Unsere Lektüre der Metaphysik – sie steht
jetzt schon im vierten Jahr – hat m. E. bereits ein beachtliches Resultat,
besser gesagt: Zwischenresultat, erbracht. Nämlich daß wir die beiden
postaristotelischen Begriffe „Metaphysik“ und „Ontologie“ als
Disziplinbezeichnungen übernehmen und unterscheiden und auf Aristoteles
zurückbeziehen, also gewissermaßen „rearistotelesieren“, und zwar sie
zuvörderst auf das Buch Metaphysik zurückbeziehen (obwohl wir bisher nur
Buch I bis IV gelesen haben). „Metaphysik“ nennen wir die Suche nach den
„ersten Prinzipien und Ursachen“, sofern sie über die physische Realität
hinausgehen: eine Suche, die in den ersten Büchern mehrmals angekündigt wird
und die in den letzten Büchern ausgeführt werden wird. „Ontologie“ hingegen das
immanentistische Insistieren auf den Bestimmungen des Seienden als solchen,
also aller Seienden: eine Richtung, die im Buch IV programmatisch angekündigt
wird, allerdings nicht sehr ausführlich abgehandelt wird. Da sie als
Fortsetzung der Kategorienlehre angesehen werden kann, können wir uns von ihr
doch eine bestimmte Vorstellung machen.
Wenn wir in Betracht ziehen, daß Aristoteles der
Mathematik zwar einen Platz unter den theoretischen Wissenschaften zuweist,
ihre theoretische Bedeutung jedoch nicht hoch einschätzt (im Unterschied zu
Platon), können wir die theoretischen Wissenschaften aristotelisch so gliedern:
Physik (Zweite Philosophie)
Ontologie (Erste Philosophie)
Metaphysik (Erste Philosophie)
Wobei hinzugefügt werden muß, dass in die Physik
auch andere aristotelische Bücher hineinreichen: insbesondere die zoologischen,
biologischen wie De anima und ebenso die kosmologischen.
Die Disziplinen Physik und Metaphysik sind jeweils
zwei großen Bereichen der Realität – dem hiesig-irdischen und dem
anderswo-anderswie gelegenen – zugeordnet, während die Ontologie
durchgehend-gemeinsamen Bestimmungen von Realität überhaupt nachforscht.
Unsere Lektüre des Buches Metaphysik hat
bisher weitgehend auf Sekundärliteratur verzichtet – und das hat gar nicht
geschadet, weil man so leichter ein eigenes Sehen entwickelt. Aber diese
Abstinenz muß nicht unbedingt beibehalten werden – es kommt ja nicht nur auf
Eigentlichkeit an, sondern mehr noch auf Fülle und Genauigkeit des Sehens.
Daher weise ich jetzt auf zwei Einführungen in
Aristoteles hin, die als Taschenbücher erschienen sind:
Thomas Buchheim: Aristoteles (Freiburg 1999)
Buchheim eröffnet mit einer ausführlichen Darlegung
der Logik, vor allem der Syllogismus-Lehre und betont dann, dass die
Kategorienlehre von der Logik in die Ontologie kippt. Die Metaphysik behandelt
er dann sehr zögerlich, ja zweifelnd – weil er den Begriff „Ontologie“ nicht
mehr einsetzt, der es ihm gestatten würde, innerhalb der Metaphysik zu
unterscheiden. Sehr erhellend dann, wie er die Physik als das Hauptstück der
aristotelischen Theorie behandelt – mit der physis als Grundbegriff.
Auch Ethik, Politik, Rhetorik und Poetik werden gut verständlich gemacht.
Wolfgang Detel: Aristoteles (Leipzig 2005)
Detel liefert eine noch detailliertere Einführung
in die Syllogistik und dann eine Gliederung der theoretischen Wissenschaften,
die der meinigen nahekommt: Physik, Theologie, Biologie. Unter „Metaphysik“
behandelt er die Konstitution der Substanzen (die so gut wie alle hiesig-irdische
sind). Aufschlußreich seine Ausführungen zu Ethik und Politik sowie zu
neoaristotelischen Strömungen, wo er mit Popper, Kripke, Putnam auch an die
Analytische Philosophie rührt (dazu meine Bemerkung, dass Aristoteles selber
eher ein analytischer Typ denn ein kontinentaler ist).
Dieses Stichwort führt mich in die Richtung der
„indirekten“ Sekundärliteratur zu Aristoteles, von der es eine Menge
hervorragender und berühmter Bücher gibt – etwa von Hannah Arendt. Ich möchte
aber noch einmal auf die gegenwärtigen Vertreter der Analytischen Philosophie
hinweisen, welche die Ontologie häufig noch deutlicher thematisieren als die
Aristoteles-Forscher: so Barry Smith, Christian Kanzian, Uwe Meixner (übrigens
gehörte mit Gustav Bergmann (1906-1987) ein Mitglied des Wiener Kreises zu den
Initiatoren der neueren Ontologie, vor allem durch seinen Schüler Reinhardt
Grossmann (1931-2010)).
Die französische Zeitschrift Le Magazine
Littéraire stellt in ihrer neuesten Ausgabe einige französische
Aristoteles-Editionen und -Forscher vor (Frankreich war in dieser Hinsicht
bisher nicht übermäßig aktiv). Pierre Pellegrin spricht davon, daß die
angelsächsichen Kollegen mit ihrem biological turn einen neuen Zugang
zum Werk Aristoteles’ eröffnet hätten. Er selber: „Aristoteles ist grundlegend
ein Biologe, er denkt als Biologe.“ Und sozusagen korrigierend dagegen:
Aristoteles vertritt keine Einheitswissenschaft, sondern „unterschiedliche
Rationalitäten“. Also ein „Anti-Reduktionist“.[1] Francis Wolff bezieht sich
auf den von uns gelesenen Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch und betont, daß
A sehr wohl B widersprechen könne, dabei aber sich selber nicht widersprechen
solle bzw. dürfe.[2] Sehr interessant Florence
Dupont, deren anti-aristotelisches Buch (gegen die Poetik) wir seinerzeit
beachtet haben: Aristoteles habe die griechische Tragödie zwar gekannt, sich
aber entschlossen, unter diesem Titel etwas ganz Anderes zu beschreiben, ja
vorzuschreiben: eine zu lesende Story.[3]
Zuletzt verweise ich auf den Fernsehfilm Alexander
der Große – wie er wurde, was er war (2010), von Martin Carazo Mendez, in
dem Aristoteles’ Rolle als Lehrer des jungen Prinzen recht gut dargestellt
wird: eindringlich, diskutierend,
ernsthaft, nicht übermäßig schulmeisterlich.
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