Die Metaphysik ist das Buch,
das aus den meisten
Einzelteilen
zusammengesetzt ist.
(Joe Sachs)
7. Februar 2024
Beim Vorlesen und Anhören des letzten regulären
Protokolls der Metaphysik-Lektüre, das sich hauptsächlich auf die Bücher XIII
und XIV bezieht, welche von der Mathematik ausgehen und außer vielem
Herumkritisieren an pythagoreisch-platonischem Philosophieren immerhin zwei
Passagen enthalten, die die theologischen bzw. theographischen Aussagen des
Buches XII ergänzen und weiterführen (allerdings auch symptomal die Scnwäche
(ja die Verstümmeltheit) dieser ganzen Theologie zu erkennen geben), wird klar,
daß die Schwierigkeiten (Aristoteles nennt sie „Ausweglosigkeiten“) des Textes
sich schon längst auf seine Leser übertragen haben, die sich außerstande sehen,
die wichtigsten Charakterisierungen, die das „erste Wesen“ oder „erste Prinzip“
im ungefähr vor einem Jahr gelesenen und natürlich auch protokollierten Buch
XII erfährt, zu benennen.
Im Unterschied zu den mathematischen Entitäten
zeichnen sich die natürlichen Wesen dadurch aus, daß sie „abgetrennt“, das
heißt selbständig oder extra existieren - zum Beispiel Sophia
Panteliadou.
Aber auch das „erste Wesen“, das (leider)
unwahrnehmbar ist, existiert laut Aristoteles selbständig. Zwar hängen die
natürlichen Wesen von der Existenz des ersten Wesens ab – sie sind aber nicht
Teile davon, sondern existieren selbständig - zum Beispiel Walter Seitter.
Als Aristoteles-Leser muß man manche Aussagen des
Textes auf sich selber beziehen, denn man gehört zu dem, von dem Aristoteles
sagt, daß es „Natur“ ist und vom „ersten Wesen“ abhängt. Wenn man das nicht
tut, versäumt man den Sinn dieser Aussagen total.
Allerdings kann man den Sinn der Aussagen auch damit
versäumen, daß man während der Lektüre, während der Lektüre-Gespräche, beim
Anhören des Protokolls „abwesend“ ist – unaufmerksam, vergessend,
anderswo.
Nun ist die „Abwesenheit" von dem berühmten
Philosophen Jacques Derrida zum heimlichen Ideal ernannt worden, indem er die
Anwesenheit als „metaphysischen“ Begriff verdächtigt, diagnostiziert, zum Feind
erklärt hat. Das ist seine Heidegger-Huldigung und -Imitation. Eine
verhängnisvolle Verwechslung von Physik und „Metaphysik“.
Tatsächlich hingegen ist die Anwesenheit
(Aufmerksamkeit, Geistesgegenwart) eine physische (incl. psychische) Leistung
(Leistung ist eine sehr gute Übersetzung von energeia, die leider von
den professionellen Aristoteles-Spezialisten (ich bin ein dilettierender))
nicht einmal in Erwägung gezogen wird und daher fühlt man sich durch das
Aristoteles-Lesen nicht dazu aufgerufen (Aristoteles würde dazu sagen:
„bewegt“), die Leistung der Anwesenheit zu erbringen - und nicht die
wichtigsten Aussagen immer wieder zu vergessen.
Die Lehre vom „unbewegt“, vom unablässig Bewegenden
versteht man nur, wenn man das Bewegtwerden selber an sich geschehen läßt und
deshalb auch spürt. Bewegtwerden zu einem selber bewegend also tätig Werden,
zum Beispiel neugierig und aufmerksam werden.
Auf meine Frage, welche qualitative Bestimmung im
Buch XII dem „ersten Wesen“ zunächst zugesprochen wird, keine Antwort. Ich muß die
Stelle im Abschnitt 7, wo so eine Bestimmung mit einem recht bekannten Begriff,
nämlich „Lust“ gegeben wird, selber vorlesen. Daraufhin die Reaktionen: das ist
aber ein primitiver Begriff und die Wörter Leben und Lust mag ich nicht! Ich
erkläre, daß das Wort „primitiv“ gar nicht so abwegig ist – es heißt nämlich
„erstartig“ und paßt genau zum „ersten Wesen“. Außerdem ist es ein Grundwort
der in Wien erfundenen und immer noch angesehenen Psychoanalyse, die ja sogar
von dem hoch verehrten und frankophonen Jacques Lacan in Ehren gehalten wird.
Auch die Psychoanalyse beansprucht, Aussagen zum Anfänglichen, Elementaren zu
machen.
Ich mache eine bestimmte Aussage - weiß nicht mehr
welche, ist auch egal, denn es geht mir im Moment um das Aussagesubjekt als
solches. Meine Aussage wird so qualifiziert: das ist aber „seitterisch!".
Gemeint entweder: seitterisch und daher kaum
zutreffend; oder: seitterisch und folglich nicht panteliadisch – im Sinne von
zwei Redemöglichkeiten, die gar nicht zu beurteilen sind.
Tatsächlich sind alle meine Aussagen seitterisch,
weil von mir gemacht, von mir gewissermaßen erfunden, sofern ich nicht nur
andere Aussagen nachspreche.
Die seitterischen Aussagen sind aber auch zu
beurteilen: sie können mehr oder - weniger angemessen, richtig, wahr sein –
oder gar nicht angemessen, richtig, wahr. Die bloße Tatsache, daß sie seitterisch
sind, qualifiziert oder disqualifiziert sie nicht.
Ich stelle wieder einmal eine Aussage in den Raum,
die ich schon öfter gemacht habe und füge die Bemerkung dazu, daß Aristoteles
sie zu wenig betont habe. Nämlich: alle Sachen sind auch Ursachen, womit die in
der deutschen Sprache gut wahrnehmbare Nähe zwischen den beiden Begriffen
hervorgehoben wird. Irgendwann habe ich das mit Karl Bruckschwaiger schon
besprochen und er hat damals akzeptiert, daß er - als Sache – auch Ursache ist,
insofern er einen Sohn hat. Jetzt können wir uns darauf einigen, daß er – für
uns – den Hermann von Kärnten übersetzt. Auch insofern wirkt er ursächlich.
Meine Frage, ob im aristotelischen Text, in dem ja
auch die „Ursache“ ein wichtige Rolle spielt, irgendwo eine allgemeine
Ursächlichkeit der Sachen angedeutet wird. Ich schlage vor, bei den Kategorien
nachzuschauen, ob da welche dabei sind, die so eine Ursächlichkeit nahelegen.
Eine Antwort: alle Kategorien haben einen Bezug zur Ursächlichkeit.
Das ist so eine Wischi-Waschi-Antwort, die nicht
falsch ist, aber gar nichts besagt. Wesen, Qualität und so weiter: sie alle
haben Ursachen, sind wohl auch irgendwie Ursachen. Aber es gibt eine Kategorie
– poiein oder „machen“ – die bedeutet haargenau „verursachen“.
Auch wenn die Wörter nicht verwandt sind. Zum Beispiel hat Sophia Panteliadou
das grüne Buch gemacht,das auf dem Tisch liegt. Sie hat es gemacht, sie ist die
Macherin – griechisch poietes. Die Poetin, die Dichterin, ist ein
Sonderfall einer solchen Macherin – und hat daher ihre Bezeichnung. Aber es
bedarf einer lautstarken Auseinandersetzung, um die Zusammengehörigkeit dieser
Wörter einsichtig zu machen.
Zur vorigen Frage, zu den Sachen als Ursachen,
verweist Karl Bruckschwaiger auf ein anderes auf dem Tisch liegendes Buch: „Wir
sind nie modern gewesen“ von Bruno Latour und sagt dazu: der hat das mit den
Sachen als Ursachen kapiert. Und das stimmt.
Darum ist es gut, daß die Metaphysik-Lektüre auf dem
Hohen Markt stattgefunden hat, denn da liegen hie und da Bücher herum.
Zum Glück bestehen die Bücher XIII und XIV doch
nicht nur aus Wortgefechten zwischen platonischen und pythagoreischen
Platonikern – das heißt zwischen Schulkollegen, -freunden und -feinden.
Aristoteles selber vollzieht einen Schwenk in
Richtung Platon mit der Frage, „wie sich die Elemente und Prinzipien zum Guten
und Schönen verhalten“. (1091a 31)
Wie schon öfter in der Metaphysik stellt
er die beiden Eigenschaftswörter direkt nebeneiander und betont so ihre
Zusammengehörigkeit, die ja schon in der sprichwörtlichen kalokagathia einen
Flügel zum Wahrnehmbaren aufgetan hatte.
Aristoteles stellt die Frage, welche der beiden
„höchsten“ platonischen Ideen – das Eine oder das Gute – vorrangig für die
Konzeption einer obersten Ursache einzusetzen sind. Und er entscheidet sich für
das Gute, weil mit der Dominanz des Einen die Selbständigkeit der gewöhnlichen,
der natürlichen Wesen gefährdet sei (siehe oben).
In 1091b 16ff. wird das Erste, Ewige,
Selbstgenügsame mit dem Guten identifiziert, das hier sogar eine ethische
Färbung zu bekommen scheint, da „es sich gut verhält“ (1091b 19). Aber
vielleicht ist damit doch nicht nur ein moralisches Verhalten gemeint, sondern
einfach : „da es sich wohl befindet“.
Und dabei ist immer auch mitzudenken: „und weil es
schön ist“.
Diese zweite oder Mit-Bedeutung des Schönen war es
wohl, die mir im Laufe des dreizehnjährigen, langwierigen, oftmals schwierigen
und manchmal ärgerlichen Lektüre-Seminars einen Antrieb, einen Impuls, manchmal
nur eine Hoffnung geliefert hat – eben so ein Bewegtwerden, ein Lieben-Wollen,
das Aristoteles für die Objektseite als ein „Gleichsam-Geliebt-Werden“ (1072b
4) benennt. Und da ich kein typischer Denker bin, sondern eher ein Seher, hat
mich auch das Sehen der amerikanischen Künstlerin namens Tanner Mayes (*1989)
vorangetrieben und gelegentlich habe ich fotografische Abbildungen davon ins
Protokoll hineingeschwindelt.
Auszüge aus dem anderen Protokoll in das eine.
Walter Seitter