τὸ μὲν οὖν αἰσθάνεσθαι ὅμοιον τῷ φάναι μόνον καὶ νοεῖν.

Das Wahrnehmen also ist ähnlich dem bloßen Aussagen und dem vernünftigen Erfassen.

Aristoteles (De Anima III, 7: 431a)

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Mittwoch, 10. Dezember 2025

De Anima / Peri psyches lesen 29 – (422b 17 - 423b 7)



Protokoll vom 26. November 2025



Nach dem Verlesen des Protokolls vom 12.11.2025 haben wir lange über die verschiedenen Wahrnehmungsebenen diskutiert, die im Kapitel 10 thematisiert werden.

Es wurde über die Frage nach dem Verhältnis zwischen Wahrnehmendem und Wahrgenommenem debattiert sowie darüber, ob die Wahrnehmung von den Objekten, die wahrgenommen werden, abhängig ist – wie es von Aristoteles behauptet wird – oder doch von den wahrnehmenden Lebewesen.

Die Dinge werden (bei Aristoteles) sozusagen von sich aus wahrgenommen, d.h., die Wahrnehmung ist vom außenkommenden Ding abhängig und wird nicht (wie heute) intentional aufgefasst. Die Soziologie, zum Beispiel, bezieht sich – wie Manfred Russo betont – vor allem auf die ‚Intention‘ der Wahrnehmenden.

In diesem Kontext haben wir uns auch mit Fragen über den Begriff der Distanz, über das ‚Innen‘ und ‚Außen‘ und das ‚Wie‘ Distanz beschaffen sein muss bzw. kann, auseinandergesetzt – diese hängt vom Wahrnehmungssinn ab. ‚Licht’ ist beispielsweise das Dazwischenliegende beim Sehen.

(Wie im letzten Protokoll erwähnt wurde, vertritt Aristoteles die These, daß die Distanz durch etwas Dazwischen-Liegendes ausgefüllt sein muß – durch etwas jeweils Bestimmtes: beim Sehen durch das Licht, beim Hören durch die Luft).

Walter Seitter hebt den Aspekt der Kategorienaufzählung hervor. Aristoteles zählt die Qualitäten auf: Schmeck- Riechqualität / scharf, ölig, etc. Geschmack ist in diesem Zusammenhang ein abstrakter Begriff und Schmeckqualitäten sind höhere Abstraktionsstufen.

Diskussion:

K. Bruckschwaiger: „Beim Schmecken kommt die eigene Intention dazu“.

S. Panteliadou: „Die Fähigkeit des Schmeckens, also die Schmeckqualität ist die Voraussetzung dafür“.



Walter Seitter stellt daraufhin die Frage, ob diese Betrachtungsweise in die Philosophiegeschichte eingegangen sei.

Karl Bruckschwaiger stellt fest, dass dies im ‚Sensualismus‘ zu finden sei und verweist ebenfalls auf das 12. Buch der Metaphysik und den Bezug auf die ‚pure Lust‘ und das ‚Genießen‘.

Das Verbinden von Abstraktion mit den konkreten Formen der Wahrnehmung (z.B. das Prinzip der ‚Entelecheia‘ mit dem ‚Wie die Dinge bewegt werden‘) wird von M. Russo als herausragend charakterisiert, ein Gedanke, dem alle Anwesenden ebenfalls zustimmen.

Nach der ausführlichen Besprechung des Geschmacksinns gingen wir zur Lektüre des 11. Kapitels des II. Buches (422b 17) über.

Darin handelt es sich um den Tastsinn, beziehungsweise wie es bei Thomas Buchheims Übersetzung heißt, es geht um die Rede von der Berührung und dem Berührbaren.

Aristoteles fragt zunächst, ob alles, was über das Berührbare (Ding) gesagt wird, auch für die Wahrnehmung der Berührung gilt, nämlich, ob die Wahrnehmungen des Tastens mehrere sind.

Denn in Bezug auf die ‚Berührung’ gibt es eine Schwierigkeit betreffend die Fähigkeit des Berührens und das Organ, womit berührt werden kann. Aristoteles geht anfangs davon aus, dass das ursprüngliche Organ etwas sei, das sich im Fleisch befindet. Was könnte dies aber sein? Ist damit das Fleisch als Organ oder das Fleisch als Medium gemeint?

Diese Frage wird von Aristoteles selbst einige Zeilen danach (422b 23) beantwortet. Da heißt, dass jede Wahrnehmung sich auf einen Gegensatz zu beziehen scheint: das Sehen bezieht sich auf das Weiße und das Schwarze, das Hören auf die Höhe und Tiefe und der Geschmackssinn bezieht sich auf das Schmecken des Bitteren und Süßen.

