Zu den obigen Zitaten (von Wolfang Koch)
meine ich, dass der Begriff der „Offenbarung“ den sogenannten
Offenbarungsreligionen vorbehalten werden sollte, und dass andere Weisen der
Kundtuung, Manifestation, Erscheinung, Wahrgebung eben mit solchen Begriffen
bezeichnet werden sollten. (Ich denke zum Beispiel auch daran, dass die
Entdeckung der mit den Menschen zusammenlebenden Mikroorganismen für die
Wissenschaftler eine Arbeit an Erscheinungen war; für mich hingegen eine Sache
von Mitteilungen).
Wenn die basalen teleologischen
Strukturen, die das Hauptkennzeichen der dogmatischen Ontologie der Antike
sein sollen, eines absoluten, zukunftsgerichteten Geistes bedürfen, dann
haben sie mit der aristotelischen Philosophie nichts zu tun. Und ebensowenig
die Einordnung der Natur auf ihre Vollendung und damit auf eine Transzendierung
im Geist. Solche Theoreme mögen bei manchen paganen Philosophen eine Rolle
spielen – oder aber sie sind das Ergebnis christlicher Überformungen. Die
Verwechslung der aristotelischen Philosophie mit christlicher Theologie sollte
im 21. Jahrhundert nach Christus vermieden werden.
Die modernen Naturwissenschaften mussten,
um ihren Weg zu finden, derartige Theologisierungen wegräumen. Sie haben aber
auch die aristotelischen Zweckursachen, die den einzelnen Wesen innewohnen,
bestritten, um die Zwecksetzungen des menschlichen Machtwillens monopolisieren
zu können. Hand in Hand damit ging die Entmachtung der Natur, die auf die
„Trägheit der Materie“ reduziert wurde.
Alles dies mit großen Erfolgen – deren
Begrenztheit jedoch in der Gegenwart immer deutlicher wird. Sodass wir wieder
lernen müssen, die Natur zu fürchten. (Bruno Latour)
Das Wasser zeichnet sich sehr wohl durch
eine spezifische Bewegungsrichtung und –tendenz aus: Fallen nach unten (das
unter bestimmten Bedingungen zum Fließen führt und unter anderen Bedingungen zu
ruhigem Liegen). Wir dürfen noch dazu sagen, dass mit der Verwandlung des
Wassers in „Luft“ durch Verdunstung eine andere Bewegungsrichtung, eine
Transportbewegung nach oben in Gang gesetzt wird (und damit der Kreislauf des
sogenannten Wetters). Eine irgendwie endgültige „Erlösung“ ist damit auch nach
Aristoteles nicht gegeben.
Die Entelechie, die den Körpern in je
spezifischer Weise innewohnt, äußert sich vor allem in Tendenzen, in Strebungen
zu Bewegungen – bis hin zu den pflanzlichen und animalischen „Leistungen“ der
Nahrungs- und Fortpflanzungstätigkeiten. R. Elm paraphrasiert entelecheia als
„wirklichen Vollzug des Lebens selbst“.[1]
Der Vollzug dieser Bewegungen und
Leistungen ist „natürlich“ auch eine Machtfrage – zwischen den Naturtendenzen,
zwischen ihnen und menschlichen Einfällen und Eingriffen. Wenn die Menschen
(oder andere Tiere) den Pflanzen oder Tieren die Samen oder Eier wegnehmen und
sie verspeisen, werden jene ihre genetische Information nicht durchsetzen
können. (Siehe das seinerzeitige Beispiel von der Verrottung der Eichel zu
Wurmfutter.)
Auch im Abschnitt 4 von Buch VIII machen
Aristoteles’ Ausführungen einen ziemlich „materialistischen“ Eindruck. Er
spricht von verschiedenen mehr oder weniger flüssigen Bestandteilen des
Menschenkörpers (Schleim, Fett, Galle ... ) und ihren Verwandlungen ineinander.
Des weiteren spricht er von der
menschlichen Kunstfertigkeit, die aus verschiedenen Materialien bestimmte
Geräte entweder herstellen kann oder nicht.
Sodann wird die Frage nach den vier
Ursachensorten, von denen wir schon öfter gehört haben, auf den Menschen
appliziert. Stoffursache: Antwort: „Menstruation“ mit Fragezeichen. Eine
vorsichtige Präzisierung der bekannten These, dass bei der Entstehung
eines neuen Menschen(kindes) der „Stoff“ von der Mutter geliefert wird. Meiner
unprofessionellen Vermutung nach die Tatsache, dass der Mutterkörper dem
heranwachsenden Embryo sowohl den Ort wie auch die Versorgung mit
vielerlei Materialien liefert. Beweg- oder Wirkursache: „Same“ – wiederum mit
Fragezeichen. Damit dürfte eine Transportleistung gemeint sein. Formursache:
das „Was-war-sein“. Diese Antwort nennt ohne Fragezeichen das bekannte Synonym
für Wesen. Das Worumwillen oder die Absicht: das „Ziel“. Die Antworten auf die
dritte und die vierte Frage waren je für sich ziemlich tautologisch –
physiologisch eher unergiebig. Außerdem fügt Aristoteles hinzu, dass die
Antworten 3 und 4 vielleicht miteinander koinzidieren. Damit würde obige
Behauptung von der Immanenz der Entelechie (und daher heißt sie so!) im
strikten Sinn zu verstehen zu sein.
Schließlich sei noch einmal erwähnt, dass
nach unserer heutigen Auffassung die Formursache (genetische Information) nicht
nur vom Vater sondern auch von der Mutter geliefert wird (sodass diese mehr
liefert als der Vater).
Aristotelische Anmerkung: es sollten die
nächsten oder eigentümlichen Stoffelemente angegeben werden, nicht die fernsten
wie Feuer oder Erde. Was sich auf die anfangs genannten Flüssigkeiten bezieht.
Dann weitet Aristoteles die Fragestellung
auf die Wesen aus, die zwar natürlich aber nicht entstehungsfähig und daher
ewig sind und möglicherweise stofflos oder aber sogar irgendwie keine Wesen
sind bzw. bloße Substratwesen. Was ist der Stoff der Mondfinsternis? Es gibt
keinen. Die Verfinsterung ist eine Affizierung des Mondes. Die Ursache für die
Bewegung, also für die Abschaffung des Lichtes ist die Erde. Und eine
Zielursache gebe es hier wohl nicht.
Die Mondfinsternis ist eine Privation des
Lichts. Damit wird die Formursache durch einen Begriff (logos)
angegeben, der in diesem Fall nicht nur ein Wesen sondern einen Sachverhalt
angibt also ein Satz ist.
Auch der Schlaf ist eine Affizierung. Da
wird das Lebewesen affiziert – und was zuerst? Ergebnis ist Bewegungslosigkeit
– also ebenfalls eine Beraubung – eines Teiles oder des Ganzen?
Walter Seitter
Seminarsitzung vom 16. Jänner 2019
Nächste Seminarsitzung am 23. Jänner 2019
1] Art. „entelecheia“ in Otfried Höffe (Hg.): Aristotels-Lexikon (Stuttgart 2005): 193.
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