Wir versuchen, über den Abstand des Sommers hinweg, zusammenzufassen, was wir im ersten Halbjahr 2011 in der Metaphysik gelesen haben. Es waren ja nur rund ein Dutzend Seiten, aber gewisse Eigentümlichkeiten dieses Buches konnten wir schon feststellen – vor allem im Vergleich zur vorher gelesenen Poetik. Dort heißt es gleich im ersten Satz, daß von der Dichtkunst gehandelt werden soll, womit ein Gegenstand genannt ist und außerdem bereits ein Titel für das Buch selbst formuliert ist. Die sogenannte Metaphysik hingegen beginnt mit einer weittragenden Behauptung über das Wissenwollen der Menschen und fährt dann fort mit der Unterscheidung zwischen verschiedenen menschlichen Erkenntnisformen, kommt dann zum Begriff der Wissenschaft, wobei Wissenschaft mit Ursachenforschung gleichgesetzt wird.
Aber welche Wissenschaft nun hier gemacht werden soll, das wird noch immer nicht klar, jedenfalls nicht über eine Angabe des Gegenstandes der „gesuchten Wissenschaft“. Deren Bestimmung wird eigentlich durch eine „typisch griechische“ Attitüde vorangetrieben: die Ehrsucht, das Streben nach Bestheit, die Suche nach dem Superlativischen. Dieses sei, so Ivo Gurschler, nach Gregory Bateson ein Kennzeichen der abendländischen Zivilisation. Ein berühmter Text, in dem es zum Ausdruck kommt, ist das Höhlengleichnis von Platon, wo einer die gewohnte Lebenswelt durchbricht, einen bisher unbekannten höchsten Gegenstand aufsucht, nämlich die Sonne ... Noch entschiedener, nämlich apriorischer wird der höchste Gegenstand in der monotheistischen Religion vorausgesetzt, angenommen, verkündet. Die jüdisch-biblische und die griechisch-philosophische Superlativambition haben, indem sie miteinander verknüpft worden sind, die abendländische Superlativsucht hervorgebracht.
In den ersten Abschnitten der Metaphysik geht die Suche nach dem Superlativ langsamer vor: zunächst geht es „nur“ um die Suche nach der wichtigsten Wissenschaft und über die kommt auch die Suche nach dem höchsten Gegenstand in Gang.
Daß Wissenschaft Ursachenforschung ist, sieht man in der aristotelischen Physik. Deren Gegenstände sind die Körper (Plural!) und jeder Körper hat vier Ursachen – die sich wiederum auf zwei Verursachungsweisen aufteilen: Natur oder Kunst (außerdem evt. noch automaton oder tyche).
In der gesuchten Wissenschaft, die zunächst „Weisheit“ genannt wird, geht es um die Ursachen von „allem“, vom „Ganzen“, man kann auch sagen vom „Kosmos“. Gleichzeitig wird angenommen oder postuliert, daß diese Ursachen eher wenige sein sollen, womöglich eine letzte Ursache oder wie man damals lieber gesagt hat: eine bzw. die erste Ursache. So sieht es zum Beispiel bei Thales aus: das Wasser als die eine Ursache von allem. Dieser und andere Vorschläge werden von Aristoteles kritisiert und zwar mittels der physikalischen Ursachenlehre, wonach es mehrere Ursachenarten gibt: da genügt die Ursachenform, zu der das Wasser gehört, nicht.
Er argumentiert also mit seiner „pluralistischen“ Ursachenlehre, außerdem hält er auch an der „pluralistischen“ Realitätsauffassung fest, die seine Physik kennzeichnet. Also was seine Gegenstandsbestimmung betrifft, so will er nicht „mit einem Sprung“ zum Einen.
Es scheint, daß Aristoles der Ursachenforschung den Vorzug vor der Wesensbestimmung gibt. Diese beiden Suchrichtungen kann man ja in der Philosophie unterscheiden. Doch Aristoteles entzieht sich gewissermaßen dieser Unterscheidung, da bei ihm das Wesen eine der vier „Ursachen“ ist: die Formursache. Sein Ursachen-Begriff ist flexibel oder „analog“; schon die deutsche Übersetzung „Ursache“ erschwert das Verständnis dafür.
Walter Seitter
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen