τὸ μὲν οὖν αἰσθάνεσθαι ὅμοιον τῷ ... νοεῖν.

Das Wahrnehmen nun ist ähnlich dem ... vernünftigen Erfassen.

Aristoteles (De Anima III, 7: 431a)

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Montag, 21. Januar 2019

In der Metaphysik lesen (BUCH VIII (H) 1044a 15 – 1044b 20)


Zu den obigen Zitaten (von Wolfang Koch) meine ich, dass der Begriff der „Offenbarung“ den sogenannten Offenbarungsreligionen vorbehalten werden sollte, und dass andere Weisen der Kundtuung, Manifestation, Erscheinung, Wahrgebung eben mit solchen Begriffen bezeichnet werden sollten. (Ich denke zum Beispiel auch daran, dass die Entdeckung der mit den Menschen zusammenlebenden Mikroorganismen für die Wissenschaftler eine Arbeit an Erscheinungen war; für mich hingegen eine Sache von Mitteilungen).

Wenn die basalen teleologischen Strukturen, die das Hauptkennzeichen der dogmatischen Ontologie der Antike sein sollen, eines absoluten, zukunftsgerichteten Geistes bedürfen, dann haben sie mit der aristotelischen Philosophie nichts zu tun. Und ebensowenig die Einordnung der Natur auf ihre Vollendung und damit auf eine Transzendierung im Geist. Solche Theoreme mögen bei manchen paganen Philosophen eine Rolle spielen – oder aber sie sind das Ergebnis christlicher Überformungen. Die Verwechslung der aristotelischen Philosophie mit christlicher Theologie sollte im 21. Jahrhundert nach Christus vermieden werden.

Die modernen Naturwissenschaften mussten, um ihren Weg zu finden, derartige Theologisierungen wegräumen. Sie haben aber auch die aristotelischen Zweckursachen, die den einzelnen Wesen innewohnen, bestritten, um die Zwecksetzungen des menschlichen Machtwillens monopolisieren zu können. Hand in Hand damit ging die Entmachtung der Natur, die auf die „Trägheit der Materie“ reduziert wurde.

Alles dies mit großen Erfolgen – deren Begrenztheit jedoch in der Gegenwart immer deutlicher wird. Sodass wir wieder lernen müssen, die Natur zu fürchten. (Bruno Latour)

Das Wasser zeichnet sich sehr wohl durch eine spezifische Bewegungsrichtung und –tendenz aus: Fallen nach unten (das unter bestimmten Bedingungen zum Fließen führt und unter anderen Bedingungen zu ruhigem Liegen). Wir dürfen noch dazu sagen, dass mit der Verwandlung des Wassers in „Luft“ durch Verdunstung eine andere Bewegungsrichtung, eine Transportbewegung nach oben in Gang gesetzt wird (und damit der Kreislauf des sogenannten Wetters). Eine irgendwie endgültige „Erlösung“ ist damit auch nach Aristoteles nicht gegeben.

Die Entelechie, die den Körpern in je spezifischer Weise innewohnt, äußert sich vor allem in Tendenzen, in Strebungen zu Bewegungen – bis hin zu den pflanzlichen und animalischen „Leistungen“ der Nahrungs- und Fortpflanzungstätigkeiten. R. Elm paraphrasiert entelecheia als „wirklichen Vollzug des Lebens selbst“.[1]

Der Vollzug dieser Bewegungen und Leistungen ist „natürlich“ auch eine Machtfrage – zwischen den Naturtendenzen, zwischen ihnen und menschlichen Einfällen und Eingriffen. Wenn die Menschen (oder andere Tiere) den Pflanzen oder Tieren die Samen oder Eier wegnehmen und sie verspeisen, werden jene ihre genetische Information nicht durchsetzen können. (Siehe das seinerzeitige Beispiel von der Verrottung der Eichel zu Wurmfutter.)

Auch im Abschnitt 4 von Buch VIII machen Aristoteles’ Ausführungen einen ziemlich „materialistischen“ Eindruck. Er spricht von verschiedenen mehr oder weniger flüssigen Bestandteilen des Menschenkörpers (Schleim, Fett, Galle ... ) und ihren Verwandlungen ineinander.

Des weiteren spricht er von der menschlichen Kunstfertigkeit, die aus verschiedenen Materialien bestimmte Geräte entweder herstellen kann oder nicht.

Sodann wird die Frage nach den vier Ursachensorten, von denen wir schon öfter gehört haben, auf den Menschen appliziert. Stoffursache: Antwort: „Menstruation“ mit Fragezeichen. Eine vorsichtige Präzisierung der bekannten These, dass bei der Entstehung eines neuen Menschen(kindes) der „Stoff“ von der Mutter geliefert wird. Meiner unprofessionellen Vermutung nach die Tatsache, dass der Mutterkörper dem heranwachsenden Embryo sowohl den Ort wie auch die Versorgung mit vielerlei Materialien liefert. Beweg- oder Wirkursache: „Same“ – wiederum mit Fragezeichen. Damit dürfte eine Transportleistung gemeint sein. Formursache: das „Was-war-sein“. Diese Antwort nennt ohne Fragezeichen das bekannte Synonym für Wesen. Das Worumwillen oder die Absicht: das „Ziel“. Die Antworten auf die dritte und die vierte Frage waren je für sich ziemlich tautologisch – physiologisch eher unergiebig. Außerdem fügt Aristoteles hinzu, dass die Antworten 3 und 4 vielleicht miteinander koinzidieren. Damit würde obige Behauptung von der Immanenz der Entelechie (und daher heißt sie so!) im strikten Sinn zu verstehen zu sein.

Schließlich sei noch einmal erwähnt, dass nach unserer heutigen Auffassung die Formursache (genetische Information) nicht nur vom Vater sondern auch von der Mutter geliefert wird (sodass diese mehr liefert als der Vater).

Aristotelische Anmerkung: es sollten die nächsten oder eigentümlichen Stoffelemente angegeben werden, nicht die fernsten wie Feuer oder Erde. Was sich auf die anfangs genannten Flüssigkeiten bezieht.

Dann weitet Aristoteles die Fragestellung auf die Wesen aus, die zwar natürlich aber nicht entstehungsfähig und daher ewig sind und möglicherweise stofflos oder aber sogar irgendwie keine Wesen sind bzw. bloße Substratwesen. Was ist der Stoff der Mondfinsternis? Es gibt keinen. Die Verfinsterung ist eine Affizierung des Mondes. Die Ursache für die Bewegung, also für die Abschaffung des Lichtes ist die Erde. Und eine Zielursache gebe es hier wohl nicht.

Die Mondfinsternis ist eine Privation des Lichts. Damit wird die Formursache durch einen Begriff (logos) angegeben, der in diesem Fall nicht nur ein Wesen sondern einen Sachverhalt angibt also ein Satz ist.

Auch der Schlaf ist eine Affizierung. Da wird das Lebewesen affiziert – und was zuerst? Ergebnis ist Bewegungslosigkeit – also ebenfalls eine Beraubung – eines Teiles oder des Ganzen?

Walter Seitter


Seminarsitzung vom 16. Jänner 2019
Nächste Seminarsitzung am 23. Jänner 2019


1]  Art. „entelecheia“ in Otfried Höffe (Hg.): Aristotels-Lexikon (Stuttgart 2005): 193.



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