer schön »philosophisch«, mit einem Verweis auf Fehleinschätzungen von Empedokles – und am ausführlichsten zur Nahrung – 415b und 416b ]

- [ Schlicht: ] „(...) Deswegen kann man ohne Nahrung nicht existieren.“

- [ Und in etwas lausiger ›philosophischer‹ Diktion: ]Die Nahrung aber stellt das für das Wirklich-Sein Erforderliche bereit.“ (416b, 20)

[ Bei solchen Sätzen kann ich mir Aristoteles nicht anders als listig über die Köpfe der Zuhörer*innen blinzelnd vorstellen ... ]

[ Das hindert aber nicht daran, dass ] „die Verdauung durch Wärme bewerkstelligt wird“ [ was gelegentlich zur Gasbildung führt... ]

[ mit der weitreichenden Schlussfolgerung: ] „Deswegen hat alles Beseelte Wärme.“ (Zeile 29)

[ Durchaus findig wird nun das Kapitel 5 eröffnet – mit Überlegungen zur „Wahrnehmung“: ]


Sitzung vom 23. April 2025

Walter erinnert daran, dass das Protokoll bald nach jeder Sitzung verfasst und verteilt werden sollte: (1) eine Zusammenfassung des gelesenen Abschnitts von Aristoteles und (2) wichtige Ausführungen, die nicht direkt zum Text gehören.

Im Zentrum des Abschnitts 416a steht die Nahrung: Der Seele wird das Vermögen zur Ernährung und zur Zeugung zugeschrieben. Teils empirisch, teils kategorial ergibt sich die Frage, inwiefern sich „Gleiches durch Gleiches ernähre“ (416a, Zeile 30), oder umgekehrt „sich das Entgegengesetzte durch Entgegengesetztes ernähre“, „da Gleiches von Gleichem nicht affizierbar sei, die Nahrung aber einen Umschlag bewirke und verdaut werde und der Umschlag für alle Dinge in den entgegengesetzten Zustand bzw. in den dazwischenliegenden verlaufe. (416b)

Ferner erleidet die Nahrung etwas von dem, was sich ernährt, dieses aber nicht von der Nahrung ist (...).“ (Fortsetzung 416b)

Insofern sie (die Nahrung) nämlich unverdaut ist, nährt sich das Entgegengesetzte durch das Entgegengesetzte, sofern sie aber verdaut ist, das Gleiche durch das Gleiche, so dass klar ist, dass beide auf gewisse Weise recht haben und nicht recht haben.“ (Zeile 7 bis 9).

Die Schlussfolgerungen daraus sind aber nur zum Teil abgeleitet und verständlich: „Da sich aber nichts ernährt, was nicht am Leben teilhat (?), dürfte der beseelte Körper das Sich-Ernährende sein, insofern er beseelt ist, so dass auch die Nahrung im Verhältnis auf ein Beseeltes, und zwar nicht auf akzidentielle Weise.“ (Zeile 10-13)

[ Kurze Ausführungen und Argumente sind schon in obigen Absätzen umrissen... – Hier sind die Schlussfolgerungen mehr oder weniger einsichtig bzw. kryptisch: ]

(...) Es (das Beseelte) bewahrt nämlich seine Substanz und besteht so lange, wie es sich ernährt; und es ist auch fähig, Zeugung zu bewirken, nicht vom Sich-Ernährenden, sondern von einem, das so ist wie das Sich-Ernährende; seine eigene Substanz existiert ja bereits, und nichts erzeugt sich selbst, sondern erhält sich (nur).“ (Zeile 13 bis 18)

Folglich ist das derartige Prinzip der Seele ein Vermögen, das seinen Besitzer erhält, insofern er ein solcher ist. Die Nahrung aber stellt das für das Wirklich-Sein Erforderliche bereit. Deswegen kann man ohne Nahrung nicht existieren. Da es aber dreierlei gibt, das Sich-Ernährende, das, wodurch es sich ernährt, und das Nährende, so ist das Nährende die erste Seele, das Sich-Ernährende der sie besitzende Körper und das, wodurch er sich ernährt, die Nahrung.“ (bis Zeile 23)

