τὸ μὲν οὖν αἰσθάνεσθαι ὅμοιον τῷ ... νοεῖν.

Das Wahrnehmen nun ist ähnlich dem ... vernünftigen Erfassen.

Aristoteles (De Anima III, 7: 431a)

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Sonntag, 9. November 2014

Buch V, archai-Bestimmungen


Philosophische Wörterbücher bilden ein wichtiges, wenngleich nicht übermäßig prominentes Genre innerhalb der philosophischen Literatur: mehr nützlich als „wichtig“.

Es lassen sich da sehr unterschiedliche Sorten unterscheiden. Es gibt die „allgemeinen“ philosophischen Wörterbücher und da tauchen in letzter Zeit solche auf, welche die faktische Polyglottie (und Globalität) der Philosophie nicht nur implizit zur  Kennntnis nehmen bzw. akzeptieren, sondern sogar als Problem thematisieren.

Zwei solche sind Pierre Legendre (Hg.): Tour du monde des concepts (Paris 2013); B. Cassin, E. Apter, J. Lezra, M. Wood (Hg.): Dictionary of Untranslatables. A Philosophical Lexicon (Princeton 2014).
Speziellere Wörterbücher beziehen sich auf einen einzigen Autor: solche gibt es etwa zu Heidegger, zu Foucault usw.

Noch spezieller sind Wörterbücher, die nur ein einziges Werk aufschließen. Ich nenne „Hermes“ die Personen, die ein philosophisches Wörterbuch über ein philosophisches Buch machen: analytische Hermeneutik. Und Aristoteles macht so etwas innerhalb des Buches, auf das sich das Wörterbuch bezieht, in dessen V. Buch: er ist sein eigener und immanenter Hermes. In diesem Fall wird das Begriffsregister, das in Sachbüchern häufig an den Schluß gestellt wird, zu einem richtigen Text ausgeweitet und mitten ins Buch gestellt – hier eben als 5. „Buch“ (innerhalb von 14 Büchern).
Er beginnt mit dem Begriff arche – wahrscheinlich nicht, weil er gemäß der alphabetischen Reihenfolge der erste ist (er wäre das nicht, wenn aletheia (Wahrheit) auch vorkäme, was aber nicht der Fall ist). Sondern eher, weil er ein für die „Metaphysik“ sehr passender Leitbegriff ist – und spezifischer als der Begriff aition (Ursache) (dieser wäre der erste Begriff in der alphabetischen Folge, tatsächlich kommt er als zweiter). Und semantisch steht gerade er der Bedeutung „erstes“ nahe. Die Metaphysik ließe sich vielleicht als Wissenschaft vom Ersten oder von den Ersten definieren. 
Die Art und Weise, in der dieser Begriff eingeführt, das heißt erläutert, exemplifiziert, analysiert wird, läßt allerdings zunächst gar nicht an Metaphysik denken, eher schon an Physik und auch da bezeichnenderweise nicht an sogenannte wissenschaftliche Physik, sondern an deskriptive, phänomenologische, durchaus immanente Nennung von Teilen von Sachen, auch von recht banalen Sachen. Ausdrücklich werden zuerst immanente Teile, Bestandteile, Elemente genannt. Dann geht er über zu archai, die transmanent wirken und unserem Begriff „Ursache“ näherkommen. Was der Autor selber später bestätigt, indem er die Ursachen zu einer Teilmenge (oder Subspezies) der archai erklärt.

Nach den ersten höchst unterschiedlichen – vom Physischen zum Politischen und Logischen reichenden – Arten von archai-Bestimmungen und -Beispielen nimmt Aristoteles einen zweiten Anlauf, indem er nur mehr mit Allgemeinbegriffen verschiedene Sorten von archai nennt. Und wiederum spannt er das Spektrum weit auseinander, indem er psychische Leistungen ebenso nennt wie Qualitäten, die geeignet sind, zu motivieren und auf diese Weise „erste zu sein“, d. h. zu bewegen, zu „herrschen“. Es ist offensichtlich, dass die genannten archai über die Physik hinausreichen. Weniger klar ist, dass sie ausgerechnet das Gebiet der „Metaphysik“ definieren. Vielmehr reichen sie in die Logik, in die Psychologie, die Ästhetik und Ethik und Politik hinein.
Die Ästhetik berührt Aristoteles mit der arche „Schönes“. Aber ein Wörterbuch für die Ästhetik hat er damit nicht zu machen beansprucht. Wenn im 20. und 21. Jahrhundert ein siebenbändiges Wörterbuch Ästhetischer Grundbegriffe kein Stichwort „Farbe“ aufweist, dann zeigt es allerdings, dass es von Ästhetik sehr wenig weiß (wahrscheinlich ist es zu wenig „aristotelisch“, oder „positivistisch“ oder „österreichisch“).

Walter Seitter


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Sitzung vom 5. November 2014 

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