In unserer
Lektüre der Metaphysik haben wir uns öfter die Frage gestellt, ob das
Buch eher der herkömmlichen Vorstellung von „Metaphysik“ entspricht – also
Frage nach den ersten bzw. letzten Ursachen aller Seienden – oder eher der
„Ontologie“ als Betrachtung des Seienden als solchen. Buch IV und V scheinen
die zweite Untersuchungsrichtung einzuschlagen, welche die eher formalen und
immanenten Seinsmodalitäten erörtert. Die Seinsmodalitäten werden vor allem mit
den zehn Kategorien (Substanz und Akzidenzien) abgedeckt; dazu kommen noch
Modalitäten, die im Buch IV genannt werden, wie Entstehung, Zerstörung,
Möglichkeit, Wirklichkeit. Diese Modalitäten bestimmen nicht die Wesensarten
und Realitätsbereiche selber, setzen sie jedoch voraus, durchqueren und
verbinden sie. Sie fügen dem Was das Wie hinzu, den verschiedenen Was die
verschiedensten Wie, dynamisieren sie damit in Richtung Geschehen, Beziehung, Handlung,
Schicksal. Im Protokoll vom 4. Februar habe ich die Dimension der Ontologie in
die Nähe des „Politischen“ gerückt, von dem Carl Schmitt sagt: „es bezeichnet
kein eigenes Sachgebiet, sondern nur den Intensitätsgrad einer Assoziation oder
Dissoziation von Menschen, deren Motive religiöser, nationaler ...,
wirtschaftlicher oder anderer Art sein können.“[1]
Das Gemeinsame
liegt in einem Formalismus, der verschiedene Möglichkeiten und vor allem
Wirklichkeiten durch die Sachgebiete hindurchtreibt.
Wir können
davon ausgehen, dass die aristotelische Physik, die den großen
Gattungsbereich der Natur im Sinne der beweglichen Körper abhandelt, eigentlich
auch die Spezies Mensch einschließt, doch bleibt diese in jener sogenannten
Zweiten Philosophie merkwürdig still und ungesagt. Sie bildet aber didaktisch
die Basis für die sogenannte Erste Philosophie, die in der Metaphysik
abgehandelt wird. Hier wird nun wie schon angedeutet die ontologische Dimension
der Seinsmodalitäten mit viel mehr Differenzierung und Dramatisierung
aufgerollt. Im Buch IV wird ihre Mannigfaltigkeit ausdrücklich statuiert, die
zehn Kategorien werden vorausgesetzt und ergänzt durch eine kleine Anzahl von äußerst
einschneidenden Modalitäten wie „Weg ins Wesen“, Entstehung, Zerstörung,
Beraubung und so weiter. Und dann folgen im Buch V die dreißig Begriffe, von
denen nur einer eine Wesenheit, eben die Natur, bezeichnet, alle anderen
irgendwelche Modalitäten. Und jeder dieser Begriffe wird bedeutungsmäßig
auseinandergelegt, jede Bedeutung mit einem Beispiel konkretisiert. Und in
diesen Beispielen kommen auch „Fälle“ zur Sprache, die aus dem menschlichen
Alltagsleben stammen – bis hin zu Grundbestimmungen der Politik. Mikropolitik
und Makropolitik.
Das
„Politische“ in einem an Carl Schmitt angelehnten Sinn des
„Elementarpolitischen“, das auch die Polis als ein Menschen und andere
Wesenheiten (Erde, Wasser, Luft ...) verbindendes Ganzes meint, tritt
ausgerechnet in der Metaphysik deutlicher hervor als in der sogenannten Physik.
Die Metaphysik, welche explizit die Ontologie (allerdings ohne diese
Bezeichnung) programmiert und skizziert, lässt auch das Menschliche zur Sprache
kommen, sie verschiebt sich – kaum merklich, aber immerhin - in Richtung
„Menschenphysik“. Wobei die Menschen nicht nur als Beispiel-Objekte anvisiert
werden, sondern auch als „Kollegen“ des Aristoteles selber aufgerufen werden.
So im ersten Satz als nach Wissen Strebende, im Buch I als theologisiert oder
philosophiert Habende, im Buch III als in Aporien Verstrickte und sich daraus
herausarbeiten, also philosophieren Sollende, im Buch IV als Scheinphilosophen
und Feinde der Philosophie (eine Feinderklärung fast im Sinne von Carl
Schmitt). Die Menschenphysik bewegt sich in Richtung Menschenpolitik. Politik
im engeren Sinn bzw. Politisches als deren Wesensbestimmung und Postulierung.
Mit der
physikalischen Basis und mitsamt der ontologischen Stoßrichtung wahrt dieses
Politische die Verbindung zu anderen Seinsbereichen und den Bezug zur
Notwendigkeit von Entscheidungen wie denen zwischen Ordnung und Chaos. Da die
Physik die Lehre von den beweglichen Körpern ist, hat es die Politik
notwendigerweise mit Topik (im wörtlichen Sinn) und Kinetik zu tun.
*
Der Abschnitt
über den Teil greift aus einer neuen Perspektive Aussagen auf, die bereits
gemacht worden sind. Denn der Teil kann quantitativ, materiell oder rein
logisch von einem Ganzen her konzipiert sein. Daß der Teil, der doch nur ein
Teil ist, überhaupt in einem eigenen Stichwort genannt wird, zeigt, dass
Aristoteles ungleiche Begriffe gleich wichtig nimmt. Diese Tendenz wird er mit
den letzten Stichworten sehr deutlich demonstrieren.
Walter Seitter
Sitzung vom 24. Februar 2016
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