[ Diese unterschiedlichen physiologischen Beschreibungen von Vorgänge bzw. Abhängigkeiten könnten auch wie eine Metaphorik der Seele erscheinen. ]

[ Im folgendem Kapitel 5 werden dann – ohne Übergang – Wahrnehmungen angesprochen, die dem näher kommen, wie die Seele spätestens seit dem 19. Jahrhundert thematisiert worden ist... ]

Parallel zum Text von Aristoteles wurde eine ganze Reihe von Kommentaren und Assoziationen angesprochen:

- Für das „Soziale“ erinnert Walter an den griechischen Begriff „socein“ (?) im Sinn von Retten und Erhalten. „Erhalten“ als „weiter Existieren“.

- Aus Anlass von Ostern: Was musste da von Jesus „gerettet“ werden?

- „Rettung“ findet statt, wenn etwas (Schädliches) passiert ist...

- Für den Hunger ist das Essen die Rettung.

- Unbeseelte Körper werden als „Ding“ bezeichnet. Aber der Stein hat keine Seele.

- Walter erinnert daran, dass es auch den „Animismus“ gibt, der alles beseelt. Im Animismus wird auch der Stein beseelt sein!

- Die Skala von Mensch – Pflanze – Sein, bzw. von „niedrigeren“ Lebewesen (innerhalb einer ganzen Reihe von Tierarten).

- Aristoteles geht dabei auch auf die Pilze ein...

- Von Vorgängen / Prozessen geht es dann zu Wörtern und ganzen Sätzen...

- „Tiere haben eine Seele“ / und der Einwand, dass dies alles (auch) Sprachregelungen sind.

- Walter geht zurück zur Grundfrage: Was meinen wir mit „Seele“? Die katholische Seele... Die christliche Seele hat eine Heilsgeschichte. Etwas ist glücklich/fraglos gegeben; Schritt 2 ist ein Unheil, auf das im Schritt 3 die „Rettung“ antwortet ...

- Bei Aristoteles gibt es erste Brücken zur „psychoanalytischen Seele“ (siehe oben).

- Aristoteles kennt keine „Sünde“. Sünde bzw. „Schuld gegen jemanden“ setzt ein „Ich“ voraus.

- Zeugen – Erhalten – Retten

- Es gibt dabei immer das „Vorhergehende“: Der Zeugende muss selbst gezeugt worden sein. Die „Gebärende muss geboren worden sein“...

- Zeugung / männlich – weiblich ...

- „insofern“ ist eine Worterfindung von Aristoteles (Walter)

- „als ob“ mit starken Anklängen an Heidegger (Sophia)

- Walter: „Ernährung ist die Einverleibung eines Fremdkörpers“ (z.B. Brot).

- Daran schließt sich eine kurze skeptische Diskussion zu „Nahrung“ an: eine „Nahrung verschlingen“ / Walter abstrakter: „einen anderen Körper“...

- Das geht über in die Polarität „passiv – aktiv“. In diesem Sinne wäre „das Gegessene“ passiv – und wird dann aktiv ...

- Walter: Fragen zur „ersten Seele“ (Kapitel 4, Zeile 22). Die Seele in ihrer niedrigsten Form / unterste Seele / „primäre Seele“



[ ENDE PROTOKOLL / Rudolf Kohoutek ]



 

De anima / Peri psyches lesen - 20 ( 415b 15 – 416b 11)

De anima / Peri psyches lesen  19 ( 415b 15 – 416b 11)

23.April 2025


Wir haben soeben gelesen (415b 8ff.), dass die Seele eine Art physis ist, die
verantwortlich für die Art und Weise, wie ein Lebewesen ist, zeichnet, und ist somit
ursächlich für das Sein. Im ersten Buch der aristotelischen Metaphysik (A, Kap. 3) wird
konstatiert, dass es vier mögliche Arten gibt, wonach die Ursache [aition]
unterschieden werden kann: zunächst werden ‚die Substanz‘ sowie das ‚Was es war
zu sein‘ genannt ( – „das Sosein […], denn das Warum wird zuletzt auf den Begriff der
Sache zurückgeführt, Ursache aber und Prinzip ist das erste Warum“ – Übersetzung
v. Hermann Bonitz), zweitens die Verbindung mit dem ‚Stoff‘ und das ‚Zugrunde-
liegende‘, zum dritten kommt es auf das ‚Woher‘ (der Anfang der Bewegung) an und
viertens handelt es sich um das letzte Ziel, das Weswegen [oû éneka] und das Gute
[tágathón] – denn dies ist das Ziel [télos] allen Werdens und der Bewegung.
Von dieser Stelle der Abhandlung (Peri Psyches, Buch II, 415b 15) an sowie in den
nächsten Zeilen wird die Funktion von Seele als letzter Zweck (oû éneken)
hervorgehoben. Aristoteles führt hier eine Analogie zum Tun des ‚nous‘ ein, der gemäß
der Natur eines Dings / einer Sache agiert – denn das Ziel seiner Natur ist das Ding
selbst / die Sache selbst. Ebenso geschieht es in Verbindung mit der Seele, nachdem
das letzte Ziel für die Lebewesen die Verwirklichung der Seele, ihrer Natur nach, ist.
An diesem Punkt der Analyse stellt sich eine Differenzierung in Bezug auf das letzte
Ziel heraus und dies findet in zweifacher Hinsicht statt: zum einen ‚um dessen Wille‘
[to te oû] etwas geschieht und zum anderen ‚um wessen Willen‘ [to ô] es geschieht
(415b 21), oder anders gesagt, es handelt sich bei der Formulierung ‚oû éneka‘ (415b
20 f.) sowohl um das ‚Ziel‘ als auch um dies, wofür es ‚Ziel‘ ist. In Folge wird betont,
dass die Körper nur ein Werkzeug der Seele seien, denn die Seele ist die originäre
Ursache der Bewegung in Bezug auf den Ort. (415b 22), was allerdings nicht allen
lebenden Wesen zukommt – wie beispielsweise den Pflanzen und manchen anderen
Lebewesen. Hier haben wir eine interessante Wendung in Bezug auf die
Wahrnehmung. Nach Aristoteles gibt es keine ‚aisthesis‘ (Wahrnehmung) ohne die
Teilhabe der Seele, zudem ist Wahrnehmung eine Art der Veränderung (415b 24) und
Veränderung ist bekanntlich eine ‚Bewegung‘ (vgl. oben, dritte Ursachen-Bedeutung).
In einem kritischen Exkurs zur Empedokles‘ Lehre betreffend das Wachsen der
Pflanzen, entwickelt Aristoteles im Kontext der Nahrungsaufnahme seine eigene
Position in Bezug auf die Stofflichkeit, Schwere, Leere, Wachstum und Schwinden.
Auch an diesem Koinzidenzpunkt stellt sich heraus, dass die Seele Ursache des
Wachsens und Nährens ist und aus diesem Grund unternimmt der Philosoph den
Versuch herauszuarbeiten, in welcher Hinsicht ‚Seele‘, ‚Ernährung‘ und ‚Zeugung‘
zusammenhängen. Zwischen den verschiedenen Umwandlungsformen oder der
Wechselwirkung zwischen den Materialien – Nahrung / Genährtes oder Baustoff /
Tischler. Von Bedeutung scheint hier der Wandel aus Passivität zur tätigen Handlung
zu sein und beide Formen werden notwendigerweise den Lebewesen
beziehungsweise den beseelten Körpern zugesprochen. (416b 2-11).

Sophia Panteliadou