Nachtrag zur
Privation: Gianluigi Segalerba kommt auf Met. IV zu sprechen, wo die
vielfältige Aussagung des Seienden als Seienden zum Prinzip einer bestimmten
Wissenschaft, nämlich der ersten Philosophie, erklärt wird, und zu dieser
Vielfältigkeit gehört auch die Negation. Folglich sind auch Gegensatz und
Privation Sache derselben Wissenschaft. Es geht um die Frage, wie weit die
Mannigfaltigkeit reicht, die von einer Wissenschaft zu behandeln ist. Und
welche Mannigfaltigkeit dann von anderen Philosophien, einer zweiten oder
dritten, beziehungsweise von anderen Wissenschaften zu behandeln ist. Met. IV,
1004 a 2: Es gibt ebenso viele Teile der Philosophie wie es Wesen gibt. Sobald
es sich um ein anderes Wesen handelt, ist eine andere Wissenschaft am Zug. Aber
die Seinsmodalitäten eines einzigen Wesens sind Sache einer Wissenschaft, wie
weit sie auch auseinanderklaffen mögen. Um zwei Seinsmodalitäten aus Met. IV,
1003b 8 herzuzitieren: der „Weg ins Wesen“ einer Stadt und die „Zerstörung“
einer Stadt sind Sache der Politikwissenschaft, denn die Stadt ist ein Wesen.
Setze ich aber das Seiende als solches als „Wesen“, dann gehört die
Untersuchung zur ersten Philosophie (oder zur Ontologie). Steht die Stadt als
„anderes Wesen“ für das, was ich einen „Realitätsbereich“ nenne, oder einen
„Sachbereich“?
Gesche Heumann
fragt, ob etwa die Religion im Wörterbuch eine Erwähnung findet. Eher nicht.
Doch findet sich eben im Abschnitt 23, Met. IV, 1023a 20, die typisch
griechische Bemerkung, dass der Titan Atlas den Himmel trage (damit der nicht
herabstürzt): ein augenscheinlich existierendes, ein natürliches Phänomen (nämlich
das Atlas-Gebirge in Nordafrika, am Eingang zum Atlantik) wird personifiziert
und mit einer übergroßen kosmologischen Leistung betraut. Und die Antwort ist
ebenso typisch aristotelisch: die Dichter machen Atlas den Himmel halten: die
Religion wird auf die Dichter zurückgeführt (in diesem Fall ist es Hesiod);
Aristoteles antwortet nicht gläubig sondern religionswissenschaftlich. Die
Religion wird herbeizitiert und durch und durch wissenschaftlich analysiert.
Diese Religion war es, die auf ihrem Boden alle Wissenschaften (auch die
Philosophie) hat emergieren lassen. Und sie bleibt auch bestehen, wenn sie
aufgeklärt wird. Alle diese Aspekte sprechen für jene Religion und dafür, dass
so eine Haltung durch philosophische Diskussion wieder gestärkt wird – Bruno
Latour arbeitet in dieser Richtung.
Ein guter
Text? Eher nicht. Aber ein reichhaltiger.
In diesem Stil
geht es weiter in Abschnitt 24: aus etwas sein. Erste Bedeutung: aus einem
Material sein; die rein logische Unterscheidung zwischen erster Gattung und
letzter Art führt zu Wasser und Erz (die Gemeinsamkeit liegt beim Schmelzen);
würde man bei der ersten Gattung näher nachschauen, stieße man auf die drei
anderen „Elemente“ Erde, Luft, Feuer; diese vier ersten Körper wandeln sich
ineinander um; ihnen liegen die Eigenschaften warm-kalt, trocken-feucht
zugrunde; und ob darunter noch eine „erste Materie“, eine unwahrnehmbare und
nicht getrennt existierende, tatsächlich von Aristoteles angenommen wird, ist
umstritten. Mit so einer spekulativen Konstruktionsüberlegung befindet man sich
an einem Gegenpol zur eben erwähnten Berg-Verehrung und auch da dürften sich
Anschlüsse an gegenwärtige Diskussionen finden lassen.
Zweite
Bedeutung: aus etwas, nämlich aus einem ersten bewegenden Anfang, herrühren;
wie aus der – verbalen - Schmähung der – handgreifliche – Kampf. Entstehung von
Konflikten, Kriegen aus „ganz anderen“, jedenfalls kategorial anderen Anfängen.
Woraus eine sehr wichtige Lehre gezogen werden kann: dass nämlich verbale
Auseinandersetzungen, die nötig sein können, schon innerhalb des Verbalen
bestimmte Grenzen nicht überschreiten sollten (Beispiel Tumult. Zeitschrift für
Konsensstörung, AfD ...)
Nächste
Sitzung am 24. Februar 2016
Walter Seitter
Sitzung vom 10. Februar 2016
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