23. August 2023
Mit der Unterscheidung zwischen Verbindungen und Ereignissen, also zwischen festen und weniger festen Entitäten nimmt Serres jenen Behauptungen den Wind aus den Segeln, die ihm unterstellen, er würde unterschiedliche Aussagen über die physische Realität auf verschiedene Aussagende, Aussagesubjekte zurückführen – etwa männliche bzw. weibliche.
Tatsächlich setzt er die Unterschiede in der objektiven Realität selber an und folgt insofern der bekannten antiken Elementenlehre, obwohl die bei ihm einen weniger primären Status hat als bei den meisten Vorsokratikern oder bei Aristoteles.
zwischenbild nackt auf einem schreibtisch schaut sie lässig und wohlgefällig zu wie ein nackter mann seinen schwanz an ihr geschlecht stößt oder in es einführt oder ihn herauszieht lässig wie ein flußgott läßt sie das geschehen daß die kamera dabei ist und alles aufnimmt ist für sie wohl selbstverständlich vermutlich bekommt sie nur unter dieser bedingung geld für die „sitzung“ immerhin „lebt“ sie von solchen zahlungen
und noch eine bildschöpfung fast von mir ein ausschnitt mit unterbauch von vagina oberrand bis nabel piercing ein barockes wogen einer stillen oberfläche die als oberfläche einen bauch raum abschließt und abdeckt in dem verschiedenste verschiedenfarbige weiche und feuchte und nasse und glitschige vermutlich auch „stinkende“ gewebe organe neben und unter und zwischen einander angeordnet sind in denen allesamt sich ortsbewegungen und chemische reaktionen abspielen an denen milliarden und abermilliarden von mikroorganismen mitarbeiten die ihrerseits davon leben daß sie da beschäftigt sind womöglich meinen sie sie seien hier die hauptakteure vielleicht wissen sie gar nicht daß sich eigentlich die tanner hier für die hauptperson hält so wie die menschen erst seit kurzem von der existenz und der arbeit dieser kleinsttiere „wissen“ tanner denkt wohl kaum jetzt an sie und doch kann sie gar nicht so sein wie sie ist so zufrieden und gefällig und wohlgefällig wenn nicht unter ihrer schönen bauchdecke ihrer wohlgepflegten
Andererseits nähert Serres die lukrezianische Auffassung von Raum und Zeit der bergsonianischen an, die die Körperbewegungen als primordial annimmt.
Daher sei die Zeit irreversibel, irrevokabel – also „thermodynamisch“.
Die Atome laufen, fließen, stürzen dem Fall, dem Tod entgegen. Die Dinge sind schwer, sie fallen ihrer friedlichen Ruhe entgegen. Flüssig - verlaufen sie sich. Heiß – kühlen sie ab.
Fall, Tod, Zerstreuung. Brechungen, Dichotomien, Atome. Das atomare Fließen ist der Seinsgrund, das Hintergrundgeräusch.
Diese Welt auf der Drift ohne Zurück ist hie und da, man weiß nicht wo und wann, mit „Taschen“ durchsetzt, wo Wirbel aufkommen, Anscheine von Zurück. Mit diesen Objekten tauchen auch die Uhren auf. Spiralig, verschoben. Von ihrer Morgenröte an versuchen sie die Zeit des Todes zu schlagen. Die lukrezische Welt ist global entropisch und dank den Tourbillons gelegentlich negentropisch.[1]
Die lukrezianische Verbindung steht für die Ektropie.
Die newtonsche Zeit, die reversible, markiert den Widerstand gegen das Irrevokable. Es gibt sie nicht in der lukrezianischen Physik und daher konnte man im 19. Jahrhundert nicht eine Minute lang denken, es gäbe eine solche Physik. Außer bei Bergson. Da herrscht die irreversible Zeit: die Physik der Dinge widersteht ihr hie und da - im großen Abfluß der Drift. Die Historie folgt ihr, rauht ihr Fließen nur ein bißchen auf. Die Historie fließt um die Physik herum.
Daher die Beispiele bei Lukrez. Wie die Verbindungen die schweren, likörartigen, warmen, die Physik gliederten, so bildeten die Ereignisse das Gesellschaftlich-Politische. Knechtschaft und Freiheit geordnet um Armut und Reichtum. Das Brot, das fehlt, und das Geld, das überfließt.
Die Historie ist Symptom der Natur. Die Zeit ist das Symptom der Symptome.
Jetzt der Krieg, der jetzige oder der trojanische. Mars ist nur ein Akzidens der stabilen Venus, eine vorübergehende Lockerung des Zirkels. Er geht vorüber, aber gefesselt. Vulkan sollte ihn mit seinem Netz einfangen: penis captivus. Ansonsten bloßer Übergang. Nach jedem Krieg wieder ein Vertrag.
Aber Lukrez unterscheidet diese historischen Übereinkünfte von den stabilen Verbindungen zwischen den Atomen. Die Politik, die Geschichte – das sind nur die ereignishaften Symptome der fundamentalen Kombination.
Diese, also Venus selber, ist weit weg von der Geschichte und von der Politik.
Sie ist eigentlich – Materialismus.
Das Ruhige des Gartens, seine stille Heiterkeit – das nennt sich „Ataraxie“. Die Seele besteht aus Atomen, wie der Körper, wie die Welt. Die Ataraxie ist ein moralischer Zustand, folglich ein physischer Zustand.
Für Lukrez wie für uns ist das Universum das globale Tourbillon lokaler Tourbillons. Gleiches gilt für sein Lehrgedicht.
Die Ataraxie ist Abwesenheit von Unruhe. Das Leben des Weisen ist frei von Turbulenzen. Und daher der Natur am nächsten.
die sachliche deckung zwischen der venus und dem weisen findet ihre personalunion in den obigen fotos der tanner mayes
Die Natur lehrt uns das Rieseln des nie versiegenden Fließens, die Kaskade und die Turbulenzen der Atome. Die Wirbel des Meeres und der Winde. Das tropische Rad der Himmelsobjekte. Die kegelförmige Spirale, die die Dinge formt. Die Seele, wie der Körper, wie die Körper konstituiert aus heißen, luftigen, windigen und namenlosen Atomen.
Die Physik, die Psychologie legen Rechenschaft ab von den verstreuten Knoten, in denen die Wirbel sich bilden.
Diesseits der drei physikalischen Disziplinen erfaßt die Fundamentaltheorie den laminaren Fluß der Atome, das Leere und die Prinzipien.
Diesseits der Kulturpsychologie, die von der Geschichte und von den Göttern gezeichnet ist, von Angst und von Unruhe, von unseren relativen und zufälligen Konkurrenz- und Kampfereignissen, erreicht die Moral einen Prinzipienzustand.
Der Weise ist die fundamentale Welt. Er findet die Materialität wieder, den Grund des Seins, wo noch keine Falte die Oberfläche der Wasser gefurcht hat.
Walter Seitter
[1] Im Unterschied zu Serres, vielleicht, halte ich die Negentropie für die primordiale Größte und plädiere daher dafür, sie nicht mit einem Negativausdruck zu benennen, sondern affirmativ als „Ektropie“ zu bezeichnen, wie das vor über hundert Jahren Georg Hirth und Felix Auerbach getan haben. (154ff.)