τὸ μὲν οὖν αἰσθάνεσθαι ὅμοιον τῷ ... νοεῖν.

Das Wahrnehmen nun ist ähnlich dem ... vernünftigen Erfassen.

Aristoteles (De Anima III, 7: 431a)

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Freitag, 11. Oktober 2019

In der Metaphysik lesen (BUCH IX (Θ), 1051a 34 – 1051b 6)

Ich berichte von der Lektüre des Buches, in dem die Vorlesung dokumentiert ist, die Heidegger im Sommersemester 1931 über die ersten drei Kapitel von Buch IX der Metaphysik gehalten  hat – die wir vor einiger Zeit  gelesen haben.  

Martin Heidegger: Metaphysik Θ 1- 3. Von Wesen und Wirklichkeit der Kraft (Frankfurt 2006).

Darin handelt es sich um die Polarität der Begriffe dynamis und energeia, zu deren Übersetzung Heidegger nur dies beiträgt, dass er für dynamis auch die alltagssprachliche Grundbedeutung „Kraft“ namhaft macht, womit jedwedes Können, so auch die körperliche oder seelische Energie gemeint sein kann (das deutsche Fremdwort „Energie“ stammt zwar vom griechischen energeia ab, doch semantisch steht es der dynamis nahe). In diesem Zusammenhang wirft Heidegger die Frage auf, ob sich der aristotelische Ursachen-Begriff, das Ursachsein, etwa die Wirkursache,  in die Ontologie einfügt. Dies wird von Aristoteles immerhin angedeutet, da die Wirkursache bei ihm „das Bewegende“ heißt und die Bewegung (nicht nur Ortsbewegung!) den Kategorien angegliedert wird. Zu den Kategorien wird das Wirken oder Machen gezählt, womit wie ich meine die Ontologie aus der puren Statik herausgehoben wird. Im Buch VII ist das Vermögen  zu einer Ursache von Entstehung erklärt worden  (1032a 27). Eine Ursache ist etwas, was die Kraft hat, etwas hervorzubringen oder zu verändern oder zu erhalten.

In seinem kürzesten Resümee sagt Heidegger, dass das volle Wesen nur erfasst werden kann, wenn man zum „Was“ auch das „Wie“ eines Dinges oder Vorganges berücksichtigt – und dazu müsse man die Modalitäten der Möglichkeit und der Wirklichkeit beachten. Dazu sage ich, dass bereits die neun Akzidenzien, die zum Wesen dazukommen, verschiedene Wie-Bestimmungen  einführen. Das heißt, die Ontologie beschränkt sich nicht darauf, die Dominanz des Wesens zu behaupten – im Gegenteil, sie stellt den Monopolanspruch des Wesens in Frage und entfaltet ein breites Spektrum von anderen Seinsmodalitäten. Mit diesem meinem Ausdruck verwende ich das Wort „Sein“ aristotelischer als Heidegger dies in seiner Philosophie tut.

Der erste Satz des bereits gelesenen Kapitels 10 von Buch IX führt mit großer Deutlichkeit vor, dass die Aussagevielfältigkeit des Seienden sich aus mehreren Stücken zusammensetzt: aus den Kategorien (Wesen mitsamt Akzidenzien), aus Möglichkeit und Wirklichkeit sowie aus Wahr und Falsch. Und er verdoppelt beinahe die damit zustande kommende Zahl, indem er von Anfang an bereits die Negation des Seienden selbst mit einbezieht, die er auch für Möglichkeit und Wirklichkeit namhaft macht.

Auch die beiden Terme „wahr“ und „falsch“ verhalten sich zueinander wie Position und Negation. Und es stellt sich die Frage, wo denn „wahr“ und „falsch“ vorkommen – in erster Linie kommen sie an Aussagen vor. Aristoteles nennt in der Folge mehrere andere Tätigkeiten, die zum Vorkommen der beiden Eigenschaften führen.

Im Unterschied zu den objektorientierten Wissenschaften wie Physik oder Politikwissenschaft (beide bei Aristoteles), die sich direkt bestimmten Weltphänomenen zuwenden, sowie zu den modern so genannten Metawissenschaften wie Linguistik, Logik, Wissenschaftstheorie, positioniert sich die Ontologie als eine sehr spezielle zweigleisige Betrachtungsweise: sie geht von Wörtern mit eher formalen Bedeutungen aus und wendet sie ins Objektive.


Walter Seitter
9. Oktober 2019

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