Die englische Übersetzung der Metaphysik
in der Loeb-Ausgabe des griechischen Textes ist uns durchaus manchmal nützlich.
Sie wurde 1933 zum ersten Mal gedruckt, ist also schon sehr alt. Deshalb dürfte
ein Blick in eine jüngere englische Ausgabe nicht schaden.
Ich ziehe die amerikanische
Ausgabe heran, die Joe Sachs 1999 zum ersten Mal herausgegeben hat.[1] Die Einleitung zeigt einen
erfrischenden Ton und so greife ich einige Punkte heraus – vor allem solche,
die mit unserer Lektüre konvergieren.
Sachs macht längere
Ausführungen zum uneinheitlichen Charakter des Gesamttextes, der schon zu
vielen sehr negativen Beurteilungen geführt hat. Er selber erklärt zu dieser
losen Fügung, daß das Gesamtbuch zwei „erste Bücher“ hat, die in der
griechischen Zählung Alpha und klein Alpha heißen, in der lateinischen Buch I
und Buch II. In Wirklichkeit fange die Metaphysik viel öfter an als nur
zweimal: nur die Bücher VIII, IX und XIV seien keine Neuanfänge.[2] Die Metaphysik beginnt
elf mal neu: die Suchbewegung nach der „gesuchten Wissenschaft“ ist dermaßen
vielfältig zusammengesetzt – als ob ungefähr elf Bücher nicht recht weiter
führen, sozusagen Sackgassen seien, beinahe Aporien. Diese kleine Aporien- bzw.
Anfänge-Mathematik scheint mir ein Glanzstück von Hermeneutik zu sein, die sich
wohl nicht auf irgendeine Intention des mutmaßlichen Verfassers bezieht,
sondern auf die Wirrnisse und die schließliche Entscheidung mehrerer antiker
Redaktionsgenerationen.
Elf Neuanfänge – aber nicht
ganz so viele Antworten auf die Frage, was denn das Thema des Buches ist.
Eigentlich nur zwei. Nämlich „das Seiende als Seiendes“ und die „Prinzipien und
Ursachen der Seienden, die abgetrennt, bewegungslos, göttlich sind“. Beide
Formulierungen tauchen immer wieder auf. Die erste erstmals im Buch IV, die
zweite im Buch VI. „Aufgrund der zweiten Bestimmung wird das ganze Werk von
Aristoteles als ‚Theologie’ bezeichnet: aufgrund der ersten wird es ‚Ontologie’
genannt – aber von anderen und viel später.“[3] Diese deutliche
Unterscheidung haben wir so ähnlich auch schon ausgedrückt. Sachs meint,
Aristoteles würde die beiden Richtungen in seinem Buch zu einem Berührungs-
oder Überschneidungspunkt zusammenbiegen. Wenn Sokrates im Staat meint,
das Gute liege jenseits des Seins, doch könne es nicht mit den Gleichnissen
erfaßt werden, dazu bedürfe es eines längeren Umwegs, so Sachs: die
aristotelische Metaphysik sei so ein Umweg.[4]
Sachs geht auch auf die alten
naturphilosophischen Lehren ein, die das Unbewegte entweder voraussetzen oder
suchen. Sie leben in der neuzeitlichen Physik wieder auf, welche die Materie
mit Trägheit (inertia) gleichsetzen, was sich jedoch nicht halten läßt. Er
nennt Isaac Newton, John Dalton, neuere Molekularbiologen, die schließlich eine
Nicht-Trägheit einsetzen müssen. Mit den Begriffen energeia und entelecheia
habe Aristoteles die Schwierigkeit überwunden. Aber nicht etwa einfach mit
diesen Begriffen – sondern mit der Fügung der Metaphysik, die „aus der
größten Zahl von distinkten Teilen komponiert“ sei.[5]
Schließlich kommt Sachs auf
die Übersetzungsproblematik zu sprechen. Er entscheidet sich gegen die
jahrhundertelange Tradition, Aristoteles in einem angeblich englischen Latein
wiederzugeben. Er möchte ihn englisch schreiben – so wie Aristoteles selber
griechisch geschrieben hat: in der griechischen Umgangssprache, die er
fallweise zu Begriffen und sogar zu Neologismen umgemünzt hat: aber es ist
immer griechisch.
Das erinnert gewiß an
Heideggers Verdammung der Latinisierung der Philosophen. Sachs selber erkärt,
von Heidegger gelernt zu haben.[6] So weit so gut. Zu seinen
Übersetzungsresultaten muß ich jetzt nichts sagen. Sie sind keineswegs alle
gelungen. Aber dazu vielleicht später an Ort und Stelle.
Walter Seitter
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