Hierzu wurde bei unserer Diskussion die Feindifferenzierung zwischen ‚laut‘ und ‚leise‘ bzw. die topologisch innere Struktur beim Hören erwähnt und bezüglich des Sehens wurde auf Goethes Farbenlehre und die Komplementärfarben (Rot-Grün, Blau-Orange) verwiesen.

Wie verhält es sich aber bei der Wahrnehmung der ‚Berührung’? Aristoteles betont an dieser Stelle, dass im Unterschied zum Sehen oder Hören in Bezug auf das Berührbare mehrere Gegensätze existieren, wie beispielsweise: warm-kalt, trocken-feucht, hart-weich u.a.. Eine zusätzliche Qualität, welche die Wahrnehmung der ‚Berührung‘ auszeichnet, finden wir in der aristotelischen Schrift „Über Werden und Vergehen" / „De generatione et corruptione“; da stellt der Philosoph fest, dass erst durch die ‚Berührung‘ ein Wirken (poiein) oder ein Leiden (paschein) möglich sei. (322b 22-24).

Die Grundfrage in der aktuellen Lektüre lautet jedoch, „was ist beim Vermögen des Berührens das Eine, welches dies ermöglicht?“ (vgl., 422b 33). Die Frage, ob das Wahrnehmungsorgan, bei der Berührung, sich im Inneren des Fleisches befindet – sozusagen zwischen Knochen und Haut – oder außerhalb desselben bzw. direkt das Fleisch ist, bleibt an dieser Stelle unbeantwortet.

Auch dann, wenn ein Teil des Körpers durch eine künstlich angefertigte Haut umspannt wäre, würde die Wahrnehmung der Berührung unsichtbar bleiben – sagt

Aristoteles –, im Unterschied zu den Sinnen des Sehens, des Hörens, des Riechens, bei welchen ersichtlich ist, dass es sich um einen Wahrnehmungssinn handelt.


Aus dieser hypothetischen Annahme wird gefolgert, dass das Fleisch in diesem Fall nur das Medium sein müsste; die Fragestellung somit in Bezug auf die Berührung selbst bleibt im Moment unklar (423a 11-12) – d.h. ob mehrere Wahrnehmungen mit dem Begriff Berührung bezeichnet werden können oder nicht.

Ein beseelter Körper kann nach Aristoteles nur etwas Festes sein und nicht allein aus Luft oder Wasser bestehen – alle Körper sind Mischungen bestehend aus den vier Elementen: Erde, Wasser, Luft und Feuer.

Daraus schlussfolgert Aristoteles, dass der Körper notwendigerweise das Dazwischen (to metaxy) – das Medium – für die Fähigkeit des Berührens sein muss, denn er ist physisch mit den Organen verbunden, die für die Funktionen der Berührung zuständig sind. Dass das Wahrnehmungsorgan mehrere Funktionen haben kann, wird deutlich anhand des Beispiels „Zunge“ – mit der Zunge kann man schmecken und berühren –, aber nicht umgekehrt.

Die Funktion der Umkehrung ist hier wesentlich, denn daraus ergibt sich, dass die zweifache Fähigkeit nicht bei allen Organen vorhanden ist. Und, dass, damit solch eine Wahrnehmung erfahrbar ist, nicht allein das Zusammentreffen des wahrnehmbaren Gegenstands mit dem Wahrnehmungsorgan vorweg bedingend dafür ist, sondern dabei ebenso das Dazwischen notwendig ist, das Medium. Für den Tastsinn oder die Wahrnehmung der Berührung ist das Medium (vielleicht) das Fleisch.

Die Formulierung der folgenden Aporie stellt uns vor dem nächsten Problem: Ist es möglich, dass sich zwei Körper berühren, die sich im Wasser befinden? Dies ist nach Aristoteles unmöglich; und das Gleiche gilt auch im Falle der Luft. Denn, genauso wie es nicht leicht erkennbar ist, dass, wenn ein nasser Körper im Wasser sich mit einem anderen nassen Körper berührt, dazwischen – zwischen den zwei Körpern – sich etwas Anderes befindet, ebenso nimmt man dieses Dazwischen auch bei den anderen Sinnen (oder beim Element Luft) nicht leicht oder notwendigerweise wahr.

Die Härte zum Beispiel oder das Weiche bei einem Gegenstand können wir auch mittels eines anderen Dings empfinden / wahrnehmen, z.B. durch einen Stoff hindurch. Das Laute, das Sichtbare und das Riechbare nehmen wir aber aus einer Entfernung wahr und deswegen bleibt das dazwischen-Liegende unbemerkt.

In Wirklichkeit, stellt Aristoteles hier schlussfolgernd fest, nehmen wir alles nur durch ein Medium wahr (aisthanometha ge πάντων dia tou mesou / 423b 7), auch wenn wir dies nicht immer merken.



Sophia Panteliadou

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