τὸ μὲν οὖν αἰσθάνεσθαι ὅμοιον τῷ ... νοεῖν.

Das Wahrnehmen nun ist ähnlich dem ... vernünftigen Erfassen.

Aristoteles (De Anima III, 7: 431a)

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Freitag, 11. April 2014

In der Metaphysik lesen (1006a 18 – 31)

Wir kommen auf unsere durch Aristoteles' beiläufige Erwähnung der Pflanzen (1006a 15) ausgelöste Diskussion über deren Fähigkeiten  bzw. Unfähigkeiten zurück. Ivo Gurschler bringt ein neues Buch zur „philosophischen Botanik“ mit, in dem die Einordnung und Einschätzung der Pflanzen gegenüber allen anderen Wesen der Natur dargestellt wird, wie sie in ungefähr allen Kulturen bisher formuliert worden ist.[1] Im großen und ganzen kommt Matthew Hall zum Ergebnis, daß die abendländische Kultur auf ihrem Sonderweg eine Abwertung der Pflanzen durchgesetzt hat, jedenfalls eine große Distanz zwischen deren Fähigkeit und den menschlichen. Aristoteles wird in diese Strategie eingegliedert – allerdings mit der bemerkenswerten Besonderheit seines „Zoozentrismus“.[2] Damit folgt Hall der Untersuchungsrichtung von Philippe Descola, die ich im April 2013 vorgestellt habe; eher noch stärker ist bei ihm die Distanzierung von der abendländischen „Ordnung der Dinge“ und das Sympathisieren mit einer eher animistischen „Aufwertung“ der Pflanzen. Ebenso wie Descola nennt er eine kulturell dominierende Klassifikation und Hierarchisierung aller Wesen die jeweilige „Ontologie“ einer Kultur.[3] Diese Verwendung des Begriffs ist eine gewissermaßen „ethnologische“ oder „historische“, aber semantisch geht sie in eine kosmologische Richtung.

Wenn wir die im Buch IV vorgeschlagene Untersuchungsrichtung als „Ontologie“ bezeichnen, hat dieser Begriff gewiß eine andere Bedeutung. Er richtet sich nicht auf alle in der Welt vorkommenden Dinge, Lebewesen und so weiter. Er verweilt hartnäckig beim begrifflich fixierten „Seienden“, nagelt es noch einmal auf seine Seiendheit fest, und öffnet es dann auf die Vielfalt seiner notwendigen Bestimmungen: diejenigen, die durch die zehn Kategorien benannt werden, aber auch noch weitere wie Entstehung und Vergehung – bis hin zu seiner Negation. Es geht also um eine immanente Dramatisierung des Seienden, die allen Seienden zukommt – gewiß auch den natürlichen und kosmischen (für die sich Aristoteles sehr interessiert hat: das Enzyklopädische des ethnologischen „Ontologie“-Begriffs war ihm nicht fremd, aber die Untersuchungsrichtung im Buch IV ist eine andere). Daß so ein berühmtes Wort wie „Ontologie“ verschiedentlich verwendet wird, ist kein Unglück. Wichtig ist nur, daß bei jeder Verwendung klargestellt wird, wie es verwendet wird.

Der indireke oder „elenktische“ Beweis für den Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch besteht darin, daß Aristoteles eine erstaunliche Aussage über die Beweisführung macht: sie werde nämlich nicht vom Beweisführenden hervorgebracht sondern vom Diskussionspartner, der einer Argumentation nur dann widersprechen kann, wenn er sie zunächst einmal verstanden und insofern angenommen hat. Das geht aber nur, wenn die Wörter des Beweisführenden eine bestimmte Bedeutung haben – und zwar auch für den widersprechenden Diskussionspartner. Die indirekte Beweisführung geht auf die Diskussionssituation zurück, die auch dann vorausgesetzt werden muß, wenn in der Diskussion keine Einigung erzielt wird. Also die pragmatische Einbeziehung des Widerspruchs erweist die Notwendigkeit eines minimalen Konsenses: über die bestimmte Bedeutung der verwendeten Wörter und damit des Satzes vom ausgeschlossenen Widerspruch.

Walter Seitter


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Sitzung vom 9. April 2014


[1] Siehe Matthew Hall: Plants as Persons. A Philosophical Botany (New York 2010).
[2] Siehe Matthew Hall: op. cit.: 26ff. Hall erfaßt damit die Mitte des aristotelischen Denkens oder wenn man will seiner „Ontologie“. Im Unterschied zu der von Heidegger unterstellten Onto-Theologie.
[3] Siehe Matthew Hall: op. cit.: 110.